Kairon; IRSE! – Ruination

von am 9. Februar 2017 in Album

Kairon; IRSE! – Ruination

Mit ihrem so grandiosen – wie stilistisch unkategorisierbaren – offiziellen Debütalbum Ujubasajuba segelten Kairon; IRSE! noch weitestgehend unter dem Aufmerksamkeitsradar hindurch (Sollte dies der Fall sein: Unbedingt im Bandcamp der Finnen vorbeischauen!). Ohne, dass das Quartett aus Seinäjoki sich mittlerweile gravierend handlicher präsentieren würde, könnte sich dies dem (je nach Zählweise) Zweitwerk Ruination nun möglicherweise allerdings ändern.

Was weniger damit zu tun hat, dass Produzent Juho Vanhanen mit seiner eigenen Band Oranssi Pazuzu im vergangenen Jahr allerhand Lob für das imposante [amazon_link id=“B01BGK1TSO“ target=“_blank“ ]Varahtelija[/amazon_link] einheimsen konnte und damit auch einen gewissen Fokus auf stilistisch ähnlich freigeistig agierende Grenzgänger der finnischen Szene zu lenken wusste. Sondern vielmehr damit, dass sich die Qualitäten von Kairon; IRSE! einerseits mittlerweile heimlich still und leise herumgesprochen haben – andererseits jedoch auch ausgerechnet dem Fakt zuzurechnen sein würde, dass sich Kairon; IRSE! in den drei Jahren seit [amazon_link id=“B01N2WE07Q“ target=“_blank“ ]Ujubasajuba [/amazon_link] stilistisch abermals merklich weiterbewegt haben.

Ohne ihre Eigenwilligkeit für etwaige Windschatten-Vorzüge herrschender musikalischer Strömungen zu opfern, hat sich der melancholisch am Shoegaze entlangforschenden Postrock-Schwerpunkt des Vorgängers nunmehr deutlicher hin zu einer Faszination für ausufernden Spacerock und vor allem klassisch geprägten Retro-Prog verschoben. Ruination kehrt also nicht mehr so sehr die Liebe zu Vorbilder wie My Bloody Valentine hervor, sondern speist sich expliziter aus dem Nachlass von Säulenheiligen wie Jethro Tull, King Crimson, Yes oder Anekdoten. Eine Entwicklung, die Kairon; IRSE! zumindest insperationstechnisch in die Nähe eines aktuell grasierenden Traditionsbeewusstseins unter Kollegen wie Steven Wilson, The Pineapple Thief oder Pain of Salvation rückt, letztendlich über 58 kurzweilige Minuten aber primär sein so eklektisches wie eigenwilliges Süppchen ankochen lässt, anstatt zeitgenössische Bande zu knüpfen.

Gleich das eröffnende Doppel aus dem zweiteiligen Sinister Waters hangelt sich dennoch von den flirrenden Ausklängen der trippigen Motorpsycho mit verspieltem Rhythmus, oszillierenden Gitarren und Dmitry Melet’s entrückt zärtlichem Falsett zu den packenden Grenzen von Spidergawd: Da platzt plötzlich ein fiebriges The Men-Freejazz-Saxofon in den weit ausholenden Monolithen, die Spannung bäumt sich fast hymnisch auf, nur um gleich wieder in ein Captain Future-Synthiemeer zu kippen. Alles pulsiert, lauert, beschwört – plätschert phasenweise auch ein wenig zu gemütlich durch die Klangschichten.
Irgendwann stürzen sich Kairon; IRSE! allerdings in ein räudig zu den Stooges schielendes Gitarrensolo, das trotz des im Vergleich zur Vorgängerplatte deutlich sauberer ausgeleuchteten Sounds immer noch fies genug brät. Dann wieder schwebt die Band über ein unwirkliches 70er-Kaleidoskop, das so friedlich wie verstörend abgründig über seine psychedelischen Harmonien treibt, der nächste Ausbruch ist freilich dennoch nur eine Frage der Zeit: Kairon; IRSE! katapultieren sich mit funkelnden Streicher-Arrangements in die Umlaufbahn und schwelgen in anderen Sphären.

Schon in den kaum stillhaltenden 26 Minuten dieses an den Beginn gestellten Mammut-Brockens nimmt Ruination mehr Wendungen, Tempowechsel und Kurskorrekturen vor, als anderswo komplette Platten, trumpft mit seinem technischen Können auf und zirkelt den Songwriter-Leviathan um prickelnd durch die Finger rinnende Melodien, die sich so unmittelbar in die Gehörgänge fräsen, aber eben auch nur Passagiere in diesem atemlosen Husarenritt sind.
Dennoch ist Ruination trotz seiner Komplexität eine erstaunlich zugänglich funktionierende Achterbahn des Prog geworden, die ihre Eingängigkeit kaum domestizieren möchte. Das regelrecht unkompliziert nach vorne gehende Llullaillaco erinnert sich als leichtgängig für Raum sorgender, straighter Rocksong hinter seinen verwaschenen Hallwänden an Ujubasajuba und die entrückte Lieblichkeit von [amazon_link id=“B00197X1UO“ target=“_blank“ ]Isn’t Anything[/amazon_link], obwohl das Quartett am Ende gar mit einer prickelnden Kakophonie zu flirten beginnt. Starik entführt dagegen den Robot-Rock der Queens of the Stone Age in eine androgyne Hypnose, während Kairon; IRSE! das Gaspedal immer wieder unvermittelt durchpressen, den Noiserock-Druckverband ansetzen und dann doch wieder bei ätherischen Ideen landen, die eine abstrakte Assimilierung von Avantgarde-Folk-Versatzstücken darstellen könnten.

Porphyrogennetos könnte hingegen über weite Strecken gar als völlig entkoppelter Pop durchgehen (auch wenn die jammende Nummer bis zu ihrem explosiven Finale nach knapp 12 Minuten nicht gänzlich ohne Leerlauf auskommt), bevor der Titelsong auf einen souligen Orgelteppich gebettet mit fürsorglicher Schönheit entlässt.
We did lots of gigs before we recorded it so the songs progressed through live jamming. For Ruination we didn’t do any gigs before we went into the studio – we were arranging and creating from the start, which is why the song structures are really strict.“ Trotz der mutmaßlich strukturellen Unberechenbarkeit der Platte trifft diese von Gitarrist Niko Lehdontie analysierte Kompaktheit und Stringenz tatsächlich auf Ruination zu: Zwar merkt man Ruination in seinen weniger zwingenden Momenten an, dass die Platte weniger impulsiv-improvisierend entstanden ist als Ujubasajuba, weil akribisch ausgearbeitet konstruiert wurde. Allerdings wirkt dennoch kaum ein Element hier wirkt willkürlich oder prätentiös um der reinen Virtuosität wegen aufgetürmt oder verrenkt – beinahe jede Facette der Platte scheint an ihrem Platz zu sitzen. Der warme und dynamische Klang der Produktion trägt das Übrige bei, um sich in diesem zutiefst referentiellen Fiebertraum zu verlieren.
Von Kairon; IRSE! selbst als „an accumulation of the ideas and overall mentality of 60s and 70s experimental pop, with a modern approach“ verortet, wächst damit tatsächlich eine eklektische Meisterprüfung in Sachen exotischem Anachronismus. Weil ein unbedingtes Verständnis für die Materie, pures Können und ein Gefühl für die eigene Handschrift da auch anstandslos Zugeständnisse hinsichtlich der Originalität aufwiegen, ist Ruination ein Fest für Anhänger einer verspulten Prog-Zeitlosigkeit geworden – an der sich das Genre 2017 bis auf Weiteres wohl messen wird lassen müssen.

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