Jungbluth – Lovecult

von am 2. Oktober 2015 in Album, Heavy Rotation

Jungbluth – Lovecult

Jungbluth haben den DIY-Gedanken verinnerlicht, tragen ihre politische Überzeugung schon im Bandnamen und engagieren sich auch aktiv gegen Ausgrenzung und das rechte Lager  – das alles weiß man seit dem so fulminant einschlagenden selbstbetitelten Tape von 2012. ‚Lovecult‚ führt deswegen auch in erster Linie vor, wie wenig das Trio aus Münster auch mit kreativen Stillstand anfangen kann.

Es wäre für Jungbluth wohl zu einfach gewesen dort weiterzumachen, wo das Debütalbum ‚Part Ache‚ vor zwei Jahren ausschließlich verbrannte Erde und offene Münder hinterlassen hat: an vorderster Front von malträtierendem Hardcore und würgendem Blackened Crust; sich mit politischem Verstand artikulierend und der Wut im Bauch agierend; Bass, Drums und Gitarren eine aggressiv und angepisst im Schmutz schabende Einheit bildend, die die Konkurrenz (beinahe) aus dem Stand heraus zermalmend weit hinter sich ließ.
Es ist nun nicht so, dass Jungbluth für ihr zweites Album vollends mit diesen etablierten Vorzügen brechen würden – die Handschrift ist unverkennbar. Aber ‚Lovecult‚ lässt vom ersten Moment an eine Entwicklung zu, die sich über die Interims-Splitsingle mit Callow nachverfolgen lässt. Die bestialischen Growlparts aus der zweiten Reihe sind  zurückgeschraubt worden, das getriebene Screamo-Geschrei von Sänger Flo kämpft sich weniger aus dem Radau heraus auf’s Plateau, sondern folgt durchaus der Option auf schmissigere Melodien durch Songs, die sich an zwingenden Konturen ausgepeitscht abreagieren. Das Schlagzeug scheppert und poltert, der D-Beat ist einem groovenderen Rhythmus gewichen, der Hardcorepunk wurde zugunsten einer deutlich stärker forcierteren Noiserock-Kante zurückgeschraubt und der wahnsinnig geile, volle, energische, und kraftvolle Live-Sound klingt eher nach fensterloser Garage, als nach Verlies im Morast.

Auch wenn das alles relativ zu hören ist: zugänglicher als auf dem konzeptuell verankerten ‚Lovecult‚ („the people around us become an optimized ideal of something we can buy, then can we call this love„) waren Jungbluth noch nie. Denn anstatt die Finger permanent in die Wunde zu drücken, klingt das nun nicht selten so, als hätten die Drei vorrangig schlichtweg enormen Spaß daran, mit einer bisher unbekannten Kompaktheit zu rocken, nach vorne zu gehen.
Everytime Geradeaus‚ kann da beinahe als Motto verstanden werden, auch wenn Jungbluth giftig polternd und mit hyperventilierenden Gitarren zwischen Metz und Wavves natürlich nicht geradlinig explodieren, Oathbreaker oder Birds in Row wüten weiterhin um die Ecke. Feedbackstacheln beißen da dängelnde Gitarrenlinien, die sich am Postpunk orientieren (und wie im umwerfend twistenden ‚Charades‚ gar so sportlich ausgemergelt klingen, wie es Franz Ferdinand nach den ersten Sekunden von ‚Jacqueline‚ nie mehr zustande brachten) und geradezu catchy gegen den manchmal schleppenden, manchmal rasenden Punk mit dem markant tiefen Bassgrummeln anspielen: anhand eines Songs wie ‚Schrödinger’s Katze‚ darf man der Band durchaus unterstellen hier auch waschechte Hits zu attackieren, ‚Sternstunden der Doppelmoral‚ ist die Nummer geworden, die Andy Falkous als Christian Fitness nicht gelingen will, für die es zukünftig zumindest Future of the Left brauchen wird. Das reißt dir in seiner Schonungslosigkeit immer noch extrem agressiv die Eingeweide heraus, ist roh, dreckig und giftig keifend, aber verdammt – macht diese Platte einfach Bock!

Untitled‚ baut sich dagegen mit marschierenden Drums und unerbittlich anschiebendem Bass über ein schimmerndes Klangmeer – sakral, massiv und man muss es beinahe majestätisch nennen: am Climax der Spannung kippt das plötzlich in ein Schlagzeugsolo, als wäre man bei Kylesa. Die hypnotisch sinnierende Gitarre in ‚Lokalkolorit‚ ist einer der Momente, der ‚Lovecult‚ Luft zu atmen verschafft, und überhaupt ist die Band gefühltermaßen noch besser darin geworden, das Spiel mit der Dynamik leichtgängiger anzutreiben – im Sturm zu nehmen, anstatt alles orkanartig niederzuwalzen.
So hoch, so einsam, zu schnell, zu leicht/ Nach unten treten, das Ende erreicht/ Leider nur den eigenen Tellerrand als Gipfel“ (und ja, wie grandios die Lyrics der Platte doch geworden sind!) schreien sie irgendwann, nehmen aber mit ‚Lovecult‚ selbst die nächste Abfahrt Richtung Unberechenbarkeit, in jeder Hinsicht: sein Zweitwerk veröffentlicht das Trio komplett in Eigenregie – via Bandcamp zum Download oder zum extrem fairen Preis auf Vinyl. Jungbluth fördern die eigene Autonomie, gehen ihren eigenen Weg, wohin bleibt hiernach offen. Weswegen man Teile der Texte des Closers ‚Empathy Is Not A Competition‚ wohl schon einmal aus dem zynischen Kontext reißen darf: „Lasst uns einfach immer wir selbst sein!/ Nichts leichter als das/ Zwischen den Stühlen sitzen will gelernt sein/ Mit Gefühl/ Aus Spaß„. Genau so fühlt sich dieser bestialische Husarenritt an, diese prügelnde Aufforderung zum Nachdenken, diese sich selbst aus der Komfortzone treibenden 28 Minuten Hardcore-Furiosität.  Jungbluth schaffen damit den Spagat, selbst ihre größte Referenz zu bleiben, mag sich die Fassade auch im ständigen Wandel befinden. Daran, dass sie der Konkurrenz schwindelerregend voraushetzen, hat sich aber nichts geändert.

08Jungbluth Bandcamp |

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