Julien Baker – Turn Out the Lights
Immer noch auf zutiefst persönliche Art düster, aber nicht mehr gar so reduziert inszeniert: Auf Gitarre und Piano konzentriert lässt Julien Baker Turn Out the Lights an den Möglichkeiten wachsen, die Sprained Ankle ihrer überwältigend melancholischen Singer-Songwriter-Kunst öffnete.
Das eine so entwaffnende Platte wie Sprained Ankle (wenn auch mitunter verspätetet) derartige Wellen der Aufmerksamkeit schlagen würde, erwischt die mit ihren Dämonen ringenden Musikerin aus Memphis offenbar keineswegs auf dem falschen Fuß: Over empfängt beruhigend, als trauriges Klavierintro mit traurigen Streichern, das die stimmungsvolle, langsame und schwermütige Atmosphäre von Turn Out the Lights bereits ohne Reibungsverlust vorgibt. Wer Frohsinn und Entlastung sucht, ist hier weiterhin falsch – eine leise glimmernde Hoffnung ist alles, was Baker anzubieten hat.
Im nahtlos übernehmenden Appointments funkeln die Gitarren deswegen auch wie in den schönsten Erinnerungen an Jimmy Eat World, Bakers Stimme treibt bedrückt streichelnd durch die Nacht. Die mittlerweile 22 Jährige eröffnet ihr zweites Soloalbum damit durchaus symptomatisch: Sie begrüßt, wie andere sich verabschieden, nur um so tröstend wie sorgenvoll in die Dunkelheit verschwinden. „I think if I ruin this/ That I know I can live with it/ Nothing turns out like I pictured it/ Maybe the emptiness is just a lesson in canvases/ I think if I fail again/ That I know you’re still listening/ Maybe it’s all gonna turn out all right/ And I know that it’s not, but I have to believe that it is„
Genau so funktioniert eine Platte, die auf instrumentaler Ebene den Schritt vom auf Sprained Ankle herrschenden Minimalismus mit viel Subtilität hin zu einem reichhaltigeren Instrumentarium um sanfte Streicherpassagen schafft, während die Ausnahme-Texterin Baker auf lyrischer Ebene die Perspektive der Innenansichten nunmehr auch über nahestehende Personen reflektiert.
Eine Entwicklung, die nicht immer gleich gut aufgeht. Wo Bakers Texte immer noch den Atem raubende Bilder eines gepeinigten, ambivalenten Seelenlebens liefern, erweisen sich die gewonnenen Arrangements als relativ generisch konzipiertes, rein ausschmückendes Beiwerk, das dennoch nicht verhindern kann, dass es dem Songwriting gerade über die Dauer von 43 Minuten mit einem Hang zum marginalem Leerlauf an Spannungen oder der nackten Größe wirklich starker Melodien fehlt.
Ein Everything that Helps You Sleep genießt so als würdevolle Klavierballade etwa durchaus den sich auftuenden zusätzlichen Raum einer vollere Klangppalette, leidet sich aber doch ein wenig zu mäandernd lamentierend durch seine schweren Gedankenwelten. Leichte Variationen im Auftreten wie diese kosten den Kleinoden von Baker ganz allgemein gerade im Vergleich zu Sprained Ankle merklich an markantem Fokus – auch die zuspitzenden Ausbrüche wollen diesmal nicht mehr gänzlich derart pointiert gelingen.
Auch macht es sich die verhalten schrammelnde Emotionalität des über postrockigen Delay-Flächen treibenden Titelsongs (als Beispiel für ein auf Albumlänge immer wieder verwendetes Kompositionsmuster) zu einfach, indem Baker hinten raus demonstrativ die Zügel enger zieht, lauter und aufbrausend wird. Turn Out the Lights des öfteren ähnlich vorhersehbar, wenn sich die Songs gegen Ende gerne auf die Hinterbeine stellen, ihren Gefühlen freien Lauf lassen.
Solch pressend geschrieenen Geangspassagen bräuchte die Platte nicht immer als Ventil – die Intensität entsteht schließlich primär in der beklemmenden Ruhe, Fragilität, Nahbar- und Verletzlichkeit – weswegen Turn Out the Lights seine Katharsis in diesen Momenten zu cheesy mit der Brechstange forciert.
Freilich sind die Songs (mit Ausnahme des erst Gänsehaut bereitenden, dann mitunter an den Nervensträngen verzweifelten Closers Claws in Your Back) selbst hier noch zu subtil, um das große Drama von Shondaland-Abspännen zu untermalen, doch arbeitet Baker diesmal zu konditioniert an ihren kultivierten Stärken vorbei.
Freilich ist allerdings nicht alles ernüchternd am Wachstumsprozess der Julien Baker – im Gegenteil: Turn Out the Lights hält einige der berührendsten, aufwühlendsten und schönsten Szenen des Jahres bereit.
Etwa, wenn in das atemberaubende Juwel Shadowboxing klammheimlich Streicher kriechen, der Song anschwillt und sich an die Stimmung von Entrückungen wie Everybody’s Gone to the Rapture oder The Leftovers schmiegt, während der Wellengang und die Dynamik von Bakers Gesangs eindrucksvoll organisch an den Gegebenheiten wächst. Es gibt zudem bezaubernd in sich gekehrte Szenen wie Sour Breath oder die elegische Klavierballade Televangelist, die einen ein sanftes Lächeln ins Gesicht zaubern könnte, würde Julien nicht die eine oder andere Träne durchs Knopfloch pressen – spätestens wenn die Orgel und ein Chor wachsen, fühlt man sich da zutiefst geborgen.
Even ist purer Seelenbalsam, Happy to be Here trägt die getriebene Aufrichtigkeit eines Elliott Smith in sich, verzweifelt und bemitleidet sich auch selbst, bevor Hurt Less mit seiner Jon Brion-Äthetik fast schon lieblich und optimistisch in den Arm nimmt: „I just don’t want to be alone/And as long as you’re not tired yet/ Of talking, it helps to make it hurt less /…/ Because when I’m with you/ I don’t have to think about myself/ And it hurts less„.
Während dieser Kraftakte scheint Baker dem Hörer alle Last der Welt von den Schultern zu nehmen. Das rechtfertigt vielleicht nicht gänzlich den momentan um sie grassierenden Hype – alleine schon deswegen, weil Turn Out the Lighst auf seine Highlights destilliert und um die beiden fabelhaften Single-Komplitzen Funeral Pyre und Distant Solar Systems erweitert deutlich besser ausfallen hätte können – aber nichtsdestotrotz eine Selbstaufopferung entfaltet, die einem in dieser Form aktuell kaum jemand sonst geben kann.
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