Julia Holter – Something in the Room She Moves
Knapp fünfeinhalb Jahre nach dem Opus Magnum Aviary hat Julia Holter (mit einigen Anlaufschwierigkeiten) versucht, jene verspielte Neugierde in ihrem Werk musikalisch einzufangen und widerzuspiegeln, die sie in ihrer während der Pandemie geborenen Tochter beobachtet.
Um sich als Hörer an dieser von Holter in gewohnt avantgardistisch den Song-Kontext mit freien, fließenden Strukturen jenseits des Artpop artikulierten Erfahrung erfreuen zu können, gilt es allerdings erst einmal, den Opener Sun Girl zu überstehen, der es in seiner maßgeblichen luftigen Stimmung und zum ausfasernden Mäandern neigenden Form dennoch schafft, hart an der Nervgrenze zu wandern. Der ätherisch griffige Refrain („Sun girl, sun girl/ Sun may, some girl/ Sun maze, some girl“) wird von Holter auf dem Weg zum naiven Kinderlied schließlich weit über Gebühr repetiert und mutiert von der abgeklärten Harmonie der Catchiness zur anstrengenden Ermüdung.
Dass Sun Girl für Holter im Aufnahmeprozess am schwierigsten zu fassen gewesen sein soll und quasi erst auf den letzten Drücker in einer der Jam-Sessions, die das Songwriting der Platte prägen, doch noch gebändigt wurde, meint man in dieser relativ hartnäckigen Gezwungenheit enervierend zu hören.
Danach entfaltet sich (das titeltechnisch eine Verneigung vor George Harrison machende) Something in the Room She Moves gerade durch die unverbindliche Weise, mit der Ideen, Hooks und Melodien in einem vagen Fluss die äußeren Ränder der Aufmerksamkeit mit direkter Wirkung passieren, jedoch umso einnehmender. Ein lebendiger Mikrokosmos flötiert und lässt Bläser in einem jazzigen Umfeld mit bundlosem Bassspiel zur Lehre von Mark Hollis schwelgen, nimmt die Einflüsse von T. R. Mahalingam und Joe Hisaishi auf.
Da ist nichts davon zu spüren, dass die 39 jährige nach Never Rarely Sometimes Always und Karen Dalton: In My Own Time erst mit einer latenten Schreibblockade sowie vielseitigen widrigen Umständen von COVID-19 kämpfen musste, um gemeinsam mit Co-Produzent Kenny Gilmore und dem Mitwirken von Devin Hoff, Chris Speed, Elizabeth Goodfellow, und Lebensgefährte Tashi Wada entlang offener Arrangements mit experimenteller Spontanität ein geradezu typisches Stück naturalistischer Trademark-Holter-Avantgarde aufgenommen hat.
Gerade die restliche Eingangsphase gerät dort dann überragend, wenn These Morning als ambienter Jazz als Lounge-Trance in Zeitlupe döst, bittersüß in sehnsüchtiger Milde säuselt und die flüchtige Ader der Schönheit umso wirklich werden lässt, der Titelsong als soulige Kontemplation über die Tasten schippert, gelöst unaufgeregt zwischen einem vorsichtig überschwänglichen Aufblühen im der Introspektion flaniert, und das reduzierte Materia als einsame Miniatur so fragil und intim wie ein Nachhall von Synecdoche, New York anmutet.
Auf diesen fabelhaften Lauf folgend macht Holter weiterhin Holter-Sachen, wenn auch weniger aufsehenerregend und trotz einer gewissen Plakativität durchaus subversiv funktionierend.
Der mystische Choral Meyou klingt in etwa, als hätte Björk einen Ari Aster-Hexenfilm untermalt und Spinning stellt eine Art maschinellen Post-Retrofuturismus dar. Ocean folgt seinem Titel entsprechend zu Blade Runner 2049 als Ambient-Märchen und der Impressionismus Evening Mood zelebriert Pop der Grenze zwischen Eingängigkeit und Illusion, unweit von Love is. Im pastoralen Experiment Talking to the Whisper biegt Holter zur Mitte mit organischer Improvisation ab und driftet mit abrasiven, kakophonischen Nuancen im Jazz, bevor Who Brings Me einen behutsam Ausklang beschert. Ein bisschen ist Something in the Room She Moves danach wie ein Traum, dessen Inhalt man beim Erwachen bereits wieder vergessen hat, der jedoch ein wohliges, undefinierbares und doch so vertrautes Gefühl zurücklässt.
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