Julia Holter – Aviary
Julia Holter skiziert „die Kakophonie des Verstandes in einer schmelzenden Welt“ und fängt mit Aviary über knapp eineinhalb Stunden ihr ambitioniertes, verkünsteltes, wunderbares Opus Magnum ein.
In dieser auslaugenden Länge nimmt Aviary drei Jahre nach Have You in My Wilderness (2015) ganz bewusst in Kauf, dezitiert unfokussiert über improvisierte Nicht-Strukturen in den Randgebieten des Pop (mit unbedingten Präfixen wie Chamber-, Avantgarde-, Experimental- oder Ambient-) enervierend herauszufordern, zu mäandern, und sich in einer so assoziativen wie imaginativen Klangmalerei zu verlieren.
Ja, das fünfte Studioalbum der Amerikanerin hätte defintiv ein noch besseres, weil kohäsiveres und zielführenderes Album werden können, wenn Holter die Zügel hier und da enger gezogen, den Willen zur selektiveren Stringenz zugelassen hätte. Wenn etwa der knapp achtminütige Komplex von Everyday Is an Emergency erst lange so klingt, als würde ein Kindergeburtstag mit hemmungslosen Tröten disharmonisch ausarten, dann ist zwar die grundlegende Absicht dahinter erkennbar, den suchenden Albumfluss durch diese Ungemütlichkeit aufzureiben – rein kompositorisch ist dieses ausnahmslos ästhetische Stilmittel jedoch viel zu verkrampft und anstrengend auf prätentiöse Kunst getrimmt. Dieser verkopfte Zwang zur Kompromisslosigkeit gehört aber zu Holter, wie ihr facettenreicher Gesang oder die unorthodoxen Melodien.
Wenn Holter im selben Stück zudem den kontrastreichen Umschwung zur versöhnlich-intimen Klavierballade findet, dann ist das nicht nur ein symptomatisches Zeichen dafür, dass Aviary doch auch die griffigen, zugänglichen und konventionelleren Momente fehlen, in die man sich im bisherigen Werk der Kalifornierin über die Hintertür verlieben konnte – sondern auch der exemplarische Knackpunkt einer Platte, deren erste Hälfte in ihrer Abstraktheit durchaus eine schwierige Odysee darstellt, wohingegen den theatralischen Stream of Conciousness trotz beibehaltener Eigenwilligkeit in immer schlüssigeres Songwriting und deutlicher einnehmende Konturen übersetzt.
So stimmig und kohärent Aviary sich von Anfang an zusammensetzt (gleich Turn the Light On etwa die sich in Einklang bringende Kakophonie im Orchestergraben ist, die prägnante Rhyhtmik von Wheter um funkelnde Synthies stackst oder Chaitius eine märchenhafte Melange mit Jazz und transzententalen Guillemots darstellt), bestimmt erst doch auch ein gewisses Maß an Leerlauf die mitunter dekonstruktivistisch-hypnotische Trance, die mit ihrer auch kalkulierten Andersartigkeit das Feuilleton verzücken wird, mittels intuitiven Chaos auch bewusst wohlig zu becircen weiß, damit aber eben über eine gewisse emotionale Distanz (noch) primär nur interessant bleibt.
Vor allem aber bieten sich da neben ätherischen Schönheiten wie dem beinahe psychedelischen Stimmengewirr Voce Simul erst und nur wenige Szenen, um sich festzuhalten – weswegen sich adelnde Referenzen praktisch aufdrängen: Aviary klingt immer nach Julia Holter, aber auch wie der formlose gemeinsame Traum von Brian Wilson, den Cocteau Twins und Björk, wie Scott Walker aus der Perspektive von Talk Talk, in dessen sphärisch texturierten Teppich nicht nur in Colligere der Einfluss von Kate Bush schwebt.
Es ist insofern schwer zu verorten, ob der sperrig zu ergründende Grower Aviary nicht erst einfach nur eine gewisse Orientierungsphase benötigt, um dem Hörer seinen Platz im Geschehen anzubieten – tatsächlich kann man sich spätestens ab dem bezaubernden Harmoniegeflecht I Shall Love 2 jedoch ohnedies kaum noch der eigenwilligen Gravitation der Platte entziehen und taucht in die volle Größe eines Mammutwerkes ein, das seiner Aspiration immer mehr nachkommt.
Underneath the Moon wirkt in seinem stoischen Rhythmus wie eine luftige Analogie auf die Swans im Freejazz, In Gardens‘ Muteness probt die wundervoll-unwirkliche Klavierelegie und I Would Rather See skizziert berauschende Anmut. Les Jeux to You nähert sich ausgelassen ansatzweise den zugänglichsten Momenten von Have You in My Wilderness an, während Words I Heard elegant blüht und I Shall Love 1 mit einer Vehemenz jubiliert, die einem förmlich das Herz aufgehen lässt. Why Sad Song ist danach der würdige, versöhnliche Abschied einer nicht makellosen, aber doch formvollendeten Collage – kein Epilog, der all die fantasievollen und schrägen Arrangements des stimmungsvollen Aviary zu einem restlos runden Bogen schließt, sondern vielmehr mit weit offenen Toren auch ein bisschen ratlos entlässt. Auch nach duzenden Durchgängen ist es fragwürdig, ob Holters Entwicklung hier tatsächlich einen neuen Zenit erreicht, oder diesen durch die provozierte Erhöhung nur suggeriert.
Sicher ist insofern nur, dass auf dem fünften wundervollen Album der 33 Jährigen in Folge weniger über die volle Distanz noch mehr gewesen wäre. Dieser polarisierende Charakter ist dann aber im Grunde nur Teil einer tonalen Reise, die schlichtweg überwältigend hätte ausfallen können – sich stattdessen aber entscheidet, über weite Strecken nicht so sehr ergreifend, wie vielmehr beeindruckend zu sein.
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