Jon Hopkins – Immunity

von am 24. Juli 2013 in Album, Heavy Rotation

Jon Hopkins – Immunity

Immunity‚ ist eine 60 minütige Wanderung durch die Nacht in den Sonnenaufgang; ein rauschhaftes Flechtwerk aus progressiven Techno-Extasen und ätherisch treibenden Ambientlandschaften – in den besten Momenten ein schlichtweg magische Reise.

Zu Beginn fällt die Tür ins Schloß, Hopkins begibt sich hinab in ‚Immunity‚. Die Beats arbeiten bereits im Unterbewusstsein, schälen sich im Mix langsam nach vorne. Darüber schnipseln und fiepen die Effekte, verdichten das Szenario beständig. ‚We Disappear‚ wird pushender, spartanische Melodielinien schweben über dem hartnäckig am Puls dröhnenden Bass, das Ende schimmert ohne Verrenkung im ambienten Zwielicht. Die Eröffnung ist für den 34 jährigen Londoner eine Aufwärmrunde für den folgenden Amalgamtriumphzug, stellt aber bereits nach 7 Minuten klar: Hopkins ist mit seinem vierten Album unter alleinigen Banner eine kreative Initialzündung gelungen und mehr noch: ein potenter Quantensprung gegenüber seinem bisherigen Solo-Schaffen.

Eben dieses konnte man mit den weitestgehend im Downbeat angesiedelten Talentproben ‚Opalescent‚ (2001) und ‚Contact Note‚ (2004) zumindest vielversprechend finden – unter dem Radar der breiten Öffentlichkeit zeigte aber spätestens der indirekte ‚Immunity‚-Vorgänger ‚Insides‚ (2009) erhabene Ansätze. Vordergründig immer dann, wenn Hopkins sich seiner Klavierausbildung erinnerte, melancholische Melodien in das Gefüge aus Beats und Rhythmen tröpfeln lies – was sich auch stimmungsvoll auf dem Soundtrack des Indiehypes ‚Monsters‚ nachhören lässt.
Noch vielversprechender allerdings die zahlreichen Kooperationen Hopkins‘ über die letzten Jahre: im Detail und Hintergrund das Mitwirken auf den beiden letzten Coldplay-Alben, dazu die stetige Zusammenarbeit mit Soundscape-Tüftler Brian Eno und vor allem die Tätigkeit als Score-Bereitsteller für King Creosote. Über all diese Stationen perfektionierte Hopkins seine nachdenklich pulsierende Elektronik, brachte ihr das Tanzen und Weinen gleichermaßen bei und ist nun beim Feinschliff angelangt: ‚Immunity‚ ist druckvoller, selbstsicherer, packender und dichter gestrickt als alle bisherigen Arbeiten des Engländers, vielleicht sogar das ultimative Border Community-Album, das James Holden noch nicht veröffentlicht hat: ein schwindeleregender Traumtanz über die Nahtstelle aus transzendentalen Ambientschichten und weitläufigen IDM-Techno.

Zwischen diesen Polen vollzieht ‚Immunity‚ über seine gesamte Spieldauer hinweg eine Metamorphose. ‚Open Eye Signal‚ startet irgendwo im Orbit und dringt dann noch tiefer in die von ‚We Disappear‚ installierte Materieein: die wummernden Beats rotieren, drückenden Sub-Bässen schieben wuchtig bratende Sequencer vor sich her, Hopkins legt Schicht um Schicht zu einer bombastisch halluzinierenden Tanzflächenbombe, die sich kompromisslos im Raum ausbreitet, nach vorne gehend in die Zukunft pumpt und dennoch nocht auf ihre Atempausen vergisst.
Dennoch beginnt erst ‚Breathe This Air‚ Hopkins Absichten aufzufächern: zu Anfang kickt die Bassline, Snare und Hi-Hat boxen – und plötzlich ist man mitten drinnen im Auge des Sturms: sorgsame Pianotupffer übernehmen den Song, beruhigen ihn, nur um ihn behutsam wieder aufzubauen. Der behände gehaltene Beat im Hintergrund treibt hin zum 2Step, im Zentrum steht jedoch betörend schöner Minimalismus, eine flächige Trance, die Umgebung verschwimmt. Dancemusic für den Weltraum.

Ein dankbares Feld, in dem ‚Immunity‚ in weiterer Folge prächtig gedeiht. Das stöhnende ‚Collider‚ verliert sich stoisch wummernd und schnepfenden in apokalyptischen Soundfeldern, der Körper bewegt sich und das Kopfkino rotiert. ‚Immunity‚ beginnt nach seiner konzentrierten Anfangsphase zur Ruhe zu kommen.
Abandon Window‚ ist derart gedankenversunkener Score, ein tiefbetrübtes Piano blickt sehnsüchtig in den Nachthimmel, hin zu ‚King Creosote‚: Sigur Ròs sind hier näher als alle Technoproduzenten. Deswegen bleiben keine Fragen offen, warum ‚Immunity‚ auf dem Indie-affinnen Domino Records und nicht einem Szene-Elektro-Label erschienen ist: Hopkins‘ Werk ist konsenstauglich zwischen die Stühle gebettet, ohne schwammig oder unentschlossen zu wirken.

Form by Firelight‘ lässt es dann verschwurbelt knistern, klickern, brutzeln und klackern. Würden sich Boards of Canada an Tasteninstrumenten derart wohl fühlen wie Hopkins es tut, hätte ‚Tommorow’s Harvest‚ eventuell derart klingen können. ‚Sun Harmonics‚ ist über fliegende 12 Minuten hingegen flimmernde Rhytmuslastigkeit im Chill Wave-Modus, ist friedfertiges Driften, nicht immer zwingend, aber wohlig umschließend.
Dennoch: zu keinem Zeitpunkt ist ‚Immunity‚ erhabener, gefühlvoller, majestätischer und schlicht schöner als im abschließenden Titelsong. Der Rhythmus rattert gemächlich als einsamer Zug in Richtung Sonnenaufgang, Hopkins loopt sein Piano über King Creosotes säuselnden Gesang. Die Party ist längst vorbei, ‚Immunity‚ verglüht so leise wie bewegend als Triumphzug mit schwerem Herzen und bedrückend intensiver Atmosphäre.
Dass die Nahtstellen der Platte im Rückblick nicht an allen Punkten zu gleichen Teilen makellos verarbeitet sind und sich Hopkins selten aber doch etwas zu sehr in in seinen Soundlandschaften zu verlieren droht fällt hier nicht weiter ins Gewicht. Vor allem aber macht es seinen Schöpfer nicht zum Lügner: ‚Immunity‚ sei „das menschlichste elektronische Album das es dieses Jahr zu hören gibt“ behauptet Hopkins. Womit er Ende Dezember ziemlich sicher Recht haben wird. Bereits jetzt kann ‚Immunity‚ im bärenstarken Elektrojahr 2013 jedoch schon einmal einen fixen Platz in den Jahreslisten für sich reservieren.

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