Johnny Jewel – Digital Rain
In Sachen Dear Tommy lässt Johnny Jewel seine Anhänger weiterhin im Regen stehen – dafür liefert der Chromatics-Boss und Atmosphäre-Meister mit der instrumentalen Synth-Gedankenverlorenheit Digital Rain nun einstweilen jedoch den vielleicht idealen Wartezeit-Soundtrack für das Kopfkino.
Dass Jewel es absolut trittsicher beherrscht cinematographische Bilderflüsse aus seinem Areal an Keyboards und Synthies zu zaubern, ist nicht erst seit seinem letztjährigen Twin Peaks–Verwandten Ausflug Windswept bekannt: Der Mann ist durch Arbeiten mit Nicolas Winding Refn oder die Hollywood-Bauchlandung Ghost in the Shell längst auf stilvoll designte Klangflächen mit neongrell schimmerndem Retrofuturismus abonniert.
In exakt diese Kerbe schlägt nun auch Digital Rain, gewissermaßen ein Konzeptwerk über die liquiden Auswüchse des Wetter (aber auch – siehe am Artwork – andere Aggregatzustände der chemischen Verbindung, sowie – siehe im Titel – symbolische Aufarbeitungen der Thematik im Zeitalter der Datenströme), das sich gefühltermaßen dort positioniert, wo die finsteren Noir-Regengüsse des Original Blade Runner-Albtraums sich langsam für die kargen Menschenwüsten des wundervollen 2049er-Nachfolgers zu lichten begonnen haben:
Digital Rain ist eine Ambientreise geworden, in sich sinnierend und ohne markante Spannungsbögen treiben. Jewel benötigt keine Gitarren, keine Drums oder Rhythmen, keine Vocals (obwohl das schlichtweg wunderschöne What If? vage an die digitale Assimilierung eines streicherschwangeren Chores gemahnt), selbst die Unterteilung in Tracks (19 Stück über 41 Minuten) ist eher praktischer Natur. „A mirror image of itself designed to play as a singular liquid movement“ nennt Jewel das Ergebnis und wahrlich: Alles hier fließt, umspült, evoziert eine vertraute Faszination. Leicht abstrakt und dunkel, eine sphärische Mediation. Die sofort in den Bann ziehende homogene Stimmung des Gesamtwerkes steht über allem, die (analogen) Synthies flimmern, fiepen, prasseln, funkeln und glimmern. Der Waschzettel spricht blumig von „three dimensional beds of analogue warmth encompassed in raw electronic moisture“ und liegt damit auch gar nicht so falsch.
Kontemplativ begleiten die Klänge Jewel und den Hörer, ohne sich in den Vordergrund zu drängen, unverbindlich und imaginativ weit schweifend. „After living a few years in a desert climate, I realized I was nostalgic for the constant presence of precipitation from every city I once called home. The desert is constant, and I love this repetitious ritual of Los Angeles so much“ ergänzt Jewel. „As moisture and humid weather seem more and more like a dream I once had or a fading memory of the places I fell in love with, I wanted to make a record without drums, without lyrics, vague in form. Each track morphing and eclipsing the next like the ever-changing movement of clouds obscuring the moon.„
Diese Ambition bannt Jewel gekonnt in Töne. Wie bei seinen Arbeiten abseits der kompositorisch songorientierten Spielwiesen gelegentlich jedoch leider üblich, wirkt auch Digital Rain dabei jedoch eher wie eine rundum schlüssige, im Detail aber nur vage Skizze von vorhandener Ideen und Impressionen, die in der durchaus vorhandenen Kohärenz der einnehmenden Atmosphäre badet, dabei jedoch auch die einzelnen herausragenden Momente missen lässt. Szenen etwa, in denen die Klanglandschaften sich intensiver zuspitzen oder klare Melodien forcieren würden, Konturen aus der reinen Hintergrundbeschallung und verdichtenden Sphären-Untermalung schärfen dürften, oder aber nicht ausnahmslos den imaginativen Weg zum Ziel erklären sollten. Digital Rain ist ein passiver Begleiter, ein Konsumprodukt. Der Soundscape-Score, um gedankenverloren durch Fenster in die Straßenschluchten moderner Großstädte zu blicken, die sich nach den 80ern verzehren.
Jammern auf hohem Niveau sicherlich, denn Digital Rain ist durchaus gut in dem, was es will und tut, bleibt dabei jedoch auch ohne die klar erkennbare Handschrift eines Windswept oder der charakteristischer inszenierten Symmetry-Arbeiten viel mehr als alles andere eine nach zu stereotyp spielenden Genreregeln handelnde ätherische Fingerübung, die eine wirklich herausfordernde Motivation vermissen lässt – Akzente setzende Ausnahmen wie das pulsierende The Runner bleiben leider in der Unterzahl.
Fans stellen sich das natürlich nichtsdestotrotz (und gerade deswegen) postwendend ins Regal, träumen zu dieser Zeitvertreibung – dürfen sich aber mit dem leise aufkeimenden Verdacht solider Langeweile durchaus im Hinterkopf behalten, dass das nicht nur viele Genre-Kollegen originärer, essentieller und auch spannender hinbekommen haben, sondern eben vor allem auch Jewel selbst. (Vielleicht wird es insofern ja endgültig Zeit für den Trendsetter, in den vergangenen Jahren installierte Instrumental-Bequemlichkeiten abzuschütteln – beziehungsweise sich Obsessionen zu stellen – und für neue Impulse in alte Komfortzonen mit konventionellen Strukturen zurückzukehren).
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