Johnny Cash – Songwriter

von am 8. Juli 2024 in Album

Johnny Cash – Songwriter

Zehn Jahre nach Out Among the Stars erscheint mit Songwriter das fünfte posthum veröffentlichte (und insgesamt wohl 72.) Studioalbum von Johnny Cash – und zeigt den Man in Black an der Schwelle zum American-Kapitel mit Rick Rubin.

Kurz bevor Cash mit dem legendären Produzenten zusammentraf, nahm er, von Plattenfirmen im Stich gelassen und weitestgehend aus dem öffentlichen Interesse verschwunden, Anfang 1993 einige Demos auf – ein paar seinerzeit neue Stücke waren ebenso darunter, wie einige wenige ältere. Gemeinsam war ihnen allen eine mitunter klischeehafte Vergangenheitsliebe und die fehlende Perspektive für eine inspirierte Zukunft.
Die Ergebnisse dieser Aufnahmen wanderten auch praktisch unmittelbar in die Mottenkiste. Denn dann kam eben Rubin – und der Rest ist Musik-Geschichte.

Weil Archiv-Sichtungen aber immer eine lukrative Sache sein können, tauchten die Demos aber letztendlich wieder auf und wurden rund drei Dekaden später von John Carter Cash unf David Ferguson entstaubt, zuerst wieder auf das Wesentliche reduziert – also Stimme und Gitarre (wobei Johnny selbst in den Credits abseits des Gesangs keine Erwähnung mehr findet) – und diese Rohfassung dann von namhaften Musikern (unter anderem alten Bekannten wie Marty Stuart oder David Roe, aber auch etwa Dan Auerbach und zweimal sogar Waylon Jennings als Backingstimmgeber) in einen Prä-American-Sound versetzt. Am deutlichsten wird dieses klangtechnischne Bestreben nach dem Anachronismus einer alternativen Realität freilich bei jenen Songs von Songwriter, die einen inszenatorischen Vergleichswert anbieten.

Drive On wie auch Like a Soldier haben es seinerzeit in neuen Versionen auf American Recordings geschafft, hier nun pflegen sie nicht mehr den von 1994 bekannten ikonischen asketischen Solo-Sound. Drive On bleibt zwar reduziert, setzt aber auf einen deutlichen Reverb auf der Stimme und stampft behutsam anziehend mit kontemplativ perlenden Gitarren nach vorne, Like a Soldier ist nun in ein reproduziertes 80er Klanggewand gekleidet – eine Ästhetik also, die Cash damals schon altmodisch klingen ließ.
Auch das von 1963 bekannte Sing It Pretty Sue schippert derart dahin, ist voller und getragener in Szene gesetzt, hat aber nicht die archaische Lockerheit des gackernden Sun-Originals.

Dass Hello Out There (mit Hall und spacigen Keyboard-Schwaden samt Chor den SciFi-Ohrwurm gebend) und die beschwingte Liebeserklärung Poor Valley Girl bereits in den 70ern geschrieben wurden, glaubt man ansatzlos. Auch I Love You Tonite schippert sentimental klimpernd mit nonchalantem Schmunzeln. Have You Ever Been to Little Rock? legt sich als authentisch nachgestelltes Kind seiner Zeit gemütlich marschierend zu den Heartbreakers, das kurzweilige Well Alright gibt die anachronistische Reminiszenz an den Boom Chicka Boom-Verve. Im friedfertig  schunkelnden She Sang Sweet Baby James haben die Arrangements gerade genug Schmalz um nicht kitschig zu werden und Soldier Boy wirkt mit seinem twistenden Schlagzeug und der markant dängelnden Leadgitarre wie ein alter Bekannter. Als beste Nummer erweist sich an der Achse aus Songwriting und Atmosphäre dennoch das bluesige Roadhouse Spotlight mit seiner unmodernen Attitüde und dezent launigen Streichern.

Dass Songwriter einen Gutteil seines Reizes aus einer Was-wäre-Wenn-Nostalgie zieht, passt insofern schon: die sparsamen Veröffentlichung aus dem Nachlass von Cash bleiben geschmackvoll und solide, laufen ebenso gut nebenbei, wie die weniger essentiellen Platten seiner so ausführlichen Diskografie.
Und gerade, wenn man bedenkt, dass das Material hier aus der tieferen der beiden Talsohlen von Cashs Karriere stammt, und zudem Kompositionen zeigt, die eigentlich nur rückwärtsgewand umherstreifen anstatt nach vorne zu blicken, sind die knapp 30 Minuten hier eine wirklich überraschend runde Sache geworden.

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