Johnny Blue Skies – Passage Du Desir
„Sturgill served his purpose, but he’s dead, he’s gone, and I’m definitely not that guy anymore.” Ein Epitaph als Startsignal für das im Kollektiv gestemmte Alter Ego Johnny Blue Skies – und die in Paris entstandene Zäsur-Glanztat Passage Du Desir.
Auch wenn Simpson seit dem Sunday Valley-Einstand (respektive Schwanengesang) To the Wind and on to Heaven über eine (wie angekündigt nach fünf Alben – und zwei Bluegrass-Platten abseits des regulären Kanons – den Schlussstrich ziehende) makellose Solokarriere hart und unberechenbar daran gearbeitet hat, einer der spannendsten Namen und unkonventionellsten Gestalter der modernen Country-Welt zu sein, wusste man vorab dennoch kaum, worauf man sich bei dem Debüt von Johnny Blue Skies einlassen würde müssen.
Denn Hand aufs Herz: The Ballad of Dood & Juanita war vor allem nach dem (heuer Jubiläum feiernden) Meisterwerk Metamodern Sounds in Country Music und dem kaum weniger überragenden Geniestreich A Sailor’s Guide To Earth (“Beware the dread pirate Johnny Blue Skies“) sowie dem überraschenden Anime-Auslagenwechsel Sound & Fury (2019) die einzige schwächelnde Platte des heute 46 jährigen Amerikaners – und das eben zumal als angekündigter Abschied, vor dem eine ungewisse Zukunft stand: Sturgs Stimme ging danach kaputt, etwaige Rückmeldungen gerieten ambivalent und Engagements in Hollywood deswegen offenbar deswegen interessanter, während die Zusammenarbeit mit Diplo vor allem Fragen aufwarf.
41 kurzweilig verglühende Minuten später steht fest, dass Sturgill sich als Johnny Blue Skies tatsächlich neu erfunden hat und anders klingt als bisher – dies aber auch, indem er seine bisherige Diskografie als klar erkennbare Basis für die Evolution nutzt, Fäden aufnimmt und weiterspinnt. Passage Du Desir ist in gewisser Hinsicht absolut typisch Simpson, fühlt sich aber frisch und neu an, lässt sich nicht festnageln und vermittelt zwischen den stilistischen Stühlen sitzend eine komplett eigene, angekommene und runde Vision.
Was sich alleine am Gesang festmachen lässt: Simpsons Stimme ist unverkennbar, er nutzt sein Organ nach der notwendigen Operation 2022 nur zurückhaltender als bisher, intoniert verletzlicher, zärtlicher und sanfter, vermeidet überkandidelte Ausbrüche subversiver in der Ästhetik einer absolut homogenen, aber variablen, im grandiosen Pacing fabelhaft sequenzierten Platte aufgehend, die das Songwriting nach der Atmosphäre formt und nur am Rande im Country verortet werden kann – am deutlichsten wohl im exemplarisch ruhig und unaufgeregten Who I Am („I’ve lost everything I am, even my name/ Been going through changes and finding clarity/ And comfort in just knowing nothing ever stays the same“).
Während Sturg die legendäre Metamodern Band um Laur Joamets, Kevin Black und Miles Miller live begleiten wird, setzt Johnny Blue Skies im Studio auf die Session-Künste von unter anderem Jake Bugg (!) an der Gitarre oder Dan Dugmore für die Pedal Steel, dazu gesellen sich auch beispielsweise Sierra Hull, Steve Mackey oder Fred Eltringham, um im extrem smoothen Sound eine gefühlvoll nuancierte Klangpalette auszubreiten, die nach der relaxt schippernden, soulig orgelnden Ouvertüre Swamp of Sadness von flotter Entspannung in der verträumten Sehnsucht des Softrock und R&b (If the Sun Never Rises Again) über den bluesigen Simplizismus in der chilligen Yacht-Angel-Aufbruchstimmung Scooter Blues („Gonna hop in a boat, throw the paddle away/ Offer my heart up to the break and the sway/ Wake up every day in the sun/ Kick off my flip-flops and go for a run/ Gonna hop on my scooter, go down to the store/ When people say, „Are you him?“/ I’ll say, „Not anymore“/ With the wind in my hair, I’m gonna scooter my blues away„) bis zum knapp neunminütigen Finale One for the Road (das sein Streicher-Arrangements locker beschwingt einwebt, um dann mit aller Zeit der Welt in Pink Floyd-Sphären abzudriften) eine undefinierbare Klassifizierung in der behutsam psychedelischen Avantgarde-Welt nach Black Ribbons erzeugt: weich und warm, einnehmend und angenehm, vielschichtig und tiefgründig. Ein bisschen wie ein vergessener alter Klassiker.
Das ätherische, durch Effekte auf der Stimme entrückte Jupiter’s Faerie klimpert als zweites Herzstück der Platte etwa in einer romantischen Melancholie der 80er jenseits von Oh Sarah und Make Art Not Friends, lässt sich dann gelöst fallen, um mit weiblichen Facetten und Streichern ein subtiles Drama zu zeigen. Und der Drive von Right Kind of Dream kurbelt die relaxte Dynamik mit sentimentaler Nonchalance und Fernsehgarten-Arrangements.
Wie ein meditativ plätschernder, allerdings durch kleine Tempo-Variationen niemals gemütlich werdender Fluss, gleicht das einer geduldigen Odyssee – etwa durch Frankreich, alte Seefahrer-Mythen oder durch die Erinnerungen an ein Outlaw Cowboy-Dasein. Man darf manchmal an Clapton oder John Mayer denken, generell oft an die 70er. Es dreht sich vieles um Identitäten und ein Loslassen, und mehr noch die Liebe als Anker in dieser (persönlicher angelegten und inhaltlich weniger universell funktionierenden) Sinnsuche.
„How I wish that happiness left scars too“ heißt es einmal im Verlauf – und womöglich ist dies die traurigste, klügste und schönste Zeile, um das Wesen des Albums zu charakterisieren.
Passage Du Desir glänzt dabei stets vor allem als Einheit. Kein Song muss ein überwältigendes Highlight sein, aber beinahe jeder kann als nach Zeitlosigkeit anfühlender Instant-Liebling Herzen gewinnen – nur die liebenswürdige Kontemplation Mint Tea begnügt sich neben dem seine Attitüde vor die Nachhaltigkeit stellenden Scooter Blues mit der Rolle als guter Standard in einem grundlegend hochklassigen Niveau.
Am Ende steht deswegen auch eine Zufriedenheit, die nicht überrascht, die man so jedoch dennoch nicht erwarten musste: Johnny Blue Skies legt bei seinem gleichermaßen als Debüt wie ein Comeback funktionierenden Plattenstart mit Luft nach oben den Grundstein für ein neues Karriere-Kapitel. Ahne Altlasten lässt diese Zäsur die Zukunft aufregend erscheinen und macht dennoch schon jetzt deutlich, dass man Passage Du Desir, gerade im Rückblick, als eine der besten Alben des ganzheitlichen Sturgill Simpson-Universums einstufen wird.
Leave a Reply