John Congleton & The Nighty Nite – Until The Horror Goes
Als John Congleton 2011 The Nighty Nite vorstellte, durfte man sich durchaus fragen, inwiefern es für diese tolle Routinefortsetzung tatsächlich eine neue Band brauchte: Der Anschluss an seine kurz zuvor beerdigte Ausnahmekombo The Paper Chase und deren unvollendetes Schwanengesang-Projekt ‚[amazon_link id=“B00221U4QA“ target=“_blank“ ]Someday This Could All Be Yours Vol. 1[/amazon_link]‘ erfolgte über die ‚Dimples‚-Ep schließlich nahtlos.
Seitdem sind nicht nur annähernd fünf Jahre (in denen Congleton mit einen Betätigungsfeld von Swans über Explosions in the Sky bis Baroness und St. Vincent endgültig zu einem der meistbeschäftigten Produzenten der Szene aufgestiegen ist) und ein relativer Namenswechsel für die Band aus Dallas, Texas, vonstatten gegangen, sondern auch ein Entwicklungsprozess, der auf den ersten Blick paradox anmuten mag: ‚Until The Horror Goes‚ macht zwar immer noch genau dort weiter, wo der herrlich schräg disharmonisch gegen den Strich gebürstete Indiewahnsinn von The Paper Chase auf ‚[amazon_link id=“B0026IZULS“ target=“_blank“ ]Someday This Could All Be Yours Vol. 1[/amazon_link]‘ einen direkteren Zugang zur Eingängigkeit und weniger fies verstörenden Zugänglichkeit auftat; mutiert von diesem Startpunkt aus aber gleichzeitig auch hin zu neuen Charakterzügen, indem es seinen Grundzutaten einen neuen Schwerpunkt verpasst: Auf ‚Until The Horror Goes‚ stellt Congleton heftige Synthie-Wälle und Keyboard-Hyperventilatoren in allen schimmernden, drückenden, pumpenden fräsenden Facetten in die Auslage.
Das gewichtet das unverkennbare Congleton-Songwriting nun durchaus markant neu und ermutigt im Gesamten zu Gedankenspielen: Wenn The Paper Chase die Halloween-Rockband des Amerikaners darstellten, sind the Nighty Nite dann seine Interpretation von Weltuntergangs-Party-Pop? Und wenn The Paper Chase Geisterhaus-Psychoterror darstellten, ist ‚Until The Horror Goes‚ dann das Schauermärchen, dass den ausgelassenen Horror hinterrücks über die vermeintliche Freundlichkeit unter dem Bett hervorlässt?
Denn wie es das auf unbehagliche Art friedvolle Artwork der Platte auf unterschwellige Weise bereits suggeriert, ist ‚Until The Horror Goes‚ trotz seiner ansteckenden Direktheit keineswegs so harmlos, wie es die doch überraschende Entgegenkommende in ihrer gemeinen Schlagseite über weite Strecken suggeriert – noch sind die versammelten 39 Minuten letztendlich derart eindimensional ausgelegt, wie es der leicht durchschaubar ins Ohr stampfende Opener ‚Animal Rites‚ in seinem doppelbödig unterhaltenden Gift-Spaß andeutet: Da war es Congleton offenbar doch zu wichtig, sich mit einem demonstrativen Hit zurückzumelden – wer da von einer manischen Vereinnahmung von ‚Real Wild Child‚ gesprochen hat, hatte nicht ganz unrecht, wer die schlauen Lyrics (mitunter) zum Thema Fleischgenuss lobt ebensowenig. Die poppige Richtung der Platte ist damit allerdings gleich eingangs durchaus adäquat vorgegeben.
So überwiegen schon hier die in weiterer Folge noch ausformulierten, in alle Richtungen variierten, gängigen Congleton-Trademarks (der Schrecken im Alltag und das obskur absurde, wenn man nur den richtigen Blickwinkel wählt – alleine die Songtitel sind typisch bis ins Mark): Das altbekannt nervös klimpernde E-Piano mit ausschnaufenden Moll-Akkorden auf der einen Seite, das pochende Schlagzeug in der Mitte – die Gitarren allerdings werden selbst im zerschossenen Freak-Solo am Ende von ‚Animal Rites‚ (Marke: St. Vincent domestiziert ‚You’re One of Them Aren’t You?‚) von aggressiven Synthie ersetzt. Darüber reitet Congleton im manischer Dramatik: „If you want to see a dead body, take off your clothes!“ Später wird er irgendwann direkt auf seine eigene Vergangenheit verweisen („Someday this could all be yours/ but you chose to stay on all fours„) oder das Unbehagen altbekannt beschwören („You deserve to be eaten/ So I hope something eats you„).
Im direkten Vergleich zu seiner alten Band mag das (zumindest auf den ersten Blick) geradezu handzahm anmuten. Die hirnwütigen Umgänge mit den Harmonien und Melodien funktionieren eher als ausschmückende Geste und nicht mehr tragende Elemente – müssen sie aber eben auch gar nicht.
Denn im Herzen ist ‚Until The Horror Goes‚ primär eine um Eingängigkeit nicht verlegene Platte, die nichtsdestotrotz genug Ecken und Kanten liefert, um den Langzeitfan zwar sofort in die Arme zu schließen (hat man sich eine Platte wie ‚Now You Are One of Us‚ erarbeitet, kann ‚Until The Horror Goes‚ durchaus das erschöpfende, übermannende Gefühl vermissen lassen, die Catchyness in struktureller Einfachheit gar zu sehr auf dem Silbertablett serviert wirken), danach aber genug Reibungspunkte liefert, um langfristig auch ohne Überorderung am Nervenkostüm zu faszinieren.
Dass Congleton mit ‚Until The Horror Goes‚ quasi eine Synthie-Easy-Listining Version von The Paper Chase installiert hat, entbehrt so zwar letztendlich der Größe und auslaugend-erfüllenden Substanz seiner ehemaligen Band, aber nicht deren elementarer Reize – und einem so bisher von ihm ungekannt sofort zündenden Unterhaltungswert und Kurzweiligkeit. Wodurch er den stärker forcierten Zug zur Schmissigkeit hinter einer absolut grandios vielschichtigen Produktion auch dazu nutzt, 10 wachsende Ohrwürmern abzuliefern.
‚The White Powerless‚ rumort immer wieder bösartig grummelnd, spätestens der Refrain holt aber geradezu freundlich an Bord, während ‚Just Lay Still‚ mit Elektrobeats und Streichern die neu gefundenen stilistischen Freiheiten von The Nighty Nite einflicht – sie auch: Der Hip Hop-artige Rhythmus in ‚Who Could Love You Lucille?‚.
Das stört es auch nicht, wenn die minimal abbauende zweite Albumhälfte vor den mitternächtlichem Gebimmel der eindringlichen Neurosen-Predigt ‚A Tale Told by an Idiot‚ oder ‚Put Your Teeth In‚ ein wenig zu sehr auf Autopilot umschaltet, wenn ‚Until It Goes‚ den flehenden Congleton vielleicht unmittelbar emotionaler denn je klingen lässt oder der unheimliche Schiffsglocken-Friedhof ‚You Are Facing the Wrong Way‚ in eindringlich-unheimlicher Atmosphäre und dennoch gleißender Versöhnlichkeit entlässt.
Doch gerade die leichgängigeren Kompositionen kommen der gegenwärtigen Ausrichtung Congletons am deutlichsten entgegen: ‚Your Temporary Custodian‚ mutet da fast schon als befreiter Singelong an, während dessen melancholischen Ende eine zurückgenommene Akustikgitarre den dichten Sound angenehm durchlüftet. Und dass der freundliche Climax von ‚Canaries in the Coal Mine‚ mit seinem polternden Streichern und weinenden Sägen tatsächlich ein Lächeln ins Gesicht zaubert, ist dann praktisch ein Unikum für das eigene Schaffen des John Congleton.
Und zudem einer der stärksten Argumente, wegen derer es gelte, die Fortführung der (hier noch nicht restlos ausgegorenen, aber so vielversprechende) Karriere mit The Nighty Nite weiterzuverfolgen. Denn dass die eigentliche Leidenschaft mittlerweile seinem Produzentenjob gehört, schmälert das Können des so unverwechselbaren Songwriters John Congleton weniger, als die subjektive Bürde in das Wissen von Alben wie ‚Hide the Kitchen Knives‚ oder dem Meisterwerk ‚Now You Are One of Us‚.
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