John Carpenter – Lost Themes II

von am 5. Mai 2016 in Album

John Carpenter – Lost Themes II

Lost Themes II erfüllt als klassisches Sequel geschickt stereotype Erwartungshaltungen, indem es primär die Charakteristiken des Vorgängers weiterbedient, dazu aber gewachsene Ambitionen an den Tag legt und im Detail genug Feinjustierungen und Ergänzungen für die installierte Erfolgsformel parat hält. Ein besseres Album als seinen Erstling hat John Carpenter damit aber dennoch nicht zwangsläufig abgeliefert.

Gemeinsam mit seinen Co-Songwritern (Sohn Cody und Patensohn John) hat Carpenter die 12 neuen Songs nach striktem Terminplan und ohne räumliche Distanz in Gemeinschaftsarbeit erstellt, während die erste Tour gebucht wurde. Dass sich die Produktionsbedingungen für den 68 Jährigen Musiker seit seinem Debüt 2015 geändert haben, hört man Lost Themes II an, wenn auch nicht unbedingt an der Oberfläche – denn dort macht Carpenter nun nahtlos dort weiter, wo Lost Themes im Vorjahr das Kopfkino mit retroschicken 80er-Synthie-Thrillern durch horrende Nebelfelder scheuchte und das Unterbewusstsein mit kühl treibender Halloween-Ästhetik kitzelte.

Doch dahinter ist Carpenter merklich motiviert als Musiker zu wachsen, seinem Trademark-Sound neue Impulse zu verschaffen. Gleich das eröffnende Distant Dream pumpt so nur anfangs erfreulich überraschungsarm nach altbekanntem Muster nach vorne, nimmt aber zur Mitte hin die Abzweigung hin zu einer Gangart, der mehr Bandkontext suggeriert, indem das organisch ausstaffierte Schlagzeug regelrecht jammend-atmend das Tempo aus dem Song nimmt und zu streunen beginnt, womit der Opener auch ohne gelungenen Knockout-Moment durchaus die Weichen für diszipliniert eingearbeitete Neuausrichtungen stellt.
Lost Themes II erweitert das bereits vorhandene Instrumentarium, kürzt seine Kompositionen näher an populärkulturelle Konturen, will gleichzeitig mit deutlicheren Wendungen und markanteren Ideen aufwarten und dazu einen dynamischeren Gesamtfluss installieren – ohne deswegen jedoch die DNA seines Vorgängers abzuwandeln oder mit dem Vorschlaghammer zu modifizieren. Mit ambivalenten Erfolg: zwar hatte Teil 1 die übermannendere Stimmung und dichtere Atmosphäre, doch wartet Lost Themes II mit den spannenderen Ideen und Songs an sich auf. Zudem mit solchen, die eben ein breiteres Spektrum im imaginativen Filmpalast ausmalen können.

In der Einzelansicht bedeutet dies: White Pulse baut seine Spannung sinister strahlend und feingliedrig mit akzentuierter Streicherunterstützung auf, nur um sich in wuchtig schiebende Synthe-Wellen zu stürzen und plötzlich doch einem klar scheinenden Ambientteil Platz zu machen. Carpenter will es im Hakenschlag offenbar hartnäckig vermeiden, trotz wiederverwerteter Schablonen in formelhafte Raster gepresst zu werden und liefert so früh ein Highlight der Platte. Persia Rising führt dagegen explizit vor, dass Melodien einen homogeneren Platz im Konstrukt gefunden haben, Harmonien nun besser ausbalanciert werden. Windy Death darf sich so gar episch und erhaben ausruhen, das schöne Hofner Dawn ist gar unmittelbar als vager Gitarrentraum aufgebaut.
Stichwort Gitarren: Diese prägen Lost Themes II immer wieder eklatant, in zahlreichen Facetten, die jedoch nahezu allesamt zu klassischen Hardrockismen schielen. In Dark Blues braten sie etwa unter den kopiergeschützten Synthies, erzeugen einen Nervenkitzel ohne Hast, bis ein waschechtes Gniddelsolo den Mond anheulen darf. Angel’s Asylum beginnt hingegen, als würde Carpenter nun Romanzen drehen, mutiert jedoch alsbald zu einer waschecht stampfenden, breitbeinigen Stadionnummer mit fetten Drums. Dabei zeigt sich zwar, dass Carpenters Songwriting per se trotz aller Ambitionen noch nicht wirklich ausgereift ist und damit das im Vergleich zum Vorgänger weniger tiefenwirksame Ambiente nicht vollends auffüllen kann – doch spätestens wenn am Ende eine folkloristische Lockerheit in das Geschehen gezupft wird, egalisiert das Trio um Mastermind Carpenter dieses Manko beinahe durch ein Plus an Spielwitz.

Dennoch geht Lost Themes II auf dem besten Wege zum fulminanten Update die Puste aus. Virtual Survivor klingt so, als würden eben Survivor die stagnierenden Motive Carpenters mit dem dängelnden Neonreklame-Rock der Chromatics unterwandern – oder so, als würden die beiden Jungspunde aus der zweiten Reihe den Altmeister gar zu bemüht aus seiner Komfortzone ziehen wollen.
Der müde Tribut Bela Lugosi plätschert dann ohnedies ziellos, und auch Utopian Facade kann mit seinem orchestralen Finale die davor praktizierte Ereignislosigkeit nur bedingt kaschieren, während Lost Themes II auf Dauer selbst über die betörend suchende Melancholie mit all dem unterschwelligen Unwohlsein von Last Sunrise einfach die Puste ausgeht.
Wo insgeheim auch die Vermutung nahe liegt, dass die zeitliche Distanz zwischen den stilistisch sehr ähnlichen beiden Teilen einfach zu kurz war, um von Lost Themes II nicht zusätzlich schnell übersättigt zu werden, rückt der Abschluss Real Xeno als ätherisches Ausklingen mit Freitags-Jason hinter jeder Hausmauer die Eindrücke gerade, wenn plötzlich hemmungsloses Riffing das Ruder an sich reißt und unterstreicht, dass dieses Zweitwerk mit einigen gewichtigen Kürzungen seinen Vorgänger durchaus übertreffen hätte können. Mag der Leerlauf diesmal gravierender zu Buche schlagen als noch auf dem mit neugieriger Nostalgie aufgenommenen Lost Themes, sind die besten und coolsten Passagen auf Lost Themes II nicht nur stärker als die Hochphasen des Vorgängers – sie mach sogar schlichtweg Spaß. So oder so: den Beweis, das Carpenter Sequels doch auch kann, hat er hiermit angetreten. Teil 3 darf dann aber dennoch ruhig mehr Inkubationszeit bekommen.

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