Joe Volk + Naiare – Primitive Energetics
Joe Volk übersetzt die über den progressiven Folk hinausblickende Ausrichtung seines fantastischen Zweitwerkes Happenings and Killings von 2016 mit seiner Tourband Naiare auf Primitive Energetics in einen körperbetontere Form.
Gerade auch wegen dieses Rahmens – Joe Volk endlich auch wieder im Kontext eines Bandgefüges hören zu können, hier mit Schlagzeuger Thys Bucher und Bassist Jürg Schmidhauser im Rücken, dazu Gitarrist Thomas Fahrni als Gast – waren die Ansprüche vorab freilich keineswegs gering. Immerhin sind die beiden Soloalben des Engländers gerne übersehene Meisterstücke filigraner Bauart; die Arbeit des Wahlschweizers im Verbund mit anderen Musikern bei Gonga und Crippled Black Phoenix dann aber wahlweise vielleicht sogar noch ein Stückchen magischer.
Doch um es vorwegzunehmen: Primitive Energetics kann diese hohen Standards nicht halten, scheitert dabei unfairerweise sicher auch zu einem Gutteil an den Erwartungshaltungen. Allerdings wurzelt die letztendliche Enttäuschung über die Platte in anderen Gründen, obgleich sich die Ursachenforschung diesbezüglich durchaus schwierig gestaltet.
„I lost myself in these songs during the process of making this record, and it was not an easy birth. However, I nailed the vision right between my own eyes“ sagt Volk, lässt den Punkt mit dem Verlorensein aber nachvollziehbarer wirken, als den Fokus. Was so schon passt, immerhin beherrschte er dieses vermeintlich ziellose, den Weg zur eigentlichen Erfahrung erhebende Wesen im Songwriting an sich. Doch wenn etwa das feine Timebombs im Schatten von A Moon Shaped Pool organisch einwirkt, irgendwann Synthie-Facetten über den Rhythmus und die dängelnde Gitarre legt, wiegt Volk den Erlebniswert die Reise nicht im gewohnten Ausmaß auf – als müsste gefühlt einfach noch mehr kommen.
Spätestens in dieser Phase des Albums wirkt Primitive Energetics, als würde Volk den Kern der Nummern selbst nur vage erforschen und einen möglichen Klimax meist so lange hinauszögern, bis er Grunde bereits darauf vertröstet hat, diesen erst später im übergeordneten Kontext der Platte nachzuliefern – einen solchen aber über eine schwächelnde Schlußphase schuldig bleiben. Unter dem Strich summiert Primitive Energetics seine mitunter skzzenhaft bleibenden Bestandteile im großen Ganzen nämlich insofern als zu unausgegorenen, bisweilen auch wahllos angeordnetes Songsammelsurium, weil am Stück einfach keinen erfüllender Spannungsbogen beschritten wird.
Gerade das Finale entlässt dabei insofern ärgerlich in der Luft hängend, wenn Volk und Naiare erst keinen zwingenden Zugriff auf die erschaffene Atmosphäre bekommen und dann einen deplatziert wirkenden, an dieser Stelle irritierenden Closer-Anlauf hinlegen: Whitesheet zeigt als elektronisch angetriebener Mitternachts-Pop einen clubtauglichen Ansatz, wie ihn auch David Lynch das auf seinen Studioalben mag, dazu rezitiert Volk im tanzbarer Umgebung, während die Gitarren zimindest ansatzweise im Hintergrund als Outlaws heulen dürfen. Aber der monotone Beat lässt einfach keinen Raum für Entdeckungen. Selbst wenn das Spiel irgendwann kippt und krautiger ins Rollen kommt, die Texturen aufmachen, entlohnt der Underworld-im-Folkrock-Drive kaum. Keyboard-Effekte sollen Akzente setzen, sind aber im Grunde nur Ergebniskosmetik, zumal das Stück zu lange dauert, weil es jede Phase seiner beiden Segmente zwanglos wandert, eben auch mit keinem Rausch oder Conclusio belohnt – geschweige denn das Album als Ganzes zu einem runden Abschluss bringt.
Zumindest die Intention dahinter lässt sich erahnen: Nachdem Into Your Movements als Ventil die lange köchelnde intrinsische Spannung der Platte befreit haben sollte, wäre Whitesheet die gelöste Aufbruchstimmung in den Verlauf über die Grenzen der Platte hinaus. Was so aber nicht funktioniert, immerhin ist gerade Into Your Movements – und die Geschichte seines Scheiterns – der wohl offenkundigste Knackpunkt von Primitive Energetics.
Into Your Movements lässt seine Gitarre in Schieflage über das polternd-marschierende Drumming im Zick-Zack taumeln – bis der Trommelwirbel ein gemeinschaftliches Geschrei herbeizitiert. Dieser Moment, der aus sich heraus brüllenden Extase, ist als Katharsis gemeint, wirkt aber so kontrolliert ausgeführt, schaumgebremst, bemüht und ohne Impulsivität – was sowohl den Titel des Albums aushöhlt, als auch sein schwindelig hinterlassendes, animalisches Artwork: Der Moment, auf den man den gesamten Verlauf über gewartet hat, der auslaugen und extatisch detonieren sollte, passiert als vermeintliche Pflicht in einer Komfortzone ohne Radikalität, lässt jedes Momentum deswegen auch konstruiert, teilnahmslos und unverbindlich verpuffen.
Aufgrund solcher gravierender Schönheitsfehler entsteht der Eindruck, als würden Volk (gerade unter diesem dezitiert nicht mehr als reines Soloalbum firmieren wollenden Banner) die Reibungspunkte fehlen.
Die Produktion ist schließlich stärker und effektiver, wenn es darum geht, die Stimmung zu vertiefen, als dass sie den physischen Elementen Gewicht und Kanten verleiht, die Schrauben enger gedreht über die Klippe schickt. Naiare bleiben in diesem Ambiente dazu primär Unterstützer, die jedoch zu wenig bissig zu Werke gehen, als dass sie Volk tatsächlich soweit provozieren, beziehungsweise seinen Kompositionen jenen Nervenkitzel bescheren würden, der aus (sehr) guten Songs herausragende machen könnte.
Das famose The Lives of Others legt sich etwa erst lange in seine düstere flimmernde Atmosphäre, die so auch in den progressiven, Vennart’esken Alternative Metal führen könnte. Stattdessen verfällt die Nummer in eine halluzinogene Trance, durchaus vertrackt, aber nicht gewillt auszubrechen: Volk nimmt die Zügel am Mikrofon für den Refrain in die Hand, zeigt Tendenzen hymnischer abzuheben, doch die Musik bleibt stoisch und distanziert, bändigt konzentriert selbst im Noise-Finale, anstatt anzutreiben. Der abseitige, neben der Spur liegenden Gitarren-Groove von Let the Kings In wiederum führt zu dem Gespenst einer doomig-psychedelischen Sonic Youth-Erinnerung, sich leviathanartig windet, am Detail arbeitet, aber die Haltung stets viel zu aufrecht hält, nicht die nötige Bedrängung zeigt, um die angedeuteten PS mit allem Instinkt als packende Dynamik auf den Boden zu bringen.
Was sich alles einerseits negativer anhören mag, als es tatsächlich ist, andererseits aber eben doch frustriert, weil Primitive Energetics in seinen besten Momenten und einer beeindruckend wachsenden ersten Plattenhälfte absolut fesselnd und dennoch kaum greifbar werdend bestechen kann.
The Decline eröffnet als jazzig Entschleunigung aus dem Blueskeller, somnambul und traumwandelnd. Die ätherische Gitarre schmiegt sich um den bedächtigen Schwofer, verdichtet seine bedächtige Ader, wagt zur Mitte hin aber auch den leisen Umbruch. Die geduldige Gitarre oszilliert beinahe Tool’esk und die Violine flammt im avantgardistisch-kammermusikalischen Noise-Score kurz auf, schiebt den Opener hinterhältig mit bedrohlich bratzenden Bass in Zeitlupe neu an, nickt eine vorsichtig verglühenden Slow Motion ab.
Das selbstreminiszente Pioneer of Colour ist dagegen als eines dieser Folk-Kleinode mit ruhiger Zauberstimme und bedächtig gezupfter Gitarre die Rückkehr zu Derwant Waters Saint, die niemals klischeehafte Bilder von Lagerfeuern evoziert, sondern ein zart tröstend erwachsendes Piano in den Hintergrund mit einem Händchen für Nuancen und Details perlen lässt. Die nostalgische Harmonika weht körperlos über den Horizont, kommt näher, bleibt ein Mysterium.
Noch besser ist da nur das herausragend imaginative, sinistre Individuation, das mit Stehbass und Darkjazz-Bläsern Roads von Portishead nahe an an den vollkommenen Stillstand denkt, brillant traurig die pure Reduktion und einen unter die Haut gehenden Minimalismus pflegt, der sich irgendwann in retrofuturistische Blade Runner-Synthies legt und die Klasse der Bristoler Schule über ein sediertes Sprachsample subversiv destilliert.
Hinterrücks erhebende Momente wie diese suggerieren dann auch irgendwo gänzlich ohne Zynismus, dass Volk, hätte er sich abermals länger als vier Jahre zwischen zwei Platten Zeit gelassen und Primitive Energetics zu einem würdigen Finale geführt, sehr wahrscheinlich abermals ein Ticket für die Jahres-Top Ten gelöst hätte. So aber bleiben den 42 Minuten ein bisschen unter Wert der Beigeschmack der verpassten Gelegenheit(en).
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