Jesu and Sun Kil Moon – Jesu/Sun Kil Moon
Zumindest nahezu die komplette Eröffnungsphase – also drei uninspiriert auf Autopilot an der Langeweile vorbeischrammende Songs in 22 Minuten – benötigen die beiden eigenbrötlerischen Kumpels Mark Kozelek und Justin Broadrick, um sich aus einer gewissen Redundanz zu lösen und einander anzunähern. Was vor allem insofern ermüdend ist, weil die gemeinsame Kooperation danach zumindest einiges hält, was man sich vorab vom Gipfeltreffen von Sun Kil Moon und Jesu versprechen konnte.
Die Eröffnungsnummern ‚Good Morning My Love‚ (das sich droneartig schwerfällig zu heavy schürfenden Gitarren und glimmernden Synthiefeldern schlängelt und damit bis auf weiteres den Weg vorgibt) und vor allem das ermüdend monoton ‚Carondelet‚, sowie mit Abstrichen auch das nachfolgende, shoegazendere ‚A Song of Shadows‚ fühlt sich ‚Jesu/Sun Kil Moon‚ beinahe wie ein nicht ungelungenes, jedoch ernüchternd unambitioniertes Update zu ‚Lulu‚ an: Godflesh-Boss Justin Broadrick legt hier unter seinem Alias Jesu stimmungsvolle, aber wenig einfallsreich dahinlaufende Riffs entlang düsterer Doomlandschaften aus, während Mark Kozelek zumindest „gesanglich“ tut, was er mit Sun Kil Moon seit ‚Benji‚ macht – also pointierte bis belanglose Geschichten aus Alltag und Tourleben mit nölender Erzählstimme in endlosen Abfolgen aneinanderzureihen, während er dabei unzählige Stelldicheins aus Popkultur, (Box-)Sport und Familie abhakt. (Ein ‚[amazon_link id=“B00158FK42″ target=“_blank“ ]April[/amazon_link]‘ scheint in seiner zeitlosen Magie so bereits weitaus länger als 8 Jahre zurückzuliegen).
Kozelek und Broadrick (über deren Verbundenheit man spätestens seit dem Cover von ‚[amazon_link id=“B00AWQEJFE“ target=“_blank“ ]Like Rats[/amazon_link]‘ sowie dem ‚Universal Themes‚-Gruß ‚The Possum‚ Bescheid weiß) fühlen sich sichtlich wohl in ihren jeweiligen kauzigen Stil-Festungen, liefern jeder für sich wenig inspirierte, atmosphärisch dichte Grundzutaten für diese Kooperation – musizieren jedoch über weite Strecken schlichtweg nebeneinander her, interagieren nicht. Das wirkt dann phasenweise ganz so, als hätte Kozelek unbeeindruckt von den Umständen einfach die im Hintergrund laufende Beschallungsmusik und Backingband ausgetauscht (Steve Shelley wird übrigens zwar für ‚Jesu/Sun Kil Moon‚ auf der Bühne stehen, steuert aber auf Platte nur das Coverfoto bei), als würden sich die beiden Musiker damit begnügen, einander aus der Distanz zu betrachten. Doch die Dinge beginnen zu kippen, finden mit Fortdauer besser zueinander.
Wenn der vielleicht nie deutlicher im Narzissmus die Ironie suchende Kozelek am Ende von ‚Last Night I Rocked the Room Like Elvis and Had Them Laughing Like Richard Pryor‚, in dem sich plötzlich schwarz/weiß funkelnde Elektronik in Richtung eines nicht hoffnungslos leichtfüßig durchatmenden Synthiepops orientiert, den ersten von zwei Fanbriefen vorliest, dessen Verfasser sich angesichts der jüngsten medialen Sperrfeuer treu (oder devot?) hinter den öffentlich nicht immer glücklich auftretenden 49 Jährigen stellt, mag das dann auf den ersten Blick wie eine arrogante Selbstbeweihräucherung der banalsten Form wirken, tatsächlich destilliert Kozelek hier abseits der interessanteren musikalischen Komponente jedoch eine Facette des großen Grundthemas der Platte: Liebe, in all ihren Erscheinungsformen.
Wenn er etwa bereits eingangs mit einer innigen Dankbarkeit die Langzeitbeziehung zu seiner Muße Caroline artikuliert („Just how much you mean/ And how deeply I love you„) oder selbst im typisch im Alltäglichen die Weisheit suchenden stream of consciousness des ‚Father’s Day‚ (ein nach 80ern klingender Electrosong mit atmosphärisch wehenden Keyboard, das durchaus an ‚Perils From the Sea‚ denken lässt, dazu Rachel Goswell von Slowdive einlädt) suchen die Texte Kozeleks also stärker eine allgemeinere emotionalere Ebene – und funktionieren dort bisweilen sogar endlich wieder herzerwärmend. Sie erschöpfen sich weiterhin in ihrer belanglos erscheinenden Detailgenauigkeit, sicherlich, berühren jedoch diesmal entlang ihrer simplizistischeren Grundausrichtung deutlich gehaltvoller, weil die Thematiken bisweilen universeller zünden: Lovesongs eben, auch schwermütige. Kozelek sinniert etwa aus dem Aufnahmestudio heraus darüber, wie wohl er sich in seiner kinderlosen Beziehung fühlt, träumt von seiner Liebe zu Neil Young und Cat Stevens weiterdenkend aber nostalgisch von Kinderspielplätzen und fragt irgendwann, nicht ohne sentimental zu werden: „Will I ever hear people say/Happy Father’s Day„.
Am großartigsten gelingt diese ergreifende Distanzlosigkeit im schier überragenden ‚Exodus‚, einer knapp zehnminütigen Verbundenheitsbekundung an Eltern, die den Verlust eines Kindes betrauern müssen. Von den tragischen Todesfällen in den Leben von Nick Cave („Got in my taxi and I learned Nick Cave’s son died/ The news hit me like a bus into a hill/ Cause once at the K-west hotel/ I met him and his son, they were standing across the hall/ I mentioned to him how we both played Hultsfred in 1997/ I don’t believe in God, but sometimes I hope there’s Heaven„) bis Mike Tyson („I remember seeing ‚Mike Tyson: Undisputed Truth’/He spoke about the passing of his daughter Exodus, and how he joined „The Bereaved Parents Group.“/He knew when he arrived at her bed/That he was not alone/ Because the parents of the other children embraced him/ And they cried in the hospital„) ausgehend begegnen wir bekannten Kozelek-Familienmitgliedern wie Carissa, vereint in einem gospelhaften Sog der Trauer: „The loss of a child is something no parent is prepared/ The loss of a child is simply unfair/ For all bereaved parents – I send you my love„. Das von Alan Sparhawk, Mimi Parker, Rachel Goswell dahinter aufgebaute Klangmeer entwickelt sich dann zum wohligen Trostplaster in allerbester Low-Tradition. Endlich nimmt Kozelek nicht mehr nur mit, sondern geht auch wieder ohne Pathos unter die Haut.
Insofern bleibt der Nachgeschmack, dass ‚Jesu/Sun Kil Moon‚ immer dann am besten ist, wenn das Einwirken der Gästeriege am deutlichsten zu bemerken ist: ‚Fragile‚ strahlt als zauberhaft gezupfte Akustikgitarrenminiatur unter der Backgroundpräsenz von Will Oldham (bezeichnend, dass der näheste Song am Oldschool-Kozelek auch einer der stärksten ist), das 14 minütige ‚Beautiful You‚ (unter anderem mit Modest Mouse-Boss Isaac Brock) glimmert unterkühlt-wärmend als pulsierende Meditation – ganz so, wie man sich die Terminalmusik in Raumstationen vorstellt: Ätherisch, körperlos, träumend.
Insofern muss man Broadrick unterstellen, dass er durchaus interessante Konstellationen für Kozeleks aktuelle Art des Storytellings liefert (im flott doomenden ‚Sally‚ lässt sich Kozelek etwa vom Midtempo anstecken, hetzt für seine Verhältnisse vital, presst die gedrückten Vocals teilweise hysterisch und geradezu angepisst heraus, schwimmt mit dem von Jesu bereiteten Strom, während sich ‚America’s Most Wanted Mark Kozelek‚ als 90er Indierock-Nummer im Stile von ‚Shame‚ der Smashing Pumpkins entpuppt), diese aber auch überraschungsarm mäandernd schleifen lässt. Das mutet dann weniger an, als hätte sich Broadrick zurückgenommen, um Kozeleks Geschichten Raum zu geben, sondern als würde eine eklatante Ideenarmut Einzug gehalten haben.
Am Ende wird ‚Jesu/Sun Kil Moon‚ (trotz der in dieser Form ungekannten Sentimentalität Kozeleks) so zu einem zerfahrenen Album voller fahrig plätschernder Souveränitäten, antriebslos gefallender Selbstläufer und einigen wenigen echten Highlightmomenten – unter den Erwartungen und hinter den Möglichkeiten. Die Vorfreude auf Kozeleks kommendes Coveralbum wächst angesichts dieser zu selten zum Punkt kommenden 80 Minuten Musik jedoch umgekehrt proportional – die Auswirkungen auf die Solo-Discographie von Sun Kil Moon könnten ebenfalls gravierend sein.
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