Jessica Pratt – Here in the Pitch
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Fünf lange Jahre nach ihrem (an dieser Stelle eigentlich unterbewerteten) vierten Studioalbum Quiet Signs hat Jessica Pratt ihrem verhuschten Singer Songwriter-Folk für Here in the Pitch unter anderem den Bossa Nova im Brill Building beigebracht.
Gemeinsam mit ihrem überall angreifenden Spezi Al Carlson sowie Keyboarder Matt McDermott, Bassist Spencer Zahn, Percussionist Mauro Refosco sowie den Gästen Ryley Walker (Gitarre), Peter Mudge (Mellotron, Percussion, Orgel) und Alex Goldberg (Schlagzeug) hat die 37 jährige Wahl-Kalifornierin im Kern zwar immer noch ein klassisches Pratt-Album geschrieben, intim und zeitlos, mysteriös und entrückt, es dann aber eben keineswegs typisch (also: beinahe ausnahmslos an der Gitarre zupfend) inszeniert angekleidet.
Ihr wie der milde Sonnenschein einer bittersüßen Vergangenheit funkelndes Songwriting wandert als traumwandelnde Erinnerung beispielsweise in Better Hate, wo die verspielte Leichtigkeit Bläsern und Gesangsharmonien mit sanftem Lächeln eine betörend an der Hand nehmende 60s-Griffigkeit anbieten, zu einer latent verblichenen Pop-Ästhetik, nachdem Life Is schon zuvor mit leicht verschmitztem, sehr bestimmtem Rhythmus im Tropicália eröffnet hat. Die subtilen Streicher-Arrangements und das sparsame Gitarrenspiel bleiben hinter dem von der Zeit verwaschenen Schleier der Melancholie zwar zurückhaltend und minimalistisch angelegt, zeigen aber unmittelbar, dass Pratt nun ein breiteres instrumentales Spektrum nutzt, und sich Here in the Pit gegebenfalls fast schon in ein – für an sich unscheinbare Verhältnisse – cinematographisches Panorama legen darf.
Gleichsam wählen Pratt und ihre Unterstützer auch so immer noch die bescheidene, kleine Geste anstelle des großen Brimborium. World on a String wächst etwa wunderschön über weite Strecken auf Gitarre und Stimme reduziert, das Klavier begleitet dezent und bekommt später so umsichtig nur mit der Pinzette gesetzte Akzente kammermusikalischer Nuancen samt einem sporadisch vorstelligen Schlagzeug-Wirbel. Alles bleibt flüchtig, detailliert, atnosphärisch, relaxt.
Beim mit vager Patina schimmernden Get Your Head Out entspannt sich Pratt im Eskapismus, der auch das gemächlich zu Orgel und messerwetzende Illusion schippernde By Hook or by Crook dösen lässt, bevor die transzendentale Zeitlupe des vollkommen entschleunigten Laurel Canyon-Prismas Nowhere It Was ätherisch den Lavalampen-Psychedelik-Ambient pflegt. Dieser (im Gesamtniveau ein wenig schwächelnde) Mittelteil von Here in the Pitch funktioniert übrigens primär im Album-Kontext, ist aber schon exemplarisch für die allgemeine Stimmung der Platte.
Die ist manchmal übrigens so nahe an den Saxophones, dass sich nicht nur deren zärtlicher Sanftmut in der Gesten spiegelt, sondern auch eine gewisse Ambivalenz hinsichtlich der Eindringlichkeit: Die neue Umgebung wirkt stellenweise wie eine Easy Listening-Lounge, in der Pratt eine latente Komfortzone für ihre nicht mehr herausfordernd eigenwillig quäkende Stimme gefunden hat, während die Musik wie in Trance immer wieder auch am Rande der aktiven Wahrnehmung im sphärischen Hintergrund wandert, so sanft und unwirklich, so sehnsüchtig und ruhig, wobei die wohlige Behaglichkeit durch die neue Stilistik vordergründig schon auch Gefahr läuft, augenscheinlich an der Grenze zur Gefälligkeit zu plätschern…
…während sich geradezu unscheinbar ein eigenwilliger Zauber entfaltet und Here in The Pitch nicht die Magie von Quiet Signs erzeugt, dem Hoheitsgebiet von Pratt aber, durchaus subversiver, als es eigentlich der Fall zu sein scheint, neue Facetten beibringt, seine Anziehungskraft mit einer geheimnisvollen Vertrautheit entfaltet und heimlich, still und leise plötzlich ununterbrochen auf angenehm unspektakulärer Heavy Rotation läuft.
Und nach der grandiosen Eingangsphase besticht Here in the Pit auch hinten raus noch mit überragender Qualität. Die ergreifende Klavierballade Empires Never Know löst alle Kantigkeit in ätherischen Schemen auf, die Tasten gleiten weich und bar jeglicher Dramatik. Später streiften Schemen von Bläsern und einem Beat verhalten durch die Peripherie, wo das instrumentale (vor allem atmosphärisch überzeugende, aber definitiv deplatziert ein unbedriedigendes letztes Drittel bewirkende) Zwischenspiel Glances vor dem Finale wie eine gezupfte Geduld über verwaschen Brass-Segmente aus der vergilbten Zeitkapsel sinniert, bevor das fantastische The Last Year mit flapsiger Nonchalance klimpert.
„I think it’s gonna be fine/ I think we’re gonna be together/ And the storyline goes forever“ singt die Musikerin mit einer naiven Zuversicht, die über den Grundgedanken der Platte, die „dunkle Seite des kalifornischen Traums“ zu reflektieren, mit einem meditativen Gleichmut über die kurzweilige 27 Minuten einer Platte hinausblickt, die eine exzellente Diskografie (alleine entwicklungstechnisch) ganz wunderbar fortsetzt, für sich selbst stehend angesichts eines mäandernden Albumflusses in der zweiten Hälfte aber auch den Eindruck hinterlässt, weniger prägnant auf den Punkt zu finden, als seine Vorgänger. Angesichts des dabei stetig sickernden, niemals restlos befriedigend entlassenden Suchtfaktors (sowie der Zuversicht, dass Pratt-Alben mit der Zeit ja bisher stets gewachsen sind und gemessen an der Tatsache, dass sowohl On Your Own Love Again als auch dessen 2019er-Nachfolger einen Punkt mehr verdient hätten) ist ein Aufrunden zwischen bei der abschließenden Bewertung aber wohl vertretbar.
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