Jerome Dreams – X
Dass die Screamo-Urväter trotz ihres ersten Albums seit 18 Jahren in ihrer eigenen Hohheitszone aktuell von zahlreichen Epigonen wie etwa Lord Snow scheinbar mühelos überholt werden reicht offenbar nicht: Larry Records legt mit dem irgendwo zwischen Denkzettel, Spott, Parodie und Lehrstunde veranlagten Jeromes Dream-Bluff X die wohl ultimative Demütigung für LP vor.
Wenn X ein Witz ist, ist er ein ziemlich guter. Um die Pointe allerdings zu verstehen, gilt es ein wenig auszuholen.
Jeromes Dream, ihres Zeichens Genre-Legenden und stilbildende Screamo-Vorreiter, schloßen sich nach annähernd zwei Dekaden Auszeit 2018 wieder zusammen und eröffneten bald eine Crowdfunding-Aktion für das angedachte Comebackalbum. Tatsächlich kamen via Indiegogo innerhalb kurzer Zeit die anvisierten (bereits für Hohn sorgende, weil so exorbitant hoch angesetzten) 15.000 Dollar an Kapital für die Platte zusammen. Doch für nicht wenige der investierenden Baker mündete die Rückkehr des Trios alsbald in einem enttäuschenden Alptraum. Der anvisierte Produzent (prolongiert: Kurt Ballou) konnte nämlich nicht verpflichtet werden, dazu kamen ob der eingenommenen Summe bald Zweifel auf, ob das Geld überhaupt adäquat verwendet werden würde – überteuerte Verstärker und diffuse Geldspenden stießen ebenso auf, wie nach und nach auch die Tatsache, dass die vielversprechenden ersten Demoaufnahmen letztendlich wenig davon verrieten, dass das dritte Studioalbum in seiner finalen Version nicht unbedingt bei seinen beiden Vorgängern anknüpfen wollen würde/könnte.
Der Rest ist polarisierende Geschichte: LP favorisierte trägen Noiserock auf Kosten des explosiven Screamo und bekam bei seiner Veröffentlichung nicht nur wegen der emotionslosen Mikrofon-Vokals bestenfalls durchwachsene Reviews. Form und Inhalt schwächelten, dazu bekam die Authentizität der Rückkehrer Risse, da diese offenbar mehr Geld in Merchandise und die Reproduktion älterer Platten steckten, als in die Produktion des ernüchternd dünnen dritten Studiowerkes. Jeromes Dream hatten nach den großen Worten im Vorfeld jedenfalls negativ an ihrem Denkmal geschraubt und ein paar Leute ziemlich angepisst.
Zumindest ist das bei ein paar Typen der Fall, die aus den ungeschliffenen, schon sehr überzeugenden Demos der Gitarrenspuren von Drummer Erik Ratensperger kurzerhand stilechte Screamo-Songs fertig gebastelt haben.
Solide, impulsive Drumsspuren und hingebungsvoll-zähnefletschendes Geschrei vervollständigen 7 Songs, die vielleicht nicht sonderlich originell und bedingungslos eigenständig konzipiert sind, aber aufgrund der transportierten chaotische Energie und aggressive Leidenschaft unmittelbar mitreißend funktionieren.
Kompositionell ist das zudem verdammt ordentlich zu Ende gedacht, sorgt für einige griffige Passagen. Gerade To some, it must be difficult to comprehend what it costs to make an album. This budget covers a lot more than just the recording costs (which is about a 1/3 with mixing and mastering), mit seinem groovig-durchatmenden Part und das köchelnd-beschwörende There’s also the costs to press it, ship it (which holy fuck, that has proven to be insanely expensive), Shirt and totes production (and shipping), packaging materials, supplies, travel expenses, rehearsal expenses, gear rental expenses, etc. stechen individuell aus einer archaischen Raserei hervor, deren Songtitel (allesamt Zitate aus der Rechtfertigungsschreiben seitens der Band auf eine Diskussionen, die Shawn Dekker von Coma Regalia/Middle Man Records losgetreten hat) meist länger ausfallen, als die räudigen Songs an sich.
Was keine Eindimensionalität bedeutet. We’re three punks who decided to regroup and create something new — and with the help of others, and we are doing just that. gibt sich als ätherisches Ambientstück mit Roboterstimme und das abschließende It kinda just happened. I’m not trying to change your opinion of us: there’s always going to be hate, resentment, ignorance, and negativity. We upset people back in the day, and we’re upsetting some people now. So, some things never change and we’re okay with that bäumt sich sogar über 7 Minuten als Abschluss im Lo-Fi-Shoegaze mit androgynem Klargesang kontemplativ auf.
Wohl ein Statement: Auch ein Stilwechsel kann im Kontext stimmig sein und schlüssig aufgehen, die variable Dynamik ankurbeln und Entwicklung ermöglichen. Stillstand hätte insofern wohl niemand verlangt, so lange er auf dem richtigen Fundament geschehen wäre, die Essenz bestehen geblieben wäre. Oder so.
Das die Produktion und der Mix von X ein wenig dünn geraten sind und trotzdem ordentlich packen, unterstreicht dann eigentlich nur zusätzlich den Punkt, den dieses alleine konzeptionell durchaus amüsante Projektes machen möchte: Man benötigt keine 15.000 Dollar für eine klassische Screamo-Platte, die vor einem anderen Hintergrund und mit der einen oder anderen Detailarbeit sogar eine hemmungslose Euphorie auslösen hätte können, die amn so von LP erhofft hatte.
Also ja, als Witz ist X ein verdammt guter. Wäre er keiner, sondern eine ohne diese zwangsläufig verankernde Metaebene eine originale Katharsis suchende Attacke, wäre die digital unentgeldlich zu ladende, auch physisch gratis zu regulären Bestellungen verschenkte Kasette aber wohl sogar noch bessere Ansage. So oder so: Eine der skurrilsten Fußnoten der jüngeren Musikgeschichte.
Kommentieren