James Blake – Overgrown
‚Overgrown‚ fehlt der überrumpelnde Überraschungseffekt, der die künstlerische Sprengkraft von ‚James Blake‚ vor zwei Jahren schnell zu einem modernen Klassiker der jungen elektronischen Musik machte. Was man dem zweiten Album des mittlerweile 24 jährige Dubstep-Wunderkindes nicht vorwerfen kann. Macht James Blake doch auf seinem zweiten Album grundsätzlich alles richtig.
James Blake sieht ‚Overgrown‚ als sein eigentliches Debütalbum, den Vorgänger nur als Compilation von Möglichkeiten und Ansätzen. So falsch das letztendlich ist, so verständlich wird nach den knapp 40 Minuten seines heiß herbeigesehnten zweiten Langspielers, was Blake damit meint: ‚Overgrown‚ ist in vielerlei Hinsicht die Weiterentwicklung der so unwerfend zwischen Laptop-Soul, Digital-Pop und Post-Dubstep pendelnden Großtaten von ‚James Blake‚, und nahezu immer weit von den zumeist weit draußen treibenden, trendy tänzelnden Instrumental-EP-Arbeiten des Briten positioniert. ‚Overgrown‚ macht dabei grundsätzlich nur wenig anders als sein direkter Vorgänger und insgeheim auch (erwartenswert) kaum etwas wirklich besser (ginge ja auch kaum), die Art und Weise wie James Blake die ureigenen Übersetzungen tiefmelancholischen Computer-Folks in seinem Musikuniversum auslotet, um kleine Facetten erweitert und eventuell sogar bereits in zwei Anläufen zur Perfektion getrieben hat, das hinterlässt dann eben doch ehrfürchtig.
Was auffällt: Blake öffnet sich noch weiter dem konventionellen Songwriting als bisher, ‚Overgrown‚ ist weitestgehend zugänglicher, direkter und weniger fordernd als ‚James Blake‚ geworden. In seiner schier brillianten Produktion auch wärmer, offener und geradezu einladend: wo früher vage fragmentarische Andeutungen von Genrekollisionen stattfanden hat Blake mittlerweile keine Angst mehr vor astreinen Popnummern, wie der konsequent um sein schüchternes Piano trabende Hit ‚I am Sold‚ beweist. Er serviert in ‚Retrograde‚ gefühlvoll in die Intensität marschierenden R&B, und im kurzen, intimen Ausblick ‚Dlm‚ nur auf sein Piano und etliche Vocal-Effekte reduziert die verinnerlichten Lehren von Joni Mitchell. ‚Life Round Here‚ hätte auch ein Grundskelett für Justin Timberlakes aktuelle Arbeiten liefern können, Blake lässt stattdessen die Sequenzer und Synthesizer in aller Ruhe um sich selbst kreisen, während er seine eigene Gesangslinie immer wieder repetiert und das gesamte Konstrukt sich letztendlich als ein einziges, langes Refrain-Echo in die Gehörgange frisst.
Der elegante Soul von ‚To the Last‚ atmet durch Gasmasken und scheut sich auch nicht vor großen, ausladenden Gesten. In diesen Momenten lehnt sich Blake weiter aus dem Fenster als er es auf ‚Overgrown‚ zumeist tut, den Fehler sich bloß auf erarbeiteten Lorbeeren auszuruhen oder ein Erfolgsrezept plump zu wiederholen begeht der Brite jedoch ohnedies nie. Deutlich wird dies in ‚Take a Fall for Me‚, in dem Blake seine Harmonimix-Arbeiten transkribiert und Wu-Tang Mastermind RZA behende über Weisheiten schweben lässt: „I heard through the grape vine/ That great love, it takes time/ Sex shapes the body/ Truth shapes the mind“ (- später wird Blake dennoch singen: „Our love comes back in the middle of the night„). Oder der anderen Kooperation auf ‚Overgrown‚: mit Produzent Brian Eno bastelt Blake aus dem Ambientflecken ‚Digital Lion‚ ein stoisch pumpendes Sub-Bass-Delirium mit weiten Soundscapes, bevor die Rhythmen martialisch zu drängen beginnen. Noch konsequenter zieht da nur ‚Voyeur‚ sirenenhaft auf die Tanzfläche von neonbeschienenen Clubs – die digitalen Cowbells treiben, Blake findet ein Mantra: „I don’t mind, it was all me“.
‚Overgrown‚ hadert immer wieder mit der Liebe, aber auch dem eigenen Status Quo. Der berührend emotionalen Schlusspunkt ‚Our Love Comes Back‚ bildet dafür den Rahmen mit dem eröffnenden Titelsong, der mit seinen sich langsam verschiebenden Beats behäbig auf den Weg in die streichergestützte Schönheit macht, aber klarstellt: „I don’t wanna be a star„. Was nach diesem Album, der logischen Ergänzung von ‚James Blake‚ als Version 2.0, wohl endgültig unmöglich sein wird.
Dass James Blake hier alle seine vor zwei Jahren installierten Ansätze auf ‚Overgrown‚ konsequent zu Ende denkt, greifbarer wird und damit ausgerechnet auch genau jene Lücken auffüllt, die seinem Songwriting ehemals wohl zu den wirklich magischen Momente geführt haben, das muß man diesmal nicht abermals als visionär empfinden – man darf sich dennoch über ein grandioses Album freuen. Allerdings eben auch eines, dass grundsätzlich die Frage aufwirft, was Blake hiernach aus dieser Richtung noch bringen können wird, ohne Ermüdungserscheinungen zu zeigen.
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