Ja, Panik, Chris Imler [22.04.2014 The Bang Bang Club, Graz]
Ja, Panik beehren nach dem Wien Gig Ende Jänner für den zweiten Teil der aktuellen Tour nun auch den Rest Österreichs. Unwillkürlich kommt einem angesichts des doch überschaubaren Fassungsvermögens des The Bang Bang Club das alte Sprichwort vom Propheten, der im eigenen Land nichts gilt in den Sinn.
Was aber so nicht den Kern der Dinge trifft. Zum Ersten ist das Graz Gastspiel der Wahlberliner seit Monaten restlos ausverkauft. Und zum zweiten steht Ja, Panik die Unmittelbarkeit des regelrecht intimen Rahmens ausgezeichnet: die rund um das aktuelle Album ‚Libertatia‚ kreisende Setlist spuckt die Songs deutlich druckvoller und weniger feingliedrig aus als auf den sorgsam gewobenen Studioaufnahmen, Pop wird hier als Rock ausgelegt. Schlagzeuger Sebastian Janata flirtet immer öfter mit einer getriebenen Disco-Dynamik, was bei ‚Dance the ECB‚ oder ‚Time is on my Side‚ großartig funktioniert, hier und da aber auch stets in ein etwas plumpes Uff-Ta-Spiel zu kippen droht; für den nötigen Feinschliff sorgt Basser Stefan Pabst in seiner Rolle als sensationell den Funk anvisierende Groovemaschine. Der Sound ist kraftvoll und ausbalanciert, aber bis zur ersten Zugabe hin, im an diesem Abend zum reinsten Brutkasten aufgeheizten Bang Bang Club, auch ein wenig zu leise. Egal. Der Schweiß rinnt, die Luft steht, die Nebelmaschine kippt in unregelmäßigen Abständen eine enorme Masse an weißen Rauch über eine stets dezent verhalten wirkende Besuchermenge, bei der der Funke nie so recht in einen Flächenbrand übergehen will. Das mit dem „zwing sie zum tanzen“ klappt nur bedingt.
Dennoch agiert Spechtl (auffallend Zigaretten- und Alkoholikafrei) in diesem Ambiente geradezu aufgetaut, bedankt sich artig und erlaubt sich gar Seitenhiebe auf das kredenzte Heineken. Deutlich mehr Ambition zur Interaktion mit dem Publikum legt allerdings Labelkollegen und Die Türen Bandmate Chris Imler im Vorprogramm an den Tag – scheitert aber an bisweilen ignoranten Zuhörern wie auch sich selbst. Abgedrehter Elektropop trifft da auf treibenden Postpunk voller Dada-Diskurs-Texte und schrulliger Einfälle, zwischen etwas willkürlich wirkendem Trompeteneinsatz und eingestreuten Vocodereffekten wirkt das alles jedoch auch zu oft wie eben genau das: eine Reihe guter Einfälle. Dargebracht mit großartiger Loopkunst, die Revue-Passagen wie selbstverständlich neben Junglerhythmen stellt, mit einem an sich grandiosen Schlagzeuger und köstlich pointierten Alleinunterhalter Imler im Mittelpunkt, der allerdings zusehends immer grantiger wird, weil das der Masse offenbar zu anstrengend ist. „Ihr seid anstrengend!“ greint er irgendwann vorwurfsvoll in Richtung des zu weiten Teilen regelrecht abschätzig und ohne Unterlass tratschenden Publikums, das definitiv nicht gewillt ist sich von der exzentrischen Darbietung bei etwaigen Gesprächen stören zu lassen. Art ist das natürlich keine.
Sympathischer als der nachtragend beleidigt reagierende Imler geht dennoch Spechtl mit dem Lautstärkepegel um (der von der Hauptband nur während des Beginns von ‚Eigentlich wissen es alle‚ nicht grundsätzlich in die Schranken verwiesen wird) indem der Frontman das immanente „Blablabla“ an der Bar genüsslich nachäfft und Ja, Panik das eigentlich sanfte Stück zu einem regelrecht Slint‚esk anschwellenden Brocken mit brechender Gitarrenexplosion ausdehnen. Wenn es noch eines Beweises bedurfte, dass die Bandkonstellation in neuer Form – ohne Christian Treppo und Thomas Schleicher, aber mit Laura Landergott an Keyboard und Gitarre – absolut nahtlos funktioniert: deutlicher geht es eigentlich nicht! Notfalls geht es auch problemlos als Trio, wie das wah-wah-ige ‚Thomas sagt‚ aufzeigt.
Die angenehm kompakt gehaltene Setlist (mittlerweile angenehmerweise ohne den Albumschwachpunkt ‚ACAB‚) tut dazu ihr Übriges, auch wenn das Prä-‚DMD KIU LIDT‚-Schaffen zwangsläufig zu kurz kommt: ‚Alles hin, hin, hin‚ und ‚Die Luft ist dünn‚ werden dafür nur umso heftiger beklatscht und hinten raus gibt es mit dem Jetzt-schon-Klassiker ‚Antananarivo‚ sowie dem längst unsterblichen ‚The Evening Sun‚ (Randnotiz: Spechtl wechselt ans Keyboard, die Kehlen der Menge tragen den Gospel aber nicht entsprechend der Möglichkeiten) ohnedies nochmal großes Kino. Nach dem ersten Zugabenblock erklimmt Spechtl noch einmal im Alleingang mit Gitarre und ‚Nevermind‚ die Bühne, richtet Nackenhaare auf, bevor er sein aggressiv attackiertes Instrument vor dem textsicheren Publikum und unter den schwarzen Symbolflaggen vom sagenumwobenen ‚Libertatia‚ ausbluten lässt. Utopie ist da in diesem Augenblick längst nichts mehr, sondern handfeste Konzertkunst.
Setlist:
01. Trouble02. Post Shakey Time Sadness03. Dance The ECB04. Run From The Ones That Say I Love You05. Time Is on My Side06. Au Revoir07. Alles leer08. Libertatia09. Eigentlich wissen es alle10. Die Luft ist dünn11. Chain Gang12. Alles hin, hin, hin13. AntananarivoZugabe:14. Thomas sagt15. Nevermore16. The Evening SunZugabe 2:Nevermind
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