Iron Maiden – Senjutsu
Taktik und Strategie im Heavy Metal: Sechs Jahre nach dem sehr starken The Book of Souls bündeln Iron Maiden noch einmal ihre Qualitäten – samt Schönheitsfehlern – für Senjutsu. Sechs Beobachtungen dazu.
•Das siebzehnte Studioalbum der britischen Institution ist keineswegs so aufgeschlossen für Abenteuer, die dezent jenseits der relativen Komfortzone stattfinden, wie es die so überraschend wie grandios zwischen Western und fernöstlicher Tendenz wandelnde Vorabsingle The Writing on the Wall angedeutet hat, sondern eine ziemlich wertkonservative Angelegenheit, die Elemente und Trademarks aller Maiden-Platten der vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten über knapp eineinhalb Stunden dekliniert, stellenweise sogar zitiert.
Auf Autopilot geschalten wirkt Senjutsu dennoch nie. Schließlich ist zum Einen niemand sonst derart versiert im Iron Maiden-sein wie Iron Maiden selbst; und zum Anderen ist die immanente Klasse der Band zu jedem Zeitpunkt des verwaltenden Schaulaufens spürbar.
•Mit 82 Minuten liefert das Sextett abermals ein Doppelalbum ab, das theoretisch sicherlich an einigen Stellen gestrafft hätte werden können – zumal Senjutsu im progressiv ausgelegten (aber eigentlich niemals per se progressiv agierenden), komplex auftretenden (aber eigentlich barrierefrei catchy zündenden) Songwriting über weite Strecken im wenig herausfordernden Midtempo gehalten ist, und dabei zur einer gewissen Gleichförmigkeit neigt.
Praktisch aber besteht kaum ein Bedarf diese Platte zu kürzen. Die zehn Songs sind auch so prächtig unterhaltsam und relativ kurzweilig, gerade, wenn Iron Maiden in Sachen Dynamik und Pacing die Zügel enger ziehen: Stratego galoppiert dann munter und Days of Future Past zeigt den knackigen Zug zur hymnisch Hook. The Time Machine funktioniert erhebend, auch wenn die kompakten Segmente hier in Summe ein bisschen Flickwerk bleiben.
•Senjutsu beginnt mit dem zu träge eröffnenden, zu gemütlichen Titelstück nur solide, endet aber megalomanisch (mit drei Songmonolithen jenseits der Zehnminutenmarke) schlichtweg triumphal.
Gerade auch, weil zwischen dem schunkelnden Shanty-Leviathan Death of the Celts sowie dem alle Tugenden der Platte als eindrucksvolle Kaskade zuspitzenden Closer Hell on Earth mit dem herausragenden The Parchment ein absoluter Geniestreich und Übersong zum Niederknien wuchert, der (ägyptisch angehaucht) mystisch lauernd immer epischer, immer monumentaler und immer biblischer über sich hinauswächst. Eine Sternstunde für den Karriereabend der Gruppe.
•Überhaupt gibt es im hohen Niveau des Materials kaum Ausbrüche nach unten, sehr wohl aber nach oben. Gerade Bruce Dickinson liefert (erstaunlich weit im Mix zurückgereiht) einige seiner besten Gesangslinien seit langer Zeit und kompensiert damit (samt eines unkaputtbaren Gefühls, wie sich alleine im Ausklang der archetypischen Quasi-Ballade Lost in a Lost World zeigt, nachdem diese den Hang zum Mäandern abgelegt und den Bass im Mix leider endgültig verschenkt hat) anstandslos, dass er stimmlich nicht mehr in die Höhen seiner Heydays kommt, sondern dort mittlerweile auch bemüht und gepresst agieren kann.
Dass Drummer McBrain nicht mehr der tighteste ist – passt schon. Alleine die instrumentale Passagen wie in Darkest Hour sind auch so einfach eine wahre Freude. Nur die überall in den Texturen kleisternden Synthies nerven wirklich – von ihrem wenig versierten, kaum inspiriertem Spiel her, aber auch der billigen Klangästhetik wegen.
•Die schwammige Produktion der Platte ist absolut frustrierend – und der Faktor, der Senjutsu wertungstechnisch einen Punkt nach unten versetzen wird.
Kevin Shirley liefert (wieder einmal) eine unverzeihlich ärgerliche, niemandem einen Nutzen leistende flache Arbeit, die keine aufregende Spannung erzeugt, kein impulsives Momentum kennt, farblos bleibt und einige Passagen wie mit angezogener Handbremse erscheinen lässt. Mit einer prägnanteren, kraftvolleren Produktion wäre hier einfach noch einmal so viel mehr drinnen gewesen – stattdessen versorgt Shirley Senjutsu nicht nur mit einer Achillesferse, sondern schießt dem Potential gleich die Kniescheibe kaputt.
(RIP Martin Birch, an dieser Stelle).
•Der gewonnene Erkenntniswert ist letztendlich gering. Während der besten Phasen der Platte keimt wie schon bei den Vorgängern die Vermutung, es mit dem womöglich stärksten Maiden-Werk in diesem Jahrhundert zu tun haben zu können und wie bei den Vorgängern wird ein wenig Abstand wohl für das Gefühl sorgen, dass sich das aktuelle Album zumindest ansatzlos im oberen Mittelfeld der Diskografie einreiht – eben zeitlos ist, ohne Ablaufdatum und im idealsten Sinne unmodern.
Denn abermals machen Iron Maiden nicht (mehr) alles richtig, aber weiterhin nahezu alles besser, als ihre Epigonen. Auch wenn die Abstände zwischen den Platten der Band größer werden, lohnt sich die Wartezeit fraglos – denn auch wenn die Klassiker der Band unerreicht bleiben, ist jede neue Platte von Harris und Co. doch ein bisschen wie (ein nicht nur nostalgisch verklärtes) Ereignis mit Langzeitwirkung.
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