Interview: Chuck Ragan
Hot Water Music-Stimme Chuck Ragan macht im Rahmen seiner Tour zu ‚Till Midnight‚ auch in der Arena Wien halt – und unterstreicht seinen Ruf als einer der großen Sympathieträger der Szene im Interview:
Heavypop: Wie läuft die Tour bisher denn so?
Chuck Ragan: So weit, so gut. Wir haben in England begonnen wo alle Shows ausverkauft waren und dann kamen wir nach Deutschland und all diese Shows waren…einfach überwältigend! Es kamen wahnsinnig viele Leute, weit mehr als ich erwartete, weit mehr als irgendjemand von uns erwartet hätte. Wir haben uns gefreut und haben ohnehin geplant, einen Riesenspaß bei der Tour zu haben. Als wir dann aber ankamen und herausfanden dass die Shows immer weiter wuchsen und wuchsen und die Hallen immer größer und größer wurden war das einfach: „Wow!“ – wir hatten ja keine Ahnung. Wir sind dafür wirklich dankbar, sind glücklich und fühlen uns geehrt hier sein zu dürfen.
Ich hab unlängst einen Artikel im Noisey-Magazin gelesen nachdem du möglicherweise der „nicest guy in music“ bist…
Das stimmt nicht!
Ich glaube schon [lacht]! Wie auch immer: der Artikel dreht sich darum dass viele Menschen eine so genannte Chuck Ragan-Stories haben. Fällt dir eine davon ein die es noch wert wäre erzählt zu werden?
Ich weiß nicht. Ich meine: da sind so viele Geschichten. Du weißt nie was hinter der nächsten Ecke auf dich wartet. Du weißt nie wie du Menschen beeinflusst oder wie sich dein Handeln positiv auf sie auswirken ann. Und deswegen glaube ich auch dass es wichtig ist immer aufgeschlossen zu bleiben. Da fällt mir eine Geschichte ein, die sich in Albuquerque, New Mexico zugetragen hat. Da kam dieser aufgeregte Typ zu mir und man sah dass er ziemlich fertig war. Er sagte: „Mann, mein Auto wurde abgeschleppt!“. Normalerweise hab ich nicht viel Geld bei mir, ich hab eigentlich generell nicht viel Geld [lacht], aber damals hatte ich gerade eine 100 Dollar Note eingesteckt, warum auch immer. Und ich sagte zu ihm: „Hier Mann, gib das deinem Bruder. Hoffentlich bekommst du damit sein Auto zurück!“. Und er meinte: „Nein, das kann ich nicht annehmen!“ und ich so „Das ist kein Geschenk. Du gibst es mir einfach irgendwann mal zurück wenn wir uns wiederbegegnen“. Also gab ich ihm die 100 Dollar und er sagte „Vielen Dank, das ist großartig“, und weg war er. Später fand ich heraus dass es in Wirklichkeit sein eigenes Auto vom Abschleppplatz zurückholen musste, seine Frau berufstätig war und er sich um das gemeinsame Baby kümmern musste. Im Endeffekt ging jedenfalls alles gut aus. Er schickte mir eine Mail: „Danke, hoffentlich trifft man sich in Zukunft wieder!“. Ungefähr vier Jahre später kam jemand zu mir, gab mir hundert Dollar und sagte: „Das gehört dir“. Ich sagte: „Was ist das? Das kann ich nicht annehmen!“ und er entgegnete nur: „Du hast mir vor vier Jahren geholfen mein Auto zurückzubekommen“. Ich schätze mal die Moral der Geschichte ist, das man bekommt was man gibt. Wenn man Menschen so behandelt wie man selbst behandelt werden will kommen die Dinge zurück zu dir.
Du hast oft erwähnt, dass dein neues Album ‘Till Midnight‘ sich vor allem um Liebe dreht und da dachte ich mir ich muss dich fragen, ob du weißt was der Lieblingssong deiner Frau auf der Platte ist?
[Lacht] Nein, das weiß ich nicht. Das ist eine wirklich gute Frage. Ich glaube einer ihrer Lieblingssongs war ‚For All We Care“ als ich die Nummern schrieb.
Du spielst auch „Rent-a-Ragan“-Shows an den Nachmittagen an zufällig gewählten Orten bevor du am Abend die regulären Konzerte gibst – wie kam es dazu?
Ja, aber wir haben bisher noch gar keines davon gespielt. Wir warten noch auf Rückmeldung wo wir auftreten werden, also…ja, es ist eine tolle Sache, aber wir wissen selbst noch nicht genau wie das wird [lacht].
Gibt es dafür schon irgendwelche konkreten Pläne zur nächsten Revival Tour?
Wir arbeiten daran, versuchen noch herauszufinden was und wie wir es beim nächsten Mal tun werden, es ist einfach so ein riesiges Unterfangen, ich weiß also auch noch nicht wann es wieder so weit sein wird. Ich habe ja gerade erst ‘Till Midnight‘ veröffentlicht und unser Fokus lag für die Zeit einfach darauf, aber die Revival Tour wird wiederkommen, soviel ist klar. Weißt du, es ist so eine spezielle Tour, eine wirklich coole Sache die viel Spaß macht, deswegen wir werden also alles dafür tun dass sie bald wieder stattfindet.
Seit du dich vom Punkrock-Frontmann der du bei Hot Water Music immer warst zum Country-, Folk- und Blues-Songwriter entwickelt hast scheint es in der Szene zahlreiche Musiker zu geben die einen ganz ähnlichen Weg eingeschlagen haben – wie Frank Turner, Dallas Green, Brian Fallon oder Chris Cresswell. Siehst du dich was das angeht eigentlich als Pionier oder vielleicht sogar ein wenig als Role-Model?
Nein, dafür kann ich nicht die Lorbeeren ernten! Weißt du, viele von uns haben in dieser Richtung schon jahrelang musiziert, auch lange bevor überhaupt irgendwer wusste wer wir sind oder es jemanden interessiert hätte, verstehst du? So haben wir einfach schon immer gearbeitet. Ich denke jeder der in irgendeiner Weise in den Medien oder sonstigem Scheinwerferlicht vorkommt kann andere Menschen oder deren Entscheidungen eventuell beeinflussen, auch Musiker die etwas aufnehmen und sich denken „Cool, sowas in der Art möchte ich auch machen!“. Aber das heißt nicht, dass da draußen nicht Millionen anderer Menschen sind die dasselbe machen, nur nicht dieselbe große Präsentationsplattform haben, so ist das nunmal. Da waren tausende und abertausende Menschen die das selbe bereits gemacht haben bevor irgendjemand von uns auch nur geboren war. Viele von uns gehen in diese Richtung ja auch schon viel länger als den meisten bewusst ist. Weißt du, ich hab mich das erste Mal vor 28 Jahren mit einer Akustikgitarre vor Leute gesetzt und gespielt, aber die Dinge haben sich irgendwie geändert. Mittlerweile wissen doch zahlreiche Menschen was ich so mache, es ist also leichter Zugang zu diesen zu finden was uns auch reichlich zu tun gibt. Aber noch vor kurzer Zeit, vor 5 oder 10 Jahren, haben die meisten Menschen bei mir und meinen Freunden in erster Linie an Hot Water Music gedacht – weil eben zu jener Zeit der Fokus darauf lag. Ich habe Akustik-Musik geschrieben und Akustik-Shows gespielt lange bevor ich die Hot Water Music Jungs überhaupt getroffen habe, aber dann hat sich eben Hot Water ergeben. Dann nahmen wir diese Auszeit, die Jungs starteten andere Bands und ich landete wieder bei meiner Gitarre.
Wenn wir schon bei Chris Cresswell sind – erst vor kurzem hat er ein Album auf Joey Cape’s One Week Records aufgenommen – und der Name sagt es bereits – eben das in nur sieben Tagen. Wäre das auch eine Option für dich?
Ähm, vielleicht. Aber es ist nichts das ich im Moment gerne machen möchte (lacht). Ich meine, mit den Jungs mit denen ich momentan zusammenarbeite und mit der Art wie wir es tun glaube ich schon dass es uns möglich wäre ein Album in 7 Tagen aufzunehmen – man kann schließlich alles schaffen wenn man sich darauf konzentriert. Aber für mich persönlich sind Alben…so etwas dauerhaftes, wenn du mich verstehst? Es ist in gewissem Maße so, als würde man etwas in Stein meißeln. Wenn es raus ist, ist es raus, du kannst es nicht mehr zurücknehmen. Und dann sollte man das Ergebnis auch besser wirklich lieben. Und das ist für mich nunmal ein schmaler Grat. Manchmal ist das gut so, und mit einem gewissen Druck im Nacken arbeitet es sich auch durchaus gut, wenn Zeitpläne bestehen und man sich immer wieder verinnerlicht „Ich muss das jetzt tun! Ich muss das jetzt tun!“ – aber auf der anderen Seite ist es eben auch verdammt cool solche engen Zeitpläne nicht zu haben und sich lieber zu sagen „Weißt du was? It’s gonna be done when it’s done!“ Das ist ein großartiges Gefühl – und eben eines, dass ich dem Zeitdruck-Gefühl vorziehe. Weil manchmal passieren einfach auch andere Dinge, du hast auch anderswo zu tun und sobald du dich bei einem Projekt stressen lässt ist es schlichtweg vorbei. Ich denke, dass jedwede Art von Energie, die wir beim Spielen, Komponieren oder Aufnehmen erzeugen auch transportiert wird und man sie hören kann. Ich bin lieber entspannt, und guter Dinge als chaotisch und hastig.
Wird es eigentlich einen Nachfolger zu The Road Most Travelled geben?
Ja, ich habe an Teil 2 schon vor einiger Zeit begonnen, aber bisher noch nicht die Zeit gefunden es auch zu beenden. Wir sammeln noch Beiträge, es soll wieder eine sehr coole Sammlung werden. Hoffentlich wird es nächstes Jahr soweit sein!
Sowohl auf ‘Till Midnight‘ als auch auf dem letzten Hot Water Music Album ‘Exister‘ gibt es wie ich finde größere Melodien und auch mehr Hits – war diese Entwicklung ein bewusster Schritt oder ist hat sich das anhand der Musik ergeben die du selbst so hörst…
Definiere Hits! [lacht]. Weil vielleicht bedeutet „Hits“ ja was unterschiedliches wo wir beide herkommen! (lacht)
Ok, dann sagen wir mal so: eingängigere Songs! (lacht)
Ähm, ja Mann, ich weiß nicht. All diese Melodien, wer weiß schon von woher die kommen…du denkst sie dir aus wenn du gerade Lebensmittel einkaufen gehst, von einer Show heimspazierst oder mit deinen Hunden durch den Park gehst und plötzlich sind da eben diese Melodien…und das ist eine komische Sache, weißt du? Wenn man sich überlegt wo sie entstanden sind, woher sie kommen, wie sie einem erschienen sind. Ich habe mir immer vorgestellt, dass alle Songs, alle Melodien, all die Bausteine eines Songs bereits geschrieben stehen, sie immer schon da waren. Es geht also nur darum sie zu bemerken, sie zu finden. Es ist so, wie wenn du auf das Griffbrett einer Gitarre siehst. All die Noten sind vorhanden, sie leben, und es kommt nur darauf an zuzuhören und wie man sie verwertet. Und genauso ist für mich der Prozess Melodien zu schreiben. Schreiben wirklich wir die Melodien oder bemerken wir sie nur, entdecken sie quasi? Diese Frage hält mich Nachts wach und lässt mich am Morgen aufstehen.
Abschließend – und ich weiß dass du diese Frage verdammt oft hören wirst: wie sieht es mit einem neuen Hot Water Music Album aus?
Es gibt schonmal einige Ideen zu Dingen an denen wir arbeiten. Mehr gibt es dazu noch nicht zu sagen, aber fest steht schonmal, dass es dieses Jahr zur Feier unseres 20 jährigen Jubiläums beim ’Fest’ Festival in Gainesville und an einigen anderen Orten spielen werden, was ich ziemlich aufregend finde. Es wird Material geben an dem wir momentan noch herum experimentieren, manches davon bekannte Songs die die Leute kennen, manches davon brandneues Zeug das noch keiner gehört hat. Es dürfte also wirklich aufregend werden.
Das wars dann eigentlich auch schon…ach, warte, ich hab mir da noch was aufgeschrieben: „verletzter Finger“. Du hast ein Foto von deinem verletzten Finger auf Instagram gepostet…was ist dir passiert?
Dem gehts schon wieder besser. Ich habe eine Snare Drum gefangen, die die Stufen im Bus runterfiel, dabei hat sie mich aber derart ungut getroffen, dass sie meinen Finger eingeklemmt hat. Aber es geht schon, ich kann mich nicht beklagen.
So lange es nicht die linke Hand trifft, was?
Naja, an der Hand habe ich schon ein paar Probleme, aber es geht mir gut. Solange ich ein paar simple Akkorde spielen kann bin ich glücklich.
Gibt es noch irgendwas das du loswerden möchtest?
Ich möchte mich bei jedem bedanken der, der…bei jedem der dies hier liest, bei all den langjährigen Unterstützern – ihr alle habt unsere Leben weiter zum positiven verändert. Es ist einfach großartig Teil einer musikalischen Community zu sein, eurer Music Community, in die ihr uns aufgenommen habt und uns das Gefühl gegeben habt, dass dies auch unsere Community sein kann. Und dies alles so weit weg von zuhause spüren zu lassen ist eines der herrlichsten Gefühle das man erfahren kann, wenn man von der Musik lebt – also danke dafür. Und für all jene die keine Ahnung haben wer ich bin oder wer meine Kumpels sind mit denen ich auf Tour bin – danke, dass ihr uns zugehört habt und uns die Chance gebt. Es existiert soviel großartige Musik da draußen, so viele großartige Konzerte und jeder hat die freie Wahl. Und die Tatsache dass Leute kommen und uns zum ersten Mal in ihrem Leben sehen, auf welche Art auch immer, dafür ihr Geld, ihre Zeit, ihre Energie geben um eine Show zu besuchen – das bedeutet mir schlichtweg alles. Es ist mir eine große Ehre, also: vielen Dank!
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