Interpol – El Pintor
Ein Album, das demonstrativ alle Last von den Schultern fegt, das viele dem New Yorker-Trio so wohl auch gar nicht mehr zugetraut hätten: Interpol behalten die Klangästhetik des sich selbst kasteienden (und gerne unterschätzten) Vorgängerbrockens bei, schreiben darunter aber so viele potentielle (Uptempo-)Singles wie seit ‚Antics‚ nicht.
Wenn ‚Interpol‚ ein Atemanhalten war, ist ‚El Pintor‚ das darauf folgende Luftholen, ein sachtes Lichten der schweren Vorhänge, hinter denen die Band seit jeher praktiziert und generell mehr Austeilen als Einstecken – über weite Strecken sogar Zeugnis davon, wie die ihren dunklen Indierock aus dem Zwielicht heraus durch die Häuserschluchten kriechen lassenden Interpol im gelösten, gar fröhlichen Zustand klingen: auf dem fünften Studioalbum feiern Überlebende die Trademarks ihrer Band.
Alleine ‚El Pintor‚ mit ‚All the Rage Back Home‚ beginnen zu lassen kann da durchaus als Statement verstanden werden: ein ungemein straighter, nach vorne gehender Ohrwurm ist das, von Daniel Kessler quängelnd angetrieben, von Paul Banks zwischen Teeneromanze und emotionalem Herzstillstand geschmeidig mit teileuphorischen „Hey! Hey! Hey!„-Rufen vorangepeitscht. Der Song sei zu Teilen auf dem Surfbrett entstanden sagt Banks – auf einer endlos langen Autobahn hätte auch gepasst. „Is someone there/ I’m dying to be/Cruising in my blue supreme“ heißt es dann irgendwo passenderweise kurz danach im sich wunderbar öffnenden Refrain des eigentlich verhalten stacksenden ‚My Blue Supreme‚.
‚Anywhere‚ stampft bisweilen energisch munter um ein jubilierendes Szenario in absoluter Aufbruchstimmung („The ocean/ I could go anywhere!/ I could go anywhere!/ So free/ it’s my nature to want/ I could go anywhere!„), ‚Everything is Wrong‚ setzt die Party von ‚Antics‚ mit flirrenden Postrock-Gitarren und den Gedanken bei U2 fort, ‚Breaker 1‚ könnte gar breitbeinig auf die Bühne gebracht werden, „Fuck the ancient ways!“ deklariert Banks später noch. Die Auszeit hat der Band offenbar gut getan: Interpol und die neue Leichtigkeit des Seins…
…im zweiten Leben der Band; nach Carlos Dengler. Das wahrscheinlich überraschendste Puzzlestück am weitestgehend wertkonservativ agierenden, den typischen Bandsound vage umschlichtenden ‚El Pintor‚ findet sich ausgerechnet in seiner im Vorfeld als vermeintlich prägende Lücke offenbar fehldiagnostizierten Umstrukturierung. Der Abgang des extravaganten Bassisten schlägt sich entgegen der Erwartungshaltung nämlich kaum in Ausrichtung und Darbietung des verbliebenen Trios nieder. Nur unter der Lupe sind die von Paul Banks eingespielten Bassspuren um Nuancen weniger ausgetüftelt und originell als die Denglers, direkter und energischer auf jeden Fall.
‚El Pintor‚ ist damit mehr als alles andere demonstratives, tongewordenes Symbol des Tatendrangs im möglicherweise gesundamputierten Gefüge, Dokument einer neu erwachten (oder: bisher ungekannt lodernden?) Euphorie – daneben aber auch als (in)direkte Reaktion auf ‚Interpol‚ zu hören; nicht nur des Anagramm-Titels wegen, oder weil der dramaturgische Aufbau der Platte durchaus Parallelen erkennen lässt (auch wenn der Albumfluss auf ‚El Pintor‚ deutlich homogener wirkt als auf dem Vorgänger). Songs wie das launig verglühende ‚Same Town, New Story‚, das hypnotische ‚Twice as Hard‚ oder ‚My Desire‚ mit ihren um sich selbst drehenden Songwriting und Kesslers nagendem Gitarrenspiel als Leitmotiv hätten so auch auf der vielgeschmähten Platte von 2010 Platz finden können. Nur ist es bezeichnend, mit welcher verspielten Lockerheit Interpol diese Nummern nun darbringen: allen voran ‚My Desire‚, dem besten Song der Platte, der nach knapp zweieinhalb Minuten zu einem sich selbst verrückt machenden Klangsturm verdichtet wird.
Das akribisch gebastelte, mit vielen Details aufwartende ‚El Pintor‚ entfernt sich so stilistisch also einerseits kaum aus dem bisherigen Kanon der Band (Brandon Curtis darf zwar seine Tourkeyboards in beinahe jeden Song einflechten, Paul Banks entwickelt sich stimmlich abermals weiter – man schöpft aber vor allem aus dem bekannten Ideenpool), fühlt sich jedoch andererseits vom Grundton her doch absolut anders an: das fünfte Album klingt weniger beklemmend, weniger angestrengt, gleichzeitig frischer und zugänglicher – ein designierter Reboot des Systems; der als solcher dennoch nicht makellos ist. ‚El Pintor‚ beinhaltet (obwohl die erste Albumhälfte deutlich stärker ausfällt als die zweite und ‚The Dephts‚ als Schlusspunkt eventuell die erlösendere Wahl gewesen wäre) keinen schwachen Song – die Magie der ersten zweieinhalb Alben findet sich jedoch nur in Ansätzen. Gelegentlich herrscht gar ein unterschwelliges emotionales Distanzgefühl, das im paradoxen Ungleichgewicht zur relativen Offenheit der Kompositionen steht; das macht es angenehm die Platte zu konsumieren, aber auch schwerer sich restlos in die 10 Songs fallen zu lassen: das mit der Atmosphärearbeit haben Interpol schon eindringlicher hinbekommen, das mit der Kurzweiligkeit wahrscheinlich noch nie.
Dennoch ist ‚El Pintor‚ ein durch und durch befriedigendes Album, das aus seinem Unterhaltungswert keinen Hehl macht und wohl ein selbstreinigender Schritt in die richtige Richtung ist. Weil es so wirkt, als würden die Songs enstanden sein, ohne dass die Urheber innere Qualen überwinden mussten um sie zu erschaffen, sie impulsiver aus den Handgelenken gleiten und man im Gedanken endlich in der Gegenwart verweilen kann: Interpol haben wieder merklich Spaß an sich selbst.
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