Incubus – Morning View XXIII

von am 18. Mai 2024 in Sonstiges

Incubus – Morning View XXIII

Es ist natürlich an sich absolut unnotwendig, ein Album, das neben seinem makellosen Songwriting auch so sehr von seiner Atmosphäre und Ausstrahlung lebt, wie Morning View es tut, überhaupt neu aufnehmen zu wollen. Incubus haben es zum 23 jährigen Jubiläum ihres vielleicht größten Klassikers dennoch getan – und machen damit erstaunlicherweise wenig falsch.

Zur unnachahmlichen Magie des 2001er-Albums gehört sicherlich auch, dass man, gerade mit dem dazugehörigen Artwork vor Augen, jedes Mal aufs Neue so direkt und unverbraucht in dessen  damalige Welt und Vibe gesogen zu werden, dass man meinen könnte, tatsächlich mit der Band am titelspendenden Morning View-Drive abzuhängen; die Attitüde, Ästhetik und fließende Kreativität ist so spürbar konserviert worden, dass gefühlt keine Distanz zwischen Hörer und Musiker existiert.
Einigen wir uns insofern vielleicht gleich anfangs auf die Prämisse, dass Morning View grundsätzlich ein Once-in-a-Lifetime-Werk ist, das man nicht besser machen kann, weil es auf einer Ebene zaubert, die keine Reproduktion rekreieren kann. Und weil Incubus nach zumindest zwei sehr durchwachsenen Studioalben seit 2011 leider den einstigen Nimbus der Unfehlbarkeit dezitiert aufgegeben habend, war da neben der Frage nach der Sinnhaftigkeit (geschweige denn Notwendigkeit) des angekündigten Morning View-Reboots im Vorfeld eben vor allem eine gesunde Portion Skepsis dem Projekt gegenüber.

Dass die Kalifornier zwei Jahrzehnte später nun durchaus Ansätze gefunden haben, die Morning View XXIII über die Hommage an die eigene Vergangenheit hinausgehend funktionieren lassen, ja mehr noch, sogar einige Ideen haben, die tendenziell Optimierungspotential beim Original aufzeigen, überrascht insofern nicht nur, sondern übertrifft bei aller Fan-Loyalität dann doch die Erwartungen an das Produkt.
Gleich die Eingangsphase führt dies beispielsweise ideal vor. Nice to Know You hat nun ein langes ambientes Intro bekommen, dass das folgende Mehr (aber nicht Zuviel) an ästhetischen Effekten und Harmonien vorwegnimmt, auch die Melodien leicht verändert und immer eine Nuance neben der Gewohnheit für interessante Impulse sorgt, bevor in Circles das manchmal auftauchende orientalisch gefärbte Flötieren bereits früh auf die Motive des Albumclosers einstimmt (und damit den roten Faden der Platte stärkt), während das lange walzende, relativ heavy jammende Outro die nötige Distanz bereitet, dass Wish You Were Here nicht mehr länger zu deckungsgleich mit dem Opener klingt – auch wenn das nunmehrige Fehlen der anschwellenden Acoustic-Gitarren zeigt, wo die Magie von Scott Litts Original-Sound einfach unwiederbringlich fehlt.

Die selbstproduzierende Band hat sich bei dem wie eine Studioversion aktueller Live-Interpretationen angelegten Morning View XXIII für einen weitaus weniger luftigen, physisch dichten Klang -ungefähr in der Nähe von A Crow Left of the Murder – entschieden , was dennoch nicht nur alleine deswegen smart ist, weil er keine alten Großtaten imitieren will, sondern auch, weil die Neue Version des Albums so gerade hinten raus homogener auf einer Linie liegt, als das Original: Echo bekommt nun mehr zügigen Drive samt verdienten Klimax, was sich gut mit der rollender hakenden Härte von Have You Ever versteht, derweil Are You In? mehr Zug und Party-Stimmung mit einer markanter gemixten Gitarre statt relaxter Zurückgelehntheit forciert, und Under My Umbrella knackiger angelegt mit kurzer Synth-Patina ausstattet.
Dass gerade Aqueous Transmission danach der Imagination weitaus weniger Luft zu atmen lässt, als gewohnt, ist allerdings ein Preis, den man im Umkehrschluss für diese Entscheidung zahlen muss.

Der endlos dösen könnende Closer wäre zwar auch ohne die langen Wiederholungen von Brandon Boyds Gesang im ätherischen Finale ausgekommen – aber geschenkt. Doch bringt er uns zum größten, vielleicht sogar einzig gravierenden Manko der Platte: Der Gesang des Frontmannes klingt oft nervig (aber angesichts einer vorangegangenen OP unausweichlich) nasal und zeigt in manchen Phasen trotz der vordergründigen Inszenierung keine angreifende Energie, derweil die Stimme beispielsweise in Mexico schläfrig intonierend mit zu viel Effektbügelei und Hall ausgestattet wurde, und der Zusatz an Streichern die Nummer so zwar immer noch gefühlvoll, aber nicht mehr ergreifend überwältigend zeigt.
Just a Phase in ähnlicher Ausrichtung ebenfalls weiter in seine orchestralen Arrangements der Klanglandschaft gelehnt voll flächiger Prägnanz subtil von einer weiblichen Stimme begleiten zu lassen, ist insofern eine solide, zweckdienliche Entscheidung – aber keineswegs ein notwendiges Übel.
Dass Incubus nun andere Facetten bei Morning View betonen und neue Akzente setzen, gehört eben (ebenso symptomatisch wie der Einsatz von Neo-Bassistin Nicole Row anstatt eines Dirk Lance-Revivals) dazu, dass die Variationen gelingen – nicht immer begeistern, aber dem Fan-Herz ohne nostalgischen Staub auf erfrischende Weise neue Perspektiven beibringend.
Also nein – notwendig ist Morning View XXIII nicht wirklich. Aber es ist doch erstaunlich schön, dass es die Platte gibt.

Print article

Kommentieren

Bitte Pflichtfelder ausfüllen