Idles – A Beautiful Thing: IDLES Live at Le Bataclan
Vielleicht hat es einen dezent befremdlichen Beigeschmack, dass ausgerechnet die Punkrock-Liebkinder aus Bristol ihren Erfolg derzeit so ungeniert melken. Gleichzeitig lässt A Beautiful Thing: IDLES Live at Le Bataclan dann aber auch ziemlich hemmungslos in Euphorie verfallen.
Steigen wir also gleich mit den wenigen Kritikpunkten ein, damit diese aus dem Weg geräumt sind und das Schwärmen beginnen kann. Es ist etwas schade, dass der Mitschnitt der Show nicht vollständig auf Tonträger gelandet ist und die (immer wieder gerne herangezogene) Interpretation von All I Want For Christmas is You des Abends fehlt. Gerade weil ohnedies knapp ein Jahr zwischen Konzert und Veröffentlichung des Livealbums vergangen ist, wäre eine Dokumentation der Nummer auf A Beautiful Thing: IDLES Live at Le Bataclan (abseits etwaiger lizenzrechtlicher Schwierigkeiten) eine feine und stimmige Sache gewesen.
Stichwort Aktualität: Auf der Setlist finden sich sonst nur Songs der beiden Studioalben Brutalism und (dem bis auf June sogar vollständigen Zweitwerk) Joy As an Act of Resistance. Die (seinerzeit zwar bereits existenten, aber nicht veröffentlichten) Nummern der Mercedes Marxists-Single (sowie des aktuell noch ausstehenden zweiten Einzelsong-Kurzformates) oder der (qualitativ ja ohnedies noch in einer anderen Liga spielenden) EPs Idles, Welcome und Meat fehlen konsequent: Leidlich traurig, doch wird der Mehrwert ohne gefühlte Exklusivität dadurch nicht gerade gesteigert.
Und sobald das Video zu Mother einen knappen Eindruck davon gibt, weswegen man immer wieder hört, dass Idles-Konzerte sich auf einem eigenen Level abspielen, glaubt man sofort, das sich die Intensität einer Show der Briten (gerade nur auf Tonträgerformate limitiert) nicht restlos einfangen und wiedergeben lässt, man – als Futter für die Phrasensau – wohl schlichtweg wirklich selbst dabei gewesen hätte sein müssen, um das Spektakel ohne Reibungsverlust nachvollziehen zu können.
Im Umkehrschluss kann es dann schon ein diebisches Grinsen ins Gesicht zaubern, angesichts der nichtsdestotrotz konservierten Energie und Leidenschaft, die A Beautiful Thing: IDLES Live at Le Bataclan ungeachtet des theoretisch vorhandenen Optimierungspotentials aus allen Rohren pustet: Näher und authetischer ran an einen tatsächlichen Idles-Tourbesuch als über die hier konservierten 84 Minuten wird man kaum kommen können, ohne sich selbst in den Pit vor der Bühne wagen zu müßen.
Denn viele Fehler leistet sich die Platte abseits des einleitenden Erbsenzählens wahrlich nicht: Die akzentuierte Produktion ist klasse und die Atmosphäre absolut mitreißend, die Performance nahbar und der Sound klar, ohne seinen Schweiß abzuwischen. A Beautiful Thing: IDLES Live at Le Bataclan ist eines dieser gelungenen Mittendrinnen-Livealben, die keine Distanz spürbar machen und mit schier unerschöpflich scheinender Dringlichkeit die Maxime der Band destilliert.
Die Highlights geben sich da die Klinke in die Hand. Etwa gleich, wenn Colossus sich erst schleppend und stoisch aus einer mürrischen Entschleunigung aufbaut, beim Erreichen der Betriebstemperatur immer dynamischer und garstiger wird, und erst über eine Ansprache von Joe Talbot über „love and compassion and no agression“ detoniert. Die Gitarren in Never Fight a Man With a Perm dürfen symptomatisch bereits stärker mit dem Noise flirten und trotzdem alle Animationen perfekt sitzen lassen.
Überhaupt bleiben Idles über sofort mitgröhlbare Instant-Hits wie Mother, I’m Scum (mit fieser Sleaford Mods-Ohrfeige) oder Danny Nedelko (mit herrlich assig am Hardcore bellenden Backingvocals) zwar ein bisschen die Fratellis der Szene. Doch der rohere, räudigere Sound und alleine die bärbeißende Stimme von Talbot lässt jeden Song live noch einmal deutlicher gewinnen. Das grandiose White Privilege bekommt beispielsweise ein ewig zelebriertes Call and Response-Finale, yeah, und die Schrauben von Benzocaine werden von Drummer Jon Beavis immer enger gezogen, bevor Exeter seine Publikumsinteraktion so lange abstrakt hält, bis das Mikro durch die Menge wandert.
Dass die verbalen Attacken der politisch korrektesten Band des Planeten auf die französische Regierung zu Beginn von Gram Rock eher verhalten goutiert werden, kaschiert Talbot weniger durch das relativierende Nachreichen der ebensolchen „Psychopath“-Kritik an Großbritannien, als durch eine besonders intensive Darbietung der Nummer dahinter. Wegen derartiger Impulse ist es dann auch egal, wenn A Beautiful Thing: IDLES Live at Le Bataclan nicht gänzlich ohne Längen auskommt (da manche Phasen wie etwa ausgerechnet das zu träge Cry to Me und ein leidlich ambitioniertes Well Done weniger frenetisch zünden) – spätestens wenn der Closer Rottweiler knapp 10 Minuten lang zu einem Postpunk-Monolithen über sich selbst hinauswächst und Idles das Momentum behalten lässt, ohne zum Strohfeuer zu verkommen.
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