Ichiko Aoba – Luminescent Creatures

von am 19. März 2025 in Album

Ichiko Aoba – Luminescent Creatures

Benannt nach dem Abschiedssong von Windswept Adam ist Luminescent Creatures gleichzeitig eine direkte Fortsetzung eben jenes knapp vier Jahre alten Konzeptwerks, wie auch die stilistische Rückkehr zu einer klassischeren Form für Ichiko Aoba und ihrem kongenialen Partner Taro Umebayashi.

Luminescent Creatures wurde aus Windswept Adan geboren“ erklärt die 34 jährige Japanerin und spinnt die auf ihrem internationalen Durchbruch-Album begonnene Story um ein Mädchen auf einer fiktiven Insel als mystischen Sehnsuchtsort fort: „Es begann damit, dass ich mich fragte, was passiert, nachdem die Protagonistin von Windswept Adan zusammen mit der Musik der Inselbewohner verschwunden ist. Was würde zurückbleiben?
Die Antwort darauf ist tatsächlich „a meditation on deep time, on life before and after humanity“, wo Lullabye zuletzt also weniger ein Abschied, als ein sanfter Übergang zwischen den Passagen war.

Im blinden Verständnis mit Co-Komponist, Arrangeur und Multi-Instrumentalist Taro Umebayashi (Acoustic Piano, Celesta, Synthesizer, Electric Guitar) führt Aoba (All Vocals, Classical Guitar, Steiner Chime, Shell, Field Recordings, Electric Piano) die erdachten Klangwelten dafür nun gleichzeitig über ihre Grenzen hinaus und simultan wieder in die kompaktere, sparsamer artikulierte Bildersprache der Prä-2020er-Zeit zurück, schafft quasi ein Amalgam aus Vergangenheit und Zukunft.
Alleine schon die Gesamtspielzeit von 36 Minuten ist da deutlicher auf einer Linie mit Werken wie qp und sicher Ausdruck einer Wurzelbesinnung. Doch ist der Habitat diesmal streng genommen immer noch der selbe, wie bei Windswept Adan. Nur eben weitaus subtiler und weniger ausladend angelegt. Deutlich dezenter, ruhiger, und ja, auf den ersten Blick wohl auch unscheinbarer als zuletzt agierend.

Auf den Erstkontakt könnte Luminescent Creatures so gar ein wenig unterwältigend und mäandernd erscheinen. Wären da nicht Szenen, die als aus Raum und Zeit gefallene Vertraute sofort ins Herz geschlossen im wundersamen Fluss herausragen, und mit einer universellen Strahlkraft ein weiteres großes Aoba-Werk versprechen.
Tower tapst etwa mit einer jazzig getupften Schönheit, die entlang graziler Streicher wie ewige Hisaishi-Magie milde lächelt, ohne ganz greifbar zu werden. Das absolute Highlight Luciférine ist nicht weniger als ein erhabener Traum von einem Song, dessen Melodie fest im Unterbewustsein verwurzelt mit wenigen Mitteln eine erstaunliche Cinematographie voll unaufdringlicher Fantasie erzeugt, derweil das behutsam gezupfte Kleinod 惑星の泪 (Wakusei no Namida) wie gütiger Morgentau die Seele reinigt.

Beim zwanglosen, unaufgeregten Wandern durch eine maritim-tonale Natur voll bittersüß-friedlicher Melancholie, die ätherisch und warm in die Tiefe führt, gibt es um diese an der Hand nehmende Leitpunkte nach und nach schier unendlich viele meisterhaft arrangierte Details und akribische Feinheiten in der genial dosierten Sparsamkeit voller Magie zu entdecken. Surreal und fantastisch wächst das Gesamtwerk mit jedem Durchgang, während Aobas sphärischer Gesang am märchenhaften-filigranen Acoustic-Folk-Gitarrenspiel als Leitfaden dezent zurück in den Fokus kehrt (wie etwa im Herz der Platte mit dem bekümmert stützenden Doppel aus dem Kleinod Aurora sowie dem weitläufiger angelegter Flag) und Luminescent Creatures in seiner an Mark Hollis und Talk Talk gemahnenden Ästhetik ebenso pur wie undurchsichtiger an der Essenz der angestammten Diskografie ausgerichtet ist. Dem kann man in den Kontext zum Vorgängerwerk gesetzt höchstens ankreiden, dass sich das Album in ihrem Volumen eher wie ein Epilog, denn ein zweiter, tragender Teil des Handlungsbogens anfühlt.

Das zum Niederknien wundervolle Coloratura flüstert sich mit malerischem Tatendrang fast schon überschwänglich zur bildgewaltigen Diskretion und Aufbruchstimmung, wiewohl der wunderschöne Klavier-Appendix nicht ganz rund angefügt wird. 24° 3′ 33′′ N, 123° 46′ 57′′ E reingerpretiert ein Traditional  der Hateruma Insel als fragmentarische Momentaufnahme aus dem ambienten Äther mit Streichern um ein Cello, während Mazamun als sanft perlenden Untermalungen von Jon Brion für Andy Kaufmann-Filme durchgehen könnte, in denen man nicht weiß, ob all der Wehmut nicht gerade Trost spendet.
Cochlea beobachtet das Windspiel-Intro von Over and Over, findet anstelle von Tanzbarkeit jedoch den Ambient, der die Beobachterin wie im nautischen Weltraum von Pirsomnia mit dem funkelnden Sternenmeer verschmelzen lässt, bevor die sehnsüchtig durch den Äther entweichende Klavier-Elegie Sonar die unspektakuläre, ohne aufregende Szenen oder laute Effekte auskommenden Märchenwelt in die Ewigkeit zieht: Luminescent Creatures fällt mit seinem idealen Artwork nicht mit der Tür ins Haus, ist aber Musik, die die Wahrnehmung der Realität ein gutes Stück weit mit positiver Leichtigkeit verschiebt, als atmosphärischer Soundtrack selbst den tristenden Alltag ein mit sich selbst im Reinen durchatmendes, versöhnliches Staunen beibringen kann.

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