Hildur Guðnadóttir – Chernobyl
Dass Chernobyl von HBO eine der herausragendsten Serien des bisherigen Jahrganges ist, hat auf damit zu tun, dass Hildur Guðnadóttir hier ihre Formvollendung als Soundtrack-Komponistin zelebriert.
Es läuft für die Isländerin: Über Auftrags-Arbeiten wie End of Summer hat sich die ehemalige Mùm-Musikerin einen Namen als talentierte Klangmalerin für Film- oder Fernsehen gemacht, und diesen Ruf durch die Schule ihres Mentors Jóhann Jóhannsson gehend über erste Großprojekte wie Sicario: Day of the Soldado gefestigt. 2019 ist nun ihr bisher ereignisreichstes Jahr. Die Untermalung der mutmaßlichen Joaquín Phoenix-Show Joker vor Augen und die prominente Kooperation mit Sunn O))) auf Life Metal im Rückspiegel, ist jedoch der Score zur HBO-Miniserie Chernobyl ihr bisheriges Meisterstück.
Vorwerfen lassen muss sich dieser höchstens, dass die 39 Minuten abseits der dazugehörigen Bilder phasenweise zu ausschnitthaft anmuten, durch die narrative Bindung an die Länge bestimmter Szenen selten aber doch fragmentarisch wirken können. Im Umkehrschluss bedeutet dies allerdings nur, dass die 14 Tracks eine solch einnehmende Dichte und Tiefenwirkung haben, dass man die aufgetanen Welten gerne noch ausführlicher erforscht hätte.
Und das, obwohl (oder gerade weil) Chernobyl ein Werk von durchaus beunruhigender Eindringlichkeit geworden ist, düster und unwohl. Vor allem aber ist seine, nun ja, Ausstrahlung geradezu aufwühlend authentisch, irgendwo zwischen Hereditary und Requiem.
Was nicht von irgendwoher kommt: „Den Großteil der Serie haben sie einem stillgelegten Atomkraftwerk in Litauen gedreht. Kurz bevor sie da hingefahren sind, um zu drehen, bin ich hingefahren, um aufzunehmen.“ erinnert sie sich an die Aufnahmen mit Produzent Chris Watson. „Wir gingen in kompletten Schutzanzügen und allem in das Atomkraftwerk. Wir sind dorthin gefahren, um das Atomkraftwerk aufzunehmen und wir haben den Score aus diesen Aufnahmen gemacht. Jeder einzelne Ton im Soundtrack stammt von diesen Kraftwerk-Aufzeichnungen.”
Guðnadóttir fängt so die Unwiederbringlichkeit von einstiger Schönheit ein, zeichnet einen Score, der etwas zutiefst unschuldiges an sich hat und doch alle Last der Welt über den Schultern zu dräuen haben scheint. Die meist strukturoffenen Gebilde aus Ambient, Drone und Noise wirken gleichermaßen hermetisch eingeschlossen, wie die Atmosphäre und Tiefenwirkung unmerklich nachsickert, die Präsenz ohne Körperlichkeit verziert. Damit funktioniert Chernobyl eher assoziativ, als durch das verankern klarer Motive, stellt seine Einflüsse im homogenen Fluss seiner unterschiedlichen Sound-Facetten auch immer wieder verschwommen dar, ohne diese als tatsächliche Referenzen in in der unwirklichen Aura bemühen zu müssen.
Das beklemmend-vorsichtige Bridge of Death verbirgt seine vorhandene Macht etwa hinter einer niemals greifbaren Fragilität, als hätten Sigur Ròs einen Albtraum im schleichenden Suspense ohne frontale Agenda. Das komplett entschleunigte Knistern von Gallery ist dagegen ein retrofuturistisches Pumpen in Zeitlupe, das gewissermaßen Blade Runner 2049 als Kammerspiel mit tranceartig säuselnden Modulen interpretiert. 12 Hours Before könnte Vangelis aus Jonsis Sicht sein, prognostiziert etwas episches mit einem latenten Optimismus, ohne Opulenz oder Bombast walten lassen zu müssen. Die Radiatoren-Musik von Corridors würde sich stimmig in den Klangkosmos von Randall Dunn einfügen und Evacuation gemahnt mit ätherischer Oberfläche und schabenden Synthies an die delirante 80er-Dystopie von Mandy – und steht darüber durchaus würdig in der Tradition großer isländischer Komponisten. Denn das auch Guðnadóttir trotz dem Verlangen nach befreiendem Subtext keine Erlösung anbieten will, ist nur konsequent, eigenwillig und auf beängstigende Weise verzaubernd.
Die Eklektikerin rein auf die schmeichelnde Position als vielversprechendste Erbin von Jóhannsson zu reduzierend, würde also doch zu kurz kommen: Das Gespür von Guðnadóttir für Akzente, imaginative Szenen und wechselnde Dynamiken ist rundum beachtlich.
In The Door zittert etwa ein beinahe jazziges Schlagzeugspiel über dem bedächtigen Glimmern, Turbine Hall schimmert elegant über bedrohlich schiebenden Frequenzen. Die Beklommenheit im ruhigen Kaleidoskop aus Brummen und Surren in Pump Room ist ebenso gespenstisch wie die über einem Nebel schwebenden Stimmen und Percussion-Elemente in Clean Up. Und Waiting for the Engineer beschwört das leise Aufbegehren aus dem Orchestergraben durch den klaustrophobischen Horror-Filter in sanfter Distortion.
Am herausragenden gelingen aber Vichnaya Pamyat mit seinen erhebenden Chorälen, die eine melancholische Würde transportieren, eine untröstlich traurige Anmut, die Betroffenheit anklagend ausbreitet, sowie Líður (Chernobyl Version), als Erinnerung an eine sich zersetzende Klavierballade, die von Streichern verweht wird.
All das harmoniert kongenial mit den entsprechenden Bildern, schickt das Kopfkino allerdings auch abseits davon mit immanenter Klasse auf subversive Reisen in eine verstörende Welt. Womit Guðnadóttir ihre Meisterprüfung beeindruckend gelingt, dabei aber auch ein faszinierendes Interesse weckt, wohin die Isländerin noch wachsen wird.
Leave a Reply