Hilary Woods – Birthmarks

von am 20. März 2020 in Album

Hilary Woods – Birthmarks

Hilary Woods gebiert zwei Jahre nach ihrem Solo-Debüt Colt mit Birthmarks ein formloses Wesen, das dem experimentellen Folk und neoklassischem Darkwave eine kammermusikalische, postindustrielle Ambient-Dreampop-Note verleiht. Oder so.

Die demnächst vierzigjährige Dublinerin (und Fun Fact: ehemalige Bassistin von JJ72) bewegt sich nicht nur im großen Ganzen ihrer Diskografie immer weiter in eine strukturoffene Freigeistigkeit, sie tut dies auch systematisch auf den Mikrokosmos Birthmarks bezogen, der sich hochschwanger mit den (Nach)Wehen der eigenen Existenzfindung auseinandersetzt. „Birthmarks is a record that hunts for ways in which to revisit and caress wounds left by the memory of their scars. In its mystery and attentiveness to the art of alchemy and the world of the unseen, it is a journey through textural fog and feral density that gives way to passages of voracious sonic exorcism and poetic healing. Its eight songs traverse planes of visceral physicality, stark tender space, and breathtaking introspective beauty.“ philosophiert Woods Label Sacred Bones und gibt dem instinktiv fließenden Kind über kryptische Worte damit einen adäquaten Namen.

Der verhalten pochende Drone von Tongues of Wild Boar rezitiert feierlich, während das schwer im Moll wattende Instrumentarium um Holzbläser und klimpernde Tasten wie Pastorale Folklore schlapft. Orange Tree schwelgt verträumt und melancholisch, schwelgend, die Melodie verführt in schwebende Konturen und Through the Dark, Love findet aus einem Noise-Dickicht in die wärmenden Arme einer traurigen Gitarre und weicher Cello-Arrangements: Die Texturen und Ästhetik jenseits des konventionellen Songwritings definieren eine Stimmung und imaginative Atmosphäre, die nur im Kerzenschimmer existiert – als hätte Grouper das Wesen von Ioanna Gika in die Körperlosigkeig übersetzt.
Lay Bare trägt die Essenz des Darkjazz in sich, geht in sich, aber nirgendwohin und Mud and Stones übernimmt dort wie ein transzendentaler Score von Colin Stetson, wird immer formloser, flüstert sich durch das Dunkel, irgendwo ist eine dumpfe Percussion begraben, die in diesem entschleunigten Fiebertraum von einer Collage pulsiert.

The Mouth assoziiert eine im minimalistischen Elektronik-Rauschen aufgelöste Enya und das Nebelhorn Cleansing Ritual lockt Unbehagen an, bleibt jedoch bei der avantgardistischen Klanginstallation.
Dass There is No Moon als unkonkreter Epilog eine elegische Klavierballade in flüsternd-gehauchter und fragil gezupfter Anmut skizziert, ist dann aber auch symptomatisch für eine eher begleitende Platte, die generell vage Ahnung bleibt, weil nach 32 Minuten das erschöpfende Element fehlt, dazu auch das Gefühl, als gäbe es auf hier ein mystisches Geheimnis, das man irgendwann ergründen können würde. Stattdessen trägt Birthmarks seine Agenda in vielerlei Hinsicht ob seiner Beschaffenheit nicht nur im Titel zu durchschaubar vor sich her.

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