Hesitation Wounds – Awake For Everything
Erwartbar furios. Oder: Wer wäre besser dafür geeignet eine gnadenlose Lehrstunde in Sachen unerbittlich konsequenter Hardcore-Wirbelstürme zu geben, als eine arrivierte Szene-Supergroup rund um (ehemalige) Mitglieder von Touché Amoré, Against Me!, Slipknot, The Hope Conspiracy oder Trap Them?
Nicht dass Hesitation Wounds Namedropping nötig hätten. Die Relation zu den Stammbands aller Beteiligten hilft jedoch, die 27 Minuten von Awake For Everything stilistisch durchaus adäquat zu verorten und sich gleichzeitig die Bandbreite des zusätzlichen Spektrums vor Ohren zu führen, das sich dem Quartett anhand ihrer (die Gangart der selbstbetitelten 2013er EP konsequent weiterdenkenden) Spielwiese bietet. Alleine stimmlich und inhaltlich fächert Hesitation Wounds bekannte Klänge in einen breiteren Kontext: Wo Jeremy Bolm mit Touché Amoré vor allem seine inneren Gefühlsdämonen zu bändigen versucht und eine reinigende Katharsis der emotionalen Art betreibt, nutzt er Hesitation Wounds auch zur Artikulation politischerer Themen, die dem 33 Jährigen unter den Fingernägeln und auf den Stimmbändern brennen, drangsaliert sein Organ dafür mit einer überraschund schonungslos angepissten Härte, deutlich wilder als bei seiner zuletzt die Dinge auch einmal versöhnlicher angehenden Hauptkombo, wie er da hinter kratzigen Riffs und dem adaptierten Sound von Deadguy: „The music that Touché makes is my comfort zone, it’s what I love and what I work so hard at. But there’s always a craving to do something extra heavy and hyper-angry, whereas Touché is kind of more sad and morose. I wanted something to just really sink my teeth into in a much more aggressive way and that’s what Hesitation Wounds satisfies.„
Musik als Anti-Wohlfühlzone und beißender Kampf. Hesitation Wounds gestalten ihr Debütalbum insofern als unbändigen Wechselbalg von einem Einstand, variieren ihren Zugang zum tollwütig-austickenden Hardcore praktisch im Minutentakt und lassen sich auf keine Facette ihres so knüppeldick-sehnigen Amalgams festnageln. Die Brutalität hier ist nicht stumpf, die martialische Wucht ausgefuchst, die Botschaft dahinter durchdacht und packend, das Songwriting dort wo man es erwartet – aber derart trickreich und technisch imposant eingespielt, dass Awake For Everything zu keinem Zeitpunkt vorhersehbar wird. Da darf man wohl auch durchaus dankbar sein, dass Kurt Ballou nur für den Mix verantwortlich zeichnet und der Band so nicht seine typische GodCity-Produktion aufdrängen konnte: Die Aufnahmen hat Alex Estrada besorgt und Awake for Everything einen herrlich unberechenbaren, räudigen, rauhen und wendigen Sound verpasst, der notfalls Muskeln spielen lassen kann, sich aber dabei nie festnageln lassen will.
Die so forcierte Vielseitigkeit und der immanente Abwechlungsreichtum ist vor allem angesichts der nicht wahrnehmbaren Nahtstellen im rasenden Songwriting beachtlich, die Platz für archaische Melodien und auch durchaus altbekannte Tricks von Gitarrist Neeraj Kane, Drummer Jay Weinberg, Schreihals Bolm und Basser Stephen „Scuba“ LaCour bieten, diese jedoch in erfrischend geladene Kleider stecken, ein mitreißendes Genrefeuerwerk als homogenes Ganzes abfeuert.
Gleich Operatic ist da knüppelnder Hardcore mit fiesem Noiseanstrich, der wie das Pit-Inferno von Touché Amoré mit rücksichtsloser Härte am Temporad dreht, vor Energie förmlich zu explodieren scheint. Bleach gibt den hetzenden Hit, wenn man so will, bevor New Abuse sich ausgebremst weiter zurück in einen hallschwageren Klang lehnt, in dem die Melodien zuerst metallisch aufgerieben und dann über eine gewisse Klarheit funkeln. Ein Away könnte die Band in seiner bedrohlich rezitierten, brodelnden Heavyness dagegen gar aus dem Nähkästchen von Corey Taylor geborgt haben.
Es ist auch dieses berauschende Wechselspiel aus sich atmosphärisch aufbürstenden Brechern wie Streamlined, atemlos nach vorne randalierenden Protesten wie Guthrie, das Spannungsschicht um Spannungsschicht in seinen Wellengang einflicht und ballernden, knüppelnden, galoppierend ungestümen Bestien wie dem 54 Sekunden-Sprinter All We Know, die Awake For Everything seine impulsive Klasse verleihen: Das Spiel mit verschiedenen Graden der Intensität, Verdichtung und Dynamik beherrschen Hesitation Wounds schlicht brillant. Genau an diesem Punkt setzt das Quartett auch den Hebel an, um die Extreme in erschlagendem Maße auszuloten und dennoch mehr als alles andere den ansteckenden Spaß am wütenden Radau zu transportieren. Awake For Everything hört man seine ohne Druck in spontaner Windeseile eingespielte Entstehungsgeschichte an, seine spontane und exzessive Unbekümmertheit, und auch die Tatsache, dass es für alle Beteiligten vor allem eine Plattform ist, um sich abseits strenger Verpflichtungen hemmungslos auszutoben. Alles kann, nichts muss. Dass die dabei hinausgehauenen Hassbatzen genau genommen weniger Neuland erkunden, sondern vielmehr Altbekanntes in berauschender Heftigkeit durcheinanderfetzen und neu zusammenkicken, fällt niemals negativ ins Gewicht. Eine unterhaltsamere Schlachtplatte wird sich für Genre-Fans derzeit nur schwerlich finden. Auch gänzlich ohne Supergroup-Bonus.
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