Have a Nice Life – The Unnatural World
Seit Have a Nice Life 2008 ihr Debütalbum veröffentlicht haben ist viel passiert: ‚Deathconsciousness‚ hat aus dem Untergrund heraus nicht nur sich selbst Kultstatus erspielt, sondern auch dem Label Enemies List und dessen Nun-Vollzeit-Betreiber Dan Barrett, der sich gleichzeitig die Wandlung vom depressiven Einsiedler zum nicht mehr so unaffektiert wirkenden Kopf hinter Giles Corey und Married gewandelt hat, während Tim Macuga weiterhin abseits der Scheinwerfer Und Lehrverpflichtungen in Wäldern haust und Kassetten im nebeligen Mondlicht vergräbt.
Nach schier endlos langen Ankündigungen haben die beiden also wieder zusammengefunden, zwangsläufig, wie das wahlweise etwas egozentrisch betitelte und mit postpunkig drängelndem Basslauf ausgestattete ‚Dan and Tim, Reunited By Fate‚ anmerkt, aber letztendlich nur treffsicher ausdrückt, dass sich die beiden Homerecording-Musiker nach wie vor Ideal ergänzen: von Barret kommen die an der Grenze zum Nihilismus darbenden Texte, der atmosphärische Lo-Fi Folk-Einschlag bei den trotz aller Verschleierungstaktiken eingängigen Melodien; von Tim der kalte Industrialhauch, die ambienten Schleier, die Black Metalische Stimmung; und in Verbindung wächst da auch diesmal wieder dieses schwer zu fassende Amalgam aus Shoegazesounds, Droneüberbauten, experimentellen Avantgarde-Gesten und apokalyptischem Soundscapes: die Gestalten am gespenstische Albumcover beginnen im Kopfkino also nicht nur für das abschließende ‚Emptiness Will Eat The Witch‚ zu unwirklichen Orgel-Klangschwaden, entschleunigten Unterwassergitarrenakkorden und psychedelischen Suizidgesängen in Zeitlupe schwebend zu tanzen.
Das bereits von ‚Santa is Real (The Enemies List Christmas Album)‚ bekannte ‚Guggenheim Wax Museum‚ macht dabei den Opener, wurde aber mit zusätzlicher produktionstechnischer Wucht ausgestattet, pulsiert in maschineller Melancholie über einer hypnotischen Sogkraft, die ‚The Unnatural World‚ danach zu jedem Zeitpunkt beibehalten wird. Have a Nice Life gönnen ihren Songs dazu mehr Momente der Klarheit und verstörenden Schönheit, ohne sie dafür ins Tageslicht zerren zu müssen. In ‚Burial Society‚ etwa, wo schwerelose Klavierakkorde über stoische Elektrodrums in einen hoffnungslosen Hallraum tröpfeln und Have a Nice Life eine sich letztendlich sich selbst strangulierende Düster-Ballade mit Weltuntergangsschlagseite aufbauen. Da fällt der Zugang zur Band natürlich deutlich leichter als auf allen bisherigen Veröffentlichungen.
Der Schlusspunkt von ‚The Unnatural World‚ ist dabei der einzige Song der Ansatzweise die Nähe der 9 Minutenmarke erreicht – und steht damit weitestgehend einsam gegen den Trend der bereits auf der 2010er EP ‚Time of Land‚ anvisierten Kompaktheit: der zweite Langspieler von Hife a Nice Life unterscheidet sich vor allem durch seine Spielzeit drastisch von seinem Vorgänger, weil auf geballte 85 Minuten hier „nur“ 47 folgen. Alleine in dieser Hinsicht ist ‚The Unnatural World‚ kompakter ausgefallen, wirkt aber auch abseits davon obwohl durch den bandtypischen Morast aus Mystik und Okkultismus treibend durchwegs weltlicher und greifbarer als ‚Deathconsciousness‘. ‚Defenstration Song‚ kreuzt Joy Division mit Bauhaus und einer Alptraumversion von Arcade Fire mit viel Gefühl für Melodik und Feedback, nur um Refrain sogar die Hymne auszupacken: der größte potentielle Hit einer Band, die ihre Zugänglichkeit immer noch nicht hofiert, sie allerdings großzügiger zwischen alle Schweißnähte ihres Genreamalgams zieht.
Auch ‚Unholy Life‘ ersäuft danach zwar in einem Meer aus Noise, will aber eben gar nicht verdecken, dass Have a Nice Life hinter der Kratzbürstigkeit einen zielstrebig nach vorne gehenden Rocksong geschrieben haben. Sicher hätte dieser auch länger sein dürfen – aber das bleibt auch grundsätzlich der einzige Kritikpunkt hier: ‚The Unnatural Life‚ ist zu kurz geraten. Schreiben Have a Nice Life doch immer noch Songs, die es nach dem Überlebensgroßen verlangt. Hier aber kredenzen sie diese eben oftmals in geradezu gebändigt anmutenden Dosen: die Aura des schieren Opus Magnum, des Erschlagenden und Unendlichen fehlt ‚The Unnatural World‚ im Gegensatz zu ‚Deathconsciousness‚.
Das Drone-Intermezzo ‚Music Will Unntune The Sky‚ mit seinem Inception-Soundtrack-Brummen wirkt so in seinem sinnsuchenden Malen ein klein wenig verloren (wenn auch absolut nicht deplatziert!) zwischen all den konkreter operierenden Strukturen, die knapp zweieinhalb Minuten Intro bevor sich ‚Cropsey‚ als Depeche Mode-Song im bösen Kriegsmodus entpuppt beinahe als zu großzügig bemessen. Dafür ist der Druck auf Repeat letztendlich auch weitaus einfacher zu tätigen als je zuvor bei dieser band, natürlich auch zwangsläufig nötig: der zweite Ausflug von Have a Nice Life verdichtet sich immer mehr zu einem charakteristischen, unheilvollen Rausch zwischen den Genres mit enormen Suchtpotential. Und damit auch zu einem würdigen Nachfolger für das vorangegangene Meisterwerk.
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