Have a Nice Life – Sea of Worry

Hinter einer zutiefst homogenen und unverkennbaren Soundästhetik haben Have a Nice Life stilistisch immer schon eine beachtliche Spannweite vermessen. Sea of Worry ist allerdings das erste Album von Dan Barrett und Tim Macuga, dass dabei unrund und zwischen seinen Polen zerrissen wirkt.
Man kann Have a Nice Life spätestens mit ihrem dritten Studioalbum in 19 Jahren nicht vorhalten, sich ambitionslos im Schatten des übermächtigen Debüts Deathconsciousness von 2008 verstecken zu wollen. Dass eine Öffnung für konventionellere und (ungeachtet der bisweilen immer noch sehr pessimistischen Texte) auch unbeschwerteren Gefälligkeiten nach dem nicht überall euphorisch aufgenommenen, sich seine Wurzeln noch deutlich bewusster aufbürdenden The Unnatural World von 2014) aber nicht unbedingt der Schlüssel dazu sein sollte, beweist quasi das eine Extrem von Sea of Worry, dass durch die vorauseilende Single in Form des flott-schmissigen Titelsongs ja bereits adäquat angeteasert wurde.
Der eröffnet Sea of Worry (das Album) nun auch mit seinen dominant twistenden Drums im surfenden Postpunk, irgendwo nahe eines griffigen Gothrock-Versatzstückes, aufgewogen mit shuffelnden Elementen des Shoegaze und Darkwave. Nicht erst wenn enorm eingängige „Uhuhuuu“-Ohrwürmer flanieren, leuchtet das die typische Bandatmosphäre in einem Merchandise-Schimmern aus, zeigt die Band nicht neu erfunden, aber so unfassbar catchy, klar und deutlich wie wohl noch nie zuvor.
Etwas später wird die titeltechnisch halbe Verneigung vor den ewig unter Wert verkauften Trespassers W(illiam) sogar noch deutlicher am eindeutigen Hit gebaut sein, verzichtet letztendlich auch nicht auf Stimmung machende Animationen hintenraus. Dracula Bells lehnt sich in dieser Auslegung dagegen vergleichsweise zurück, behält einen knackig-inkompatibel von der Rhythmusabteilung vorgegebenen Zug, forciert neben einem klimpernden Stooges-Piano ein leicht dissonantes Gitarrenmotiv geradezu aufdringlich, repetitiv und monoton-ermüdend, weswegen Have a Nice Life in diesem Fall auch erst die Kurve kriegen, sobald sie die Nummer krautig groovend in der ansatzweisen Kakophonie-Trance verdichtet.
Als würde Stillstand den Verlust aller glücklichen Facetten bedeuten, die das Leben dann in den vergangenen Jahren doch erzeugen konnte, suchen Have a Nice Life auf Sea of Worry also den Weg nach vorne. Zuerst eben so demonstrativ, dass es schon irritieren kann. Wie effektiv das Duo aus Middletown die Hinwendung zu einer nicht gekannten Eingängigkeit – und vielleicht sogar zu einer richtigen Dosis Pop – kann, ist dann auch beachtlich. Nur zeigen sich die Kinderkrankheiten in einer derart greifbaren Umgebung auch relativ deutlich.
Trotz Lo Fi-Verpflichtung ist die sauberer gewordene Produktion hier viel zu durchschaubar, lässt das Geschehen schnell fassbar werden. Und ohne gravierende Kontraste sind die Nummern eben schnell erschöpft. Es gibt in dieser Phase praktisch keine mystischen Ebenen zu entdecken, die man von Have a Nice Life bisher stets angeboten bekam. Zudem erweisen sich die Barrett und Macuga auf einer konventionellen Schiene abseits der Atmosphärearbeit insofern als limitierte Gitarristen, da sie ein sehr zugängliches und betont knackig Motiv nicht über die volle Spielzeit interessant halten können, sondern es in der stets simplizistischen Veranlagung eher an der Übersättigung repetieren. Überhaupt ist das Songwriting in dieser frontalen Auslage der Platte per se einfach nicht sonderlich spannend, begnügt sich mit unambitionierten Rock-Formeln in einer sehr guten Austauschbarkeit und überschaubarer Halbwertszeit, büßt so in Summe doch an der unverwechselbaren Einzigartigkeit ein, die Have a Nice Life sonst auszeichnet.
Vor allem aber harmonieren die drei Nummern nicht mit dem restlichen Material, lassen die erste Hälfte von Sea of Worry (mit dem wahllos inzwischen eingeschobenen Science Beat) nicht restlos schlüssig funktionieren und ohne Notwendigkeit als zerfahrenes Stückwerk erscheinen. Denn auch wenn das restliche Album sich stärker an den Wurzeln der Band orientiert – und sich damit deutlich mehr der Gefahr aussetzt, in Relation zum Monolithen Deathconsciousness enttäuschen zu müssen – spielen Have a Nice Life im weiteren Verlauf ihre Stärken deutlich nachhaltiger und imposanter aus.
Mehr noch, Have a Nice Life liefern hier einige der stärksten Szenen ihrer Karriere, indem sie ihren Signature Sound mit einer nicht eindimensionalen Direktheit übersetzten.
Unter den Ambient-Teppich von Science Beat legt sich ein unaufdringlicher, den Titel programmiert definierender Rhythmus, der der gespenstisch entrückten Atmosphäre einen betörenden Drive verleiht. Spätestens wenn die offene Gitarre ein bisschen Hoffnung verströmen darf, klingt das wie eine Erinnerung an die 80er aus einer anderen Welt, in der Have a Nice Life in den Texturen ihrer Musik tatsächlich mehr positive Facetten durchklingen lassen als je zuvor. Auch das aus dem Blade Runner-Kosmos fliesende Instrumental Everything We Forget gewährt als Score-Klanginstallation vergleichsweise friedvollere, hellere und einfach optimistischere Nuancen in dem „Anxiety“-Umfeld – und umsorgt den Entwicklungsprozess der Band stellvertretend für die zweite Plattenhälfte mit einer subversiveren Gangart als die pointierte erste.
Das lässt Sea of Worry im Finale zur Überform auflaufen. Die Referenz Lords of Tresserhorn baut seine irgendwann feierlich stampfende Schönheit aus der bratenden Distortion auf und ist eine erhebende Grandezza des diverser ausgelegten Nihilismus. Im beinahe viertelstündigen Destinos untermalt ein trostloser Chor ein knapp fünf Minuten rezitierendes Sample – wie man dieses Stilelement in Szene setzt wissen nach wie vor nur wenige Bands derart fesselnd und intensiv zu Werke gehend wie Have a Nice Life. Nach und nach gleitet eine Akustikgitarre und melancholische Melodien in das Geschehen, schicken den Closer irgendwo zwischen Drone-Ballade und Industrial-Schwermut auf den Weg über Horizont und lassen den Ausnahmestatus des Gespanns vielleicht weniger unergründlich-faszinierend nachhallen als die bisherigen Alben der Band, söhnen aber mit ihrer bisher schwächsten, obgleich kurzweiligsten Veröffentlichung aus – obwohl der ein bisschen frustrierende Eindruck bleibt, dass die Aufteilung auf zwei zu unterschiedlichen Spektren der Kompaktheit neigenden EPs die bessere Lösung gewesen wäre.
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