Haunted by the Remote – Neoromancer
Dieser Neoromancer schwelgt in der wunderbar dicht stehenden, sphärischen Resonanz einer niemals ganz greifbaren Melancholie: Das vielversprechende Inner Workings war tatsächlich nur die erste abtastende Aufwärmrunde für die nunmehr nahezu formvollendet auftretenden Haunted by the Remote.
Ohne das durchaus vielversprechende Debüt der vier Grazer unter Wert verkaufen zu wollen, ist der Evolutionsprozess, den Haunted by the Remote in den vergangenen zwei Jahren ganz offenkundig durchlebten, ein eklatanter. Im direkten Vergleich zu Inner Workings hat Neoromancer die drahtig zur Schräglage tendierende Perspektive des Noiserock von Sonic Youth auf Slint gegen einen weitaus runderen, auch originäreren Posttock-Gehalt eingetauscht, streichelt verführerischer und ruhiger, grandiose Gitarrenspuren erzeugen imaginative Texturen. Die sechs neuen Songs wirken durch sie weniger nackt, dafür voller und bestimmter, zeigen eine Band die dichter beisammen steht und zu ihrer Mitte gefunden hat. Rund um den immer nach Gemeinschaftsaktivität anmutenden Gesang fügt sich jedes Element weicher, gesetzter und unverrückbarer zusammen, ergänzt sich gegenseitig. Haunted by the Remote zeigen dabei generell mehr Geduld mit ihren Kompositionen, haben sich von der ersten Sekunde an jeder Ziellosigkeit entledigt, füllen das uneilige Songwriting mit dem nötigen Gewicht, um sich voluminöser zu positionieren.
Was bisher drahtig zwischen den Ambitionen unausgegore Tendenzen erkennen ließ, folgt so nun einem homogenen Fluss, der auf eine geradezu hypnotische Kohärenz setzt. Gleich der eine subversive Silver Mount Zion‚eske Apokalypse-Melodie transzentierende Opener Simulation Argument installiert dafür jenen maßgeblichen, zum Abgrund blickenden, abgedämpften Sound der Platte, als würde Neoromancer stets hinter einem sanftmütig umschließenden Schleier seine angedeutete Kraft brodeln lassen. Wie die Eruption dieser aussieht, zeigt später in feinen Nuancen der von der flüsternden Eindringlichkeit zur massiven Wall of Sound umschaltende Titelsong – gerade lange genug autobend, um ein latent mäanderndes Wesen zu unterdrücken. Etwas ekstatischer gibt sich das Quartett auch im das den Pegel in den roten Bereich bratzen lassenden Whales, sowie dem geradezu räudig gegen den Strich gebürstet werdenden Endsong, der sein biestiges Wesen herrlich natürlich wachsen lässt und wieder auspendeln lässt – den etwas zu obligatorischen MO der zweiten Plattenhälfte praktisch spannungsgeladen (diese Drums!) ins Nirwana treibt.
Es ist auch dieses Wechselspiel aus laut und leise, wohliger Anmut und seltener auftretender, klug akzentuierter harter Katharsis, das den Reiz von Neoromancer ausmacht.
Drumherum dominieren schließlich weitestgehend meditative Klangschleifen die ätherischen Texturen, bäumen sich wie im beinahe nautischen Seek (mit Trombone-Halluzinogen) nur selten auf oder bannen im optimistischer funkelnden What U Cannot See mit hypnotischer Hook den Hang zum aufgeriebenen Noise.
Eine gewisse Gleichförmigkeit durch derartig subtile Kontraste weitestgehend ausklammernd, finden Haunted by the Remote auf ihrem Zweitwerk mit kompakten 38 Minuten somit zudem deutlich besser zum Punkt, obwohl sie gefühltermaßen mittlerweile doch deutlich mehr Raum vermessen, die Dynamiken ohne harte Brüche verschwimmen lassen. Nicht die Einzelsongs verlangen den Fokus, sondern das große Ganze: Man muss sich in die Platte und ihre Ästhetik, all die unwirklichen Melodien und das homogene Spektrum fallen lassen, um in die subversive Tiefenwirkung der gefühlvollen Produktion (Georg Teschinegg) sowie der Veredelung durch Jack Shirley (obwohl das Booklet etwas anderes behauptet) einzudringen.
Neoromancer mutiert so zu mehr als der Summe seiner Teile, funktioniert am Stück am schlüssigsten, im Grunde sogar wie ein einnehmend die Augen schließendes Ambientwerk ohne Sicherheitsgurt. Ein spätes Jahreshighlight über den Erwartungen also, leider – mea culpa! – zu spät behandelt, um sich noch einen Platz in den diesjährigen Jahrescharts zu sichern. Eventuell kann sich Neoromancer ja damit trösten, ohnedies keine Platte zu sein, die nur auf kurze Erfolgsbescheinigungen aus ist, sondern die Langzeitwirkung hervorkehrt – und das Review-Jahr 2018 quasi außer Konkurrenz auf herausragenden Niveau beschließen darf.
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