Harry Styles – Fine Line
![Harry Styles – Fine Line Harry Styles – Fine Line](https://i0.wp.com/www.heavypop.at/wp-content/uploads/2019/12/Harry-Styles-Fine-Line.jpg?resize=205%2C205&ssl=1)
Vor zwei Jahren hat Harry Styles mit seinem selbstbetitelten Debüt das etwas ungläubig bestaunte Überraschungsmoment auf seiner Seite. Fine Line bestätigt nun aber – wenn auch ein klein wenig zu zaghaft und inkonsequent – die Ambitionen des (ehemaligen) Boyband-Mitglieds am zeitlosen, klassischen Pop.
Harry Styles konnte 2017 mit Sign of the Times neben viel solider Ware und einigen Füllern ja vor allem den einen absoluten Übersong bieten, auf den sich jeder zu einigen schien. Fine Line hofiert nun keinen solch zum Evergreen schielenden Konsens-Hit – auch wenn Styles sich mit der Single Adore You und ihrem charismatischen Disco-Flair, das als sachte treibender Synthpop zum Cover der Platte passt, fast schon zu hartnäckig mit einem ebensolchen Chartbreaker versucht.
Weniger, weil es sich gerade diese Nummer unter all den (ausnahmslosen) Ohrwürmern zu einfach machen würde, als dass hier der Refrain dann doch viel zu oft repetiert wurde, bis auch der letzte Skeptiker versteht: Styles ist modern, hat ein Ohr am Puls der Zeit, möchte aber noch mehr den Pop, dessen Halbwertszeit kein billiges Ablaufdatum kennt.
Und es gibt wahrscheinlich schlimmeres, als Understatement zeigen zu wollen – sei es wie hier eben auch ein bisschen ungelenk.
Was man dem Potpourri Fine Line dennoch und ganz generell vorwerfen muß, ist, dass Styles nicht restlos fokussiert weiß, wie er an diese seine Ziele kommt, und sein Zweitwerk deswegen eher zu einem losen Sammelsurium aus Songs und Ausrichtungen geworden ist, das dem 25 Jährigen mal mehr, mal weniger entgegenkommt, ohne zwingende Kanalisierung aber auch stets den letzten Meter zur tatsächlichen Größe vermeiden.
Das abschließende Titelstück etwa beginnt als kleine Miniatur vor viel Atmosphäre zu wachsen, will sein immer opulenter werdendes Cinemascope mit Bläsern jedoch nicht zu plakativ auffahren und vertändelt sich in seinem Zwischenweg zur Subtilität eher als Geste, denn als erschöpfende Substanz. Das hervorragende, angenehm-atmosphärisch entschleunigte Highlight She wiederum klingt wie eine Melange aus Turn Smile Shift Repeat und der Kopfstimme von Bruno Mars, die durch die Lounge flaniert – schade nur, dass selbst das ergiebige Gitarrensolo nichts evoziert, was Styles wirklich auslaugend aus der Reserve locken würde.
Im Zweifelsfalls nimmt Fine Line ohnedies ieber den auf Nummer Sicher gehenden Weg mit Gurt und doppelten Boden, inszeniert sich ein bisschen harmloser und braver als es sein müsste, opfert im kaum individuellen Charakter auch lieber die euphorische Megalomanie der eklektischen Gefälligkeit: Lieber nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, es könnte ja zum Nachteil ausgelegt werden.
Doch unter dem Strich hat Styles mit seinen Helfern – u.a. Greg Kurstin, Jeff Bashker, Kid Harpoon und Tyler Johnson – hier einfach nichtsdestotrotz wirklich gute Songs geschrieben, die ihren Hauptdarsteller ohne übergeordneten Spannungsbogen immer wieder authentisch in neuen Positionen ablichten. Was so durchwegs kurzweiligen Spaß macht.
Das eröffnende Golden ist beispielsweise ein flotter, unbeschwert schimmernder Optimist, locker und leicht, sogar dezent psychedelisch angehaucht – ohne diesbezüglich aber Nägel mit Köpfen zu machen. Watermelon Sugar bietet funky Gitarrenlicks und einen entspannten Groove, auch wenn die Bläser hinten raus eine gewisse langweilende Monotonie nur bedingt beleben können. Lights Up pflegt sommerlich mit offenen Akkorden plätscherndes Easy Listening samt Geklimper und soulig angedeuteten Chören, das wie Canyon Moon noch leichter mit Handclaps und Pfeifen zum Britpop von Supergrass lotst – Treat People With Kindness macht dort mit schmissig twistendem Rock’n’Roll-Beat und herrlich selbstbewusst-cheesy feiernden Chören weiter. To Be So Lonely geht hinter einer latent verspult klampfenden Strophe in einem dieser catchy Refrains mit subtil erhebender Dramatik auf um ein wenig Eigenwilligkeit zu zeigen und das flockig-lebendige Sunflower, Vol. 6 lässt die Sonne gut gelaunt scheinen.
Wirklich stark wird Fine Line aber zur Mitte hin: Cherry verführt als folkig gezupfte Miniatur mit fein nuancierten Texturen, die sich irgendwann behände in Bewegung setzt. Und Falling ist eine getragene Klavierballade für Arenen mit Feuerzeugen und klaren Sternenhimmel, schmachtend und natürlich auch ein bisschen zweckmäßig konstruiert. Dass die Nummer enttäuschend unspektakulär verglüht, ist dann aber eben auch ein durchaus adäquates Sinnbild für Fine Line im Ganzen. Nicht nur hier hat Styles schließlich auch ohne überragendes Mommetum eine gar nicht so feine Linie zum Vorurteil des Boyband-sozialisierten Retortenmusikers gezogen und sich endgültig als ernstzunehmende, seriöse Kraft etabliert, mit der man zu rechnen hat. Es sollte ihm also nicht mehr – wie es über weite Strecken von Fine Line schon noch der Fall ist – genügen, „nur“ die geschmackvollste Alternative im gediegenen Formatradio darzustellen. Die Positionierung für den nächsten Karriereschritt hin zu wahrhaftig individuell-kreativer, nachhaltiger Größe ist hiermit entlang einer gar nicht mehr so überraschenden Befriedigung allerdings nahezu mühelos vollzogen.
Kommentieren