Harm’s Way – Posthuman
Der steroidesschwere wirkende Metal/Hardcore von Harm’s Way mag auf Posthuman weiterhin den selben Straight Edge/Darwinismus-Pump wie Frontmann James Pligge haben, hat sich für den Labelwechsel von Deathwish zu Metal Blade aber auch ein rettendes Stil-Gimmick in der Hinterhand herangezüchtet.
Stumpf am Limit ist also nicht mehr der ausschließliche Trumpf: Harm’s Way sind hinter der Abrissbirne spätestens seit dem doch enttäuschenden Rust schlau genug um zu wissen, dass man Intensität nicht mehr nur durch ein weiteres ständiges Hinaufregeln des roten Bereichs erzwingen kann, dass eine bedingungslose Stringenz in bisweilen prollig bombenden Gefilden nur zu leicht in eine ermüdende Eindimensionalität führen kann.
Posthuman versucht die Perspektiven der Band insofern nun bewusst zu erweitern, fächert schon länger vorhandene Ansätze mit ergiebigeren Ergebnissen im Bullzoder bis knapp vor die Extremen weiter auf. Womit weniger die beinahe existenziellen Texte der Platte gemeint sind, die Posthuman alleine schon über die triviale Toughness des stupiden Brocore hinauszustemmen gedenken, als vielmehr das bisher gelungenste Einflechten latent maschineller Industrial-Färbungungen im Berserker-Soundbild: Konsorten wie Godflesh haben definitiv ihre Spuren hinterlassen, aus begleitenden Phrasierungen auf dem vierten Studioalbum von Harm’s Way schon über weitere Strecken elementare Bausteine werden lassen.
Schon Human Carrying Capacity lüftet sein immenses Flexing vage für subtile Noiseansätze im Hintergrund und eine leise Ahnung der Industrialsprengsel, die Harm’s Way in weiterer Folge mal mehr, mal weniger deutlich forciert. Last Man etwa wird immer wieder durch einen dämpfenden Elektro-Filter geleitet, bevor die Band einem das Hirn fachgerecht wegpustet. Selbst wenn die hier eingestreuten Sprachsamples und stimmungsvollen Intermezzi eher das lufthohlende Momentum vor dem nächsten Sprung in den Moshpit sind, setzen die Chicagoer ihre gestiegenen Ambitionen absolut stimmig um, leisten sich kein Lippenbekenntnis.
Deswegen ist es auch schlüssig, dass The Gift als reine Fabriksanlage nicht unbedingt raffiniert zu Ende komponiert ist, aber im Umschichten den Ästhetik für die Weiterentwicklung der Identität der Band durchaus wichtig Impulse setzt. Das überragende Temptation bereichert den Kontext sogar noch nahtloser, indem es eine überraschend atmosphärisch-weitläufige Gitarrenarbeit über den grummelnden Bass und tackernden Drums legt, die Vocals fast schon psychedelisch im Hall verschwommen aufnimmt. Obwohl Harm’s Way das kreierte Szenario letztendlich als etwas zu standardisierte Abreibung auflösen, sorgt dies für das die aufgetanen Optionen am nachhaltigsten anrufende Highlight von Posthuman – der gelungenste Moment, in dem sich die Band merklich von Klischees löst, ohne dafür den einfachsten Evolutionsschritt nehmen zu wollen.
Letztendlich ist es dennoch die Frage, ob diese eingestreuten Aufbrüche im so ermüdend oberflächlich wirken könnenden restlichen MO der Band Hörern abseits des treuen Stammpublikums bereits genügen werden, um darüber hinwegzusehen, dass Posthuman im Kern seines Wesens über weite Strecken dann eben doch immer noch eine relativ simpel gestrickte, phasenweise gar generisch veranlagte Platte geworden ist.
Das Riffing des Nu Metal-Reliktes Unreality alleine scheint man so etwa ganz ähnlich schon unzählige Male gehört zu haben, während die Band drumherum eine Schlägerei als Service an der Basis von Slipknot beginnt, die im Grunde nichts anderes als blind aufzumischen gedenkt. In derartig zur Beliebigkeit neigenden Phasen überzeugen Harm’s Way beinahe ausschließlich mit der schieren Unbedingheit ihrer energiegeladenen Performance sowie der absoluten Transparenz ihrer Agenda – und entschädigen zusätzlich mit Brettern wie dem mathematischen Dead Space, das mit getriebener Dringlichkeit und harschen Duell-Vocals deutlich über dem zu oft bedienten Durchschnitt aufbricht.
Harm’s Way machen eben auch bewusst keinen Unterschied zwischen Hard- und modebewussten Metalcore, knüppeln mit zwingender Spät-90er-Sozialisierung und Powerviolence-Vergangenheit augenscheinlich jedwede Feinheiten in Grund und Boden: Die Riffs kommen tief vorm Boden hängend gedroppt, die Rhythmen schieben mal metallischem Stoizismus und rasen mit angespannten Sehnen, heavy und wild. Hauptsache es bollert am Maximum, drückt ohne Ende und hofiert eine (frontale Will Putney-Qualitäts) Produktion, die an der Grenze zur überzeichneten Absurdität fetter kaum sein könnte – leider inklusive Kompression und Clipping-Deluxe.
Muskulöse Brecher wie Sink oder das famose, sich langsam zum behäbig malträtierenden Moloch aufbauende Call My Name mit seiner imposanten Schlagzeugarbeit strotzen deswegen vor nackenbrechenden Breakdowns und eskalierenden Geschwindigkeitswechseln, liefern souverän ab. Harm’s Way pumpen ihr Testosteron nicht nur hier mit einer unerbittlichen Härte aus dem Gym, in dem Brüllwürfel und John Metal-Cena-Lookalike Pligge als physische Präsenz ohne gravierendes Facettenreichtum mit konsequentem Schaum vorm Mund Tiraden auskotzt, während seine Jungs im Hintergrund wüten, als hätten Hatebreed und Misery Signals die Vielseitigkeit von Code Orange plattgewalzt und primär auf deren Schlagkraft reduziert.
Wie man sich nun also bezüglich der rundum schlüssig, aber noch eher passagenweise und nicht ganzheitlich assimilierten Industrial-Sound in die DNA und das Auftreten der Band auch entscheidet, braucht man im Fall von Harm’s Way also dennoch weiterhin eine grundsätzliche Leidenschaft für eine posierend brachiale Aggressivität an der Schnittstelle zur abgestumpften Dampframme, damit man Posthuman nicht unmittelbar in eine austauschbare Reihe ähnlich veranlagter Kombos im Dunstkreis aus metallischem Hardcore – etwa Trap Them, Trapped Unter Ice, Xibalba – verliert.
Dass die mit einer überschaubaren kompositorischen Klasse ausgestatteten (und praktisch nur einen unheimlich heavy moshenden Part an den nächsten hämmernden), aber dafür einem unterhaltsamen Gespür für Strukturen, Spannungen und Dynamiken ausgestatteten Harm’s Way (mehr denn je) selbst in direkter Konkurrenz nichtsdestotrotz verdammt kompetent, effizient und kompromisslos in dem sind, was sie tun, muss man dem Quintett freilich auch so mit schweißnasser Stirn abermals zugestehen. Aufgrund des (so organisch) gewachsenen Horizonts ist Posthuman darüber hinaus sogar das bis dato beste Workout der Band.
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