Grizzly Bear – Painted Ruins
Anstatt heimlich, still und leise vollends auseinanderzudriften, haben Grizzly Bear doch wieder zusammen gefunden und mit dem verträumt-undurchsichtigen Painted Ruins das vielleicht faszinierendste Album ihrer Karriere aufgenommen.
Es passt nur zu gut zu alle den konstanten Unbekannten, den Wendungen und Überraschungen von Painted Ruins, dass Ed Droste, Daniel Rossen, Chris Taylor und Christopher Bear für ihr fünftes Studiowerk erst einmal auf die falsche Spur führten: Die Vorabsingle Mourning Sound schien mit vergleichsweise simpel gestrickter Rhythmusarbeit um einen schabenden Bass und polternde Drums sowie eine leicht zugänglicher Hook das Erbe von Two Weeks noch konsequenter in eine für den Massenmarkt verdauliche Richtung fortzuführen und gleichzeitig mit dem Wechsel zum Major eine neue Ebene in Sachen Zugänglichkeit für Grizzly Bear in Aussicht zu stellen.
Das konnte man durchaus ernüchternd finden. Doch der auf den ersten Blick etwas oberflächlich scheinende Ohrwurm wuchs, über all seine Hintergründigen Texturen und Ebenen, bis er das subversive Grizzly Bear-Feeling mit einer unerwarteten Nachhaltigkeit transportierte.
Mourning Sound geht dennoch erst jetzt im ansatzlosen Fluss von Painted Ruins richtig auf. Reicht nur explizit die Hand, um im Kontext platziert den Weg in ein wahres Labyrinth von einem Album aufzunehmen, dem man seine fragmentarische Entstehungsgeschichte über den Cloud-Austausch der Bandmitglieder ebenso anzuhören meint, wie der Titel und das Artwork den vielschichtigen Charakter der eingegangenen Klangwelten widerspiegeln.
Vor allem aber haben Grizzly Bear mit Painted Ruins ein Album geschrieben, dass den Sound der letzten Jahre zwar vielleicht weiterdenkt, aber die Entwicklung der beiden Vorgängerplatten Shields und Veckatimest in gewisser Weise dennoch umkehrt, indem das Quartett sein Songwriting wieder näher an die vertrackteren Strukturen des vergleichsweise unergründlichen Yellow House heranführt.
Grizzly Bear sind nach der längsten Auszeit ihrer Karriere (und eben entgegen der Aussichten von Mourning Sound) also keineswegs zugänglicher geworden, sondern sogar noch komplexer und progressiver als bisher, schwerer erfassbar und verschrobener: Painted Ruins bietet so gut wie keine gängigen Refrains und kaum Simplizität an, Muster wiederholen sich nicht öfter, als unbedingt nötig, vieles bleibt unkonkret und keineswegs klassisch zielstrebig.
„Die Songideen basieren auf dem Leitmotiv des Wandels, der Veränderung. Daher führen sie in Sachen Harmonik und Arrangement nicht zwingend zum erst möglichen Ziel. Nur schwer sollte die Platte nicht klingen, die Songs sind nicht einfach, aber sie klingen auch nicht belastend. Im Idealfall zeigen sie mit leichter Hand, wie komplex das Leben und diese Zeit sind“ erklärt Droste und fängt die Agenda einer unangestrengt melancholisch brütenden Platte ideal ein.
Jedoch ist Painted Ruins in dieser Ausrichtung weniger eine Erfahrung geworden, die man sich hart erarbeiten muss, als vielmehr eine, in deren hypnotische Tiefe man sich bewusst verlieren sollte. Man begegnet dann an allen weichen Ecken und Kanten den für Grizzly Bear so typischen eigenwilligen Arrangements, wundervollen Melodien, kompliziert einnehmenden Rhythmen, verschachtelten Strukturen und meisterhaft kultivierten Harmonien.
Eine Melange, die tatsächlich eher zutiefst beruhigend einwirkt, als zu überfordern. Painted Ruins umspült betörend in all seiner Schönheit und gewährt trotzdem ewig nicht das Gefühl, auch tatsächlich zum Kern der Songs vorzudringen, gerade wenn die Platte in der Kennenlernphase auf lange Zeit und immer wieder schlichtweg orientierungslos entlässt. Doch wie alte Vertraute wehen Szenen durch das psychedelisch betörende Painted Ruins, an denen man sich festhalten kann. Dabei präsentiert sich das eröffnende Wasted Acres als entspannter Elektro R&B als Overtüre, franst aus, bleibt jedoch seltsam unspektakulär und betont ziellos für einen Grizzly Bear-Opener. Symptomatisch, denn das Material von Painted Ruins zirkuliert und verdichtet sich eben generell eher, als dass es geradlinig oder wenigstens klar fokussiert agiert.
Four Cypresses wächst aus einem umständlichen Beat und hoffnungsvollen Synthieglimmern – ist vielleicht sogar, was Arcade Fire mit Chemistry wagen wollten, nur unendlich essentieller – um plötzlich wie ein herrlich hymnischer Sonnenaufgang zu strahlen. Das lange hinausgezögerte Three Rings beginnt dagegen wie eine düsterer Besuch bei 15 Step von Radiohead, baut jedoch alsbald eine erhebende Klangkathedrale, die ein jubilierend-pendelndes Ventil findet und den Ton des Songs kurzerhand ändert: „Don’t you be so easy/Don’t you know that I can make it better?„.
Losing All Sense folgt dem unbeschwert tapsig stacksend, driftet aber immer wieder zum meditativen Spacerock ab, während wenig auf das sich selbst in den Schlaf wiegende Ambient-Finale in Aquarian hindeutet. Cut-Out beantwortet die Frage ob Pop oder Indierock mit jazzigen Tendenzen, Glass Hillside scheint in eine unwirkliche Trance zu verfallen, die mit seinem Instrumentarium zwischen den Zeiten driftet und Neighbors klingt erst wie die zu Tode betrübte Folk Grandezza, die Midlake nach The Courage of Others nicht mehr aufnehmen wollten, bevor Grizzly Bear den Song erhaben in den Nachthimmel steigen lassen, in dem das abschließende Sky Took Hold noch heller funkelt.
Auf dem Weg dorthin will nur das gar zu zaghaft in die Nichtigkeit plätschernde Systole keinen Widerhaken finden, die Taylor-Komposition bleibt jedoch die einzige Länge auf einer die Nachhaltigkeit kaum greifbar machenden Platte. Und während man sich deswegen auch fragen muss, ob es überhaupt restlos befriedigend sein kann, anhand so vieler mäandernd-magischer Umschichtungen durch Painted Ruins zu treiben, steht da irgendwann die Erkenntnis, dass die 49 Minuten gerade auch in ihrer Gesamtheit eine zutiefst faszinierende Anziehungskraft entfalten, der man sich immer wieder regelrecht süchtig geworden aussetzen möchte.
Die Grizzyl Bear-Euphorie zündet 2017 eben eher sachte und nicht derart überwältigend wie auf den Vorgängern, allerdings wächst sie beständig und mit einer unstillbaren Neugierde. Weswegen das eigentliche Wunder von Painted Ruins zwar die Tatsache ist, dass dieses relative Comebackalbum von Grizzly Bear überhaupt existiert – es aber noch viel schöner ist, dass die Indie-Ausnahmeerscheinung weiterhin scheinbar so mühelos in ihrer ganz eigenen Liga spielt.
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