Greg Puciato – Fuck Content
Fuck Content vermittelt zu keinem Zeitpunkt ein richtiges Live-Feeling. Eine Themenverfehlung, die aber insofern egal ist, weil Greg Puciato (neben fünf nachgelegten unveröffentlichten Stücken sowie einer Demo aus dem Archiv) elf Live-Updates eingespielt hat, die die regulären Versionen von Child Soldier: Creator of God übertreffen.
Wie derzeit so viele andere Musiker setzt der ehemalige Frontmann von The Dillinger Escape Plan im Fahrwasser seines Debütalbums auf ein streaming concert aus dem Studio. Von der weiterhin diskussionswürdigen Verkaufsstrategie von Puciato drumherum muß man dabei wenig halten (nach einem Dutzend an limitierten Singles vor dem Solo-Einstand gab es Fuck Content physisch erst nur ausschließlich in überteuerten Bundles angeboten – und erst nachdem Fans nach verstrichener Frist der prolongiert nur temporären Verfügbarkeit dieser Pakete stattdessen bereits das mittlerweile erschienene digitale Bandcamp-Pendant erworben hatten, wurden die aufgrund des hohen Preises wohl nicht sonderlich ausverkauften Schallplatte wieder regulär im Shop gelistet, diesmal ohne Klimbim-Mode-Package. Dass der gratis mitgelieferte Download zur Blu Ray zudem eine günstigere Möglichkeit bot der Performance beizuwohnen, als ein Ticket zur Show selbst – verschmerzbar), lässt sich auf den Kompromiss herunterbrechen, dass es bei derartigen „Events“ ja auch darum, die Musiker in Zeiten wie diesen zu unterstützen.
Besagte Blu Ray wird nach einmaliger Sichtung der „Show“ übrigens dennoch eher selten eine weitere Begutachtung erfahren. Dafür sorgt alleine der zehn Minuten laufende, einleitende Countdown, der wohl ursprünglich als Spannungsmoment gedacht ist, spätestens in konservierter Form jenseits des Live-Streams aber freilich vollkommen substanzloses Zeitschinden darstellt – zumindest ist You, Staring at Me, Staring at You auf dem Tonträger nun zu einem knapp 70 sekündigen Ambient-Intro gekürzt worden.
Überhaupt ist der optische Aspekt von Fuck Content vernachlässigbar, auch wenn Puciato ambitionierte Pläne verfolgt: „I wanted to make the modern equivalent of a VHS release you would have bought from a band decades ago, but with more of an arthouse sensibility. Like any other thing I’ve released, and that we’ve released with Federal Prisoner, it was born from excitement and flamed up really quickly from the initial spark into what it became.“
Visual Artist Jesse Draxler hat mit Jim Louvau und Tony Aguilera dafür ein von stylishen Schnitten, anachronistischen Filtern und pseudo-abgenutzten VHS-Effekten überzogenes Video gestaltet, das immer dann überzeugt, wenn Puciato und die anderen Musiker (Gitarrist Nick Rowe, Poison The Well-Drummer Chris Hornbrook und Bassist Jeff Geisser) im dunkeln, von Nebel durchzogenen Studio gemeinsam performen – aber dann eben auch komplett redundantes, weil keinerlei Stimmung vermittelndes Material bietet, dass den Aufnahmeprozess aus dem Archiv gezogen etwa in separaten Boxen zeigt, oder Musik abspielt, während die Band auf einem Sofa lümmelt. Das mag der grundlegenden Intention einer altmodischen VHS-Doku entsprechen, wäre aber eben auch schon in den 90ern ohne relevanten Mehrwert oder Wiedersehensfaktor gewesen.
Das eigentliche Highlight ist also nicht, was es zu sehen, sondern zu hören gibt – und hier trumpft Puciato an Child Soldier: Creator of God zwingend vorbeiziehend auf. Mehr oder minder chronologisch arbeitet sich das tighte Quartett vom (immer noch egal-plätschernden, deplatziert bleibenden Duo-Akustik-Opener) Heaven of Stone weg durch das reguläre Studioalbum, spart in weiterer Folge aber Temporary Object, You Know I Do, Through the Walls, A Pair of Questions sowie Heartfree aus – was den ursprünglich zu langen Verlauf der Platte hier nun natürlich schon per se angenehm strafft und knackiger gestaltet, eine größere Dringlichkeit entwickelt. Die Energie ist eine andere, alle Musiker packen kraftvoll zu, obgleich ein Distanzgefühl natürlich bleibt. Schon der Einstieg lässt die Interpretation der Nummern aber auch ätherischer und organischer auftreten, kompakter – obwohl Creator of God nun erst recht im herrlichen Katharsis-Feedback ersäuft.
Mehr noch: Alle Songs pressen nun ein bisschen giftiger und packender, nicht einmal die vereinzelten Pausen zwischen den Stücken bremsen, obwohl sie eben einem richtigen Livefeeling im Wege stehen. Wenn Do You Need Me to Remind You? einen nahtlosen Übergang zum Instrumental-Intermezzo Absence Exerpt pflegt, lässt das aber nicht nur die Platte als Ganzes kompletter und kohärenter wirken, weniger als Songsammlung, denn als Einheit, sondern legt gar den Schluss nahe, es hier mit einer alternativen, besseren, weil detaillierteren Form von Child Soldier: Creator of God zu tun zu haben. Ein Down When I’m Not oder Evacuation (der Smasher, den Nine Inch Nails seit Jahren nicht mehr schreiben) sind so auch keine in den Albumfluss preschenden Hits mehr, sondern im Albumfluss entstehende Hits. Ein allgemeines Mehr an Fokus, Stringenz und Linie bringt einfach mehr PS des selektiver ausgewählten Material auf den Boden.
Und dann gibt es nach dem tollen Set-Closer September City zum Abschluss auch noch vier neue Studiosongs. Sie alle halten das Niveau von Puciato auf Solopfaden, irgendwo zwischen überzeugenden Standards und heimlichen Diskografie-Highlights.
Das nun vollständig gespielte und mit Vocals daherkommende Absence as a Presence ist ein heavy bratender Nackenstimulator, der mit vertrackterer Gangart auch bei Dillinger stattfinden hätte können, hinten raus aber seine Längen hat. Don’t Wanna Deal wird ebenso auf ein straightes Riff gebaut, spielt dieses mit mehr Angriffslust an den Punkrock heran und wird vor allem live mit seinem solierenden Abgang Spaß machen. Crazy All Around geht die Sache kontemplativer, ruhiger und ätherischer an, träumt entlang einer shoegazendsn Gitarre im Äther. Dass der Song im letzten Drittel Zähne zeigt und sich auf die Hinterbeine stellt, wäre nicht nötig gewesen, schadet aber auch keinesfalls. Am schönsten ist dennoch Lying at the Bottom of the Sky, das noch einmal zurück in die gefühlvolle Intimität taucht und dabei – so rauchig, sehnsüchtig und reduziert – gar ein bisschen wie ein Klassiker klingt.
Mit nunmehr etwas über zwanzig veröffentlichten Songs ohne tatsächlichen Ausfall im Jahr 2020 verhärtet sich so mit Fuck Content jedenfalls nur der Eindruck, dass Child Soldier: Creator of God einfach nicht die ideale Form war, um den gebührend triumphalen Startschuss in die Solokarriere von Puciato zu markieren.
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