Gospel – The Loser
16 Jahre nach ihrem vermeintlichen Schwanengesang The Moon Is a Dead World wagen Gospel mit ihrem Zweitwerk The Loser nicht nur ein unverhofft aus dem gefühlten Nichts kommendes Comeback, sondern auch den stilistischen Paradigmenwechsel.
Gospel – Adam Dooling (vocals, guitar), Sean Miller (bass), Vincent Roseboom (drums) und Jon Pastir (guitar, keyboards) – aus Brooklyn haben ihren Platz im Screamo-Olymp trotz einer bis dato sehr, sehr kurzen Wirkungsphase von nur wenigen aktiven Jahren samt überschaubaren Diskografie bereits sicher: Zu originell und einzigartig war schließlich das in Szenekreisen heute nicht umsonst kultisch verehrte Debütalbum The Moon Is a Dead World dank eines unkonventionellen Zugangs zum Post Hardcore, Math und Progressive Rock.
Dass The Loser nun eher einen Reboot als einem Neustart gleichkommt, sich ästhetisch trotz klar erkennbar beibehaltener DNA-Essenz neu orientiert, ist insofern angesichts der hohen Messlatte allerdings nicht nur vernünftig, sondern evolutionär wohl unabdingbar.
Der in der ersten Bandphase oft „nur“ als Zweitgittarist auftretende Tastenmann Pastir war erst spät im Entstehungsprozess von The Moon Is a Dead World bei Gospel eingestiegen, was seinerzeit schon A Golden Dawn als den einzigen von ihm mitverfassten Song aus dem Albumkontext ragen ließ. Doch macht sich sein Einfluss auf The Loser nun erst wirklich drastischer bemerkbar, indem die Rückkehr der Band auch wie die kompromisslos weitergedachte Konsequenz der besagten Nummer wirkt – extrem dominante Keyboard- und Synthie-Flächen sind auf The Loser allgegenwärtig, und prägen einen Sound, der vom Screamo nur noch am Rande zehrt, und stattdessen exzessiv einem in den 70er verwurzelten Progrock an der Sollbruchstelle mit dem Post Hardcore frönt.
Ein eigenwilliger, schwer definierbarer Genre-Hybrid der entlang des giftig skandierenden, sonor-kraftvoller und dunkler als bisher zum besessen von der manischen Kanzel brüllenden, greinenden und spuckenden Sprechgesang tendierenden Vocals und einer allgemeinen technischen Virtuosität (alleine diese brillant hyperventilierenden Drums!) verzweifelt nach adäquaten Referenzen im so assoziativen Sound ringen lassen: Yes, wenn sie Safety Second, Body Last gehört und dadurch Bock auf Horse the Band bekommen hätten? Daughters, wenn sie den Weg des Fang Island-Debüts einschlagen täten, um bei avantgardistischen Steely Dan zu landen? Circle Takes the Square, die bei Orchid einen Exorzismus durch heftiges Rush-Airplay vollziehen und im eklektischen Rausch auch mal agieren, als würden Pink Floyd Black Midi rezitieren? Kommt irgendwie alles halbwegs hin – und passt dann doch irgendwo auch so gar nicht.
Bravo beginnt jedenfalls auf den Spuren von Free Bird orgelnd, steigert sich aber schnell zu einem hibbelig polternden Tempo-Wirbel, der manisch beschwörend heult, um mit dem Tumult von Deerghost noch weiter auf die Überholspur auf der Regenbogen-Strecke zu wechseln. Hyper ist ein Jam, der aus den späten 70ern in die 80er eilt, seine Riffs kompakt frickelnden über den Frequenzbereich einer AOR-Synthie-Fläche scheucht, eine zurückgelehnte Lässigkeit irgendwann kurz zur ausgelassenen Handclap-Party schielen lässt, dann aber doch lieber die exzessive Exkursion anreißt. S.R.O. breitet sich im installierten Retrofuturismus kontemplativer aus, gibt dem atmosphärischem Spektrum mehr Bandbreite und baut Spannungen beschwörend polternd auf, schrubbt sich letztendlich gar avantgardistisch am Jazz und Folk auf: Gospel tun schon etwas dafür, dass die Platte in ihrem eigentlich sehr gleichförmigen, auch limitierten Klangbild variabel bleibt.
Tango beginnt etwa kultisch schraffiert, deutet ein freidrehend shredderndes Solo an, flaniert dann aber doch in die ruhige, psychedelische Lounge, in der die Lavalampen als Stroboskop zu rotieren beginnen, derweil White Spaces als nicht unbedingt essentieller Track relativ straight und verdaulich das Call and Response-Kerosin nutzt, das Highlight Metallic Olives aus der Iron Butterfly-Schule kommend die Auslagen mit theatralischen Gesten wechselt und sich ausführlicher angelegt zur potentielen Jason Reece-Dampframme zuspitzt, derweil der anachronistische Schick von Warm Bed ruhig schippernd und lamoryant croonend am latenten Doom aufgerieben langsam aufköchelt.
Der bleibende Eindruck ist danach ein ähnlich ambivalenter wie der grundlegende Charakter von The Loser: Gleichzeitig wirkt die tastenintensive Ästhetik des Mix übersättigend, wiewohl kompositorisch auf emotionaler Ebene auch das gewisse Etwas zur ultimativen Katharsis zu fehlen scheint; und so faszinierend und originär das neue Gewand der Band sein mag, so wenig lässt sich doch auch ausblenden, dass das aufgeräumtere The Moon Is a Dead World einfach noch furioser war – man das dünner am Screamo angelegte Geshoute von 2005 ebenso favorisieren kann, wie das gitarrenhomogenere (auch mit nostalgischem Blick essentieller wiegende) Auftreten des Debüts. Das sind dann aber auch nur kleine Schönheitsfehler in diesem unterhaltsamen, selbstsicheren und enorm kraftvollen Comeback, das man so nicht auf der Rechnung haben konnte – und das seinen Titel so natürlich auf herrlichste Weise Lügen straft.
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