Godspeed You! Black Emperor – Luciferian Towers
Luciferian Towers, das dritte Studioalbum seit der Rückkehr der Postrock-Institution, entlässt als Routinearbeit mit subtiler Schwerpunktverlagerung relativ ernüchternd: Seit wann berühren und überwältigen die Genre-Monolithen von Godspeed You! Black Emperor nur noch in überschaubaren Ausmaß?
Freilich übersetzen Efrim Menuck und sein Kollektiv ihre (diesmal wieder dezitiert politisch deklarierten) Ambitionen entlang eines unverkennbareren Sounds immer noch auf einem Niveau in weitläufige Postrock-Klanglandschaften, von deren grundsätzlicher Klasse das Gros der Szene nur träumen kann.
Und doch ist spätestens Luciferian Towers der Punkt, an dem sich nicht mehr leugnen lässt, dass der Output der kanadischen Gruppe in ihrem zweiten Leben nicht annähernd an die genredefinierenden Meisterwerke ihrer Hochphase heranreicht. Natürlich auch deswegen, weil die reaktivierten Godspeed You! Black Emperor längst einen anderen Charakter entwickelt haben. Man verweigert sich einer Ikonenförderung und Denkmalpflege, indem ehemals abonnierte stilistische Merkmale wie die typisch verschachtelten Konstruktionen und Sprachsamples nicht mehr bedient werden; Albumformen scheinen dabei nun mit kompakterer Spielzeit auf zwei große Kompositionen neben zwei obligatorischen kürzeren Drones genormt zu sein; und ganz generell ist eine gewissen Konventionalisierung und Vorhersehbarkeit in den Strukturen der auch mit Klischees hantierenden Nummern erkennbar.
Eine Zäsur, die man auf dem triumphalen Comeback ‚Allelujah! Don’t Bend! Ascend! (2012) noch nicht als Muster erkennen musste (auch, weil das aufgefahrene Material teilweise bereits vor dem Comeback in der Entwicklung begriffen war) und die das immer noch gute, aber doch überraschend suboptimal gealterte Asunder, Sweet and Other Distress (2015) nur bedingt aufzeigte.
Luciferian Tower erklärt die aktuelle Agenda von Godspeed You! Black Emperor insofern nun noch offensichtlicher. Die Grundstimmung ist über weite Strecken erstaunlich positiv und optimistisch ausgefallen. Die apokalyptische Schwere von einst fehlt nicht, doch funktioniert sie auf dem sechsten Studioalbum ohne auftürmende Wut eher als Nährboden für die feierlich aufkeimenden Melodie- und Spannungsbögen.
Undoing a Luciferian Towers flimmert da zur Eröffnung dissonant über ein loses Drone-Gebilde, bis sich ein archaisches Orchester immer wärmer und inniger um das karge Konstrukt schließt. Beharrlich beginnt die Ouvertüre der Platte zu marschieren, erhebt sich zu kakophonischen Trompeten und entrückten Flöten, funkelt düster als psychedelische Psychose, bevor das formlose Undoing a Luciferian Towers über einen beruhigenden Walzer das erhebende Kernmotiv der beiden kurzen Stücke des Albums installiert.
Routine also. Doch im Vergleich zu seinen hermetischer arrangierten Vorgängern finden die Kanadier diesmal zu einem feineren Gesamtfluss und lassen die kohärenter gewachsen wirkende Platte in den Übergängen sauberer harmonieren als Asunder, Sweet and Other Distress.
Bosses Hang keimt also vergleichsweise nahtlos als bedächtig knisternde Rock-Meditation auf, stapft mit geschlossenen Augen sowie heulenden Gitarren dahin, pendelt lauernd weiter, bis die fingerübende Machtdemonstration in eine repetitive Verdichtung verfällt. Wertkonservativ verselbstständigt sich die Komposition, folgt seinem Drive und jubiliert pochend. Das kommt ausgelassener Partystimmung vielleicht so nahe, wie Godspeed You! Black Emperor das auch nur ansatzweise können, bevor der Song sich zurückwiegt, dabei die Spannungskurve zur absoluten Glückseligkeit allerdings dezent frustrierend doch nicht fertig schreiten möchte.
Stattdessen tauscht das Intermezzo Fam / Famine die zuvor praktizierte Stringenz und Griffigkeit erwartbar aber absolut stimmig gegen einen Zwischenschritt zur Avantgarde ein. Streicher schaukeln wohlwollend über einem flackernden Gitarrenbrutzeln und leise lodernden Knistern aus den Verstärkern, wirken seltsam tröstend und verbreiten eine zwielichtige Zuversicht. Langsam formt sich wieder das majestätische Motiv der beiden Drones, wird mit nachdrücklicher Unaufgeregtheit beschworen, während drumherum noch jazzig entrücktes Chaos herrscht.
Anthem for No State folgt im Aufbau aus diesen konditionierten Verhaltensweisen und sinniert erst in Stille über eine nachdenkliche Gitarrenfigur. Elegisch und ätherisch ist das, aber eben auch keine verbannte Erde, über die Godspeed You! Black Emperor hier ruhig wandeln – sondern verhalten keimender Soul, der sich betörend an die Ahnung eines vergangenen Americana-Lagerfeuer schmiegt.
Plötzlich kehrt der vermisste Dudelsack in den Klangkörper von Godspeed You! Black Emperor zurück, rumort bedrohlich, die Violine kreist dynamisch aufgekratzt darüber. Die Dissonanz geduldig hinter sich lassend, treibt die Band mit drängelnder Dylan Carlson/Earth-Westerngitarre, beschwörenden Bläsern und energischem Schlagzeug Richtung Fuck Off Get Free We Pour Light on Everything. Nicht der einzige Moment, der näher dran an einem verkappten neuen Silver Mount Zion-Ausflug ist – doch die Symbiose funktioniert.
Erhebend und triumphal steigen die Kanadier über der Finsternis, bleiben stehen und legen sich in einen rockenden Groove, variieren auch ohne Erschöpfung. Immer weiter schraubt sich die Band in eine Schönheit, deren Himmel voller Streicher hängt, ohne den Bodensatz der Nummer durchzulüften, oder die Extase in letzter Konsequenz zu ergreifen. Ein symptomatisches Finale.
Godspeed You! Black Emperor zirkeln Luciferian Towers über wenig auslaugenden 44 Minuten Gesamtspielzeit entlang enorm starker Szenen zu einem theoretischen Plateau, entlassen praktisch aber mit einem ambivalent-unerfüllten, wenig nachhaltigen und zu offensichtlich zugänglichen Gefühl und einer wenig gefährlichen Produktion. Quasi: Toll….aber war das jetzt tatsächlich bereits alles?
Die vier Stücke der Platte legen sich nie in die Vollen, wirken in Summe weniger majestätisch als die Bausteine ihrer Vorgänger, und übermannen kaum noch mit genialistischen Szenen, sondern forcieren stattdessen eine beiläufigere Intensität, die ihre Emotionen nicht mehr derart mitreißend und packend verankert. Gefällig und souverän ist das, klar. Aber die sinfonische Dramatik bleibt hier oft nur Geste, wenn die zwei Drones zu unfokussiert um ihre losen Ideen laufen und die beiden Song-Leviathane ihre jeweiligen Movements wiederum ebenfalls keinesfalls restlos schlüssig weiterentwickeln, sondern schlimmstenfalls wie ein skizzenhaftes Sammelsurium anmuten, dem es an Inspiration und Dringlichkeit mangelt. Im Gegensatz zu den Meisterwerken der Band ist man auf Luciferian Towers deswegen gefühltermaßen auch über weite Strechen nur noch außen vor dabei, anstatt mitten drinnen im Geschehen zu sein.
Und eben: das mag Jammern auf hohem Niveau sein. Dass dazu bei einer Godspeed You! Black Emperor-Platte aber überhaupt Grund besteht, ist eine Erfahrung, die man erst einmal verdauen muss.
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