Glassing – Spotted Horse
Glassing wollen das stilistische Chaos ihres Wesens auf dem zweiten Studioalbum keineswegs zähmen, bringen ihre zahlreichen, so unbändigen stilistischen Einflüsse für das einnehmend in der Finsternis schimmernde Spotted Horse aber in einen faszinierenden Einklang.
Womöglich wird es 2019 kein Album geben, dass sich assoziativ aus einer derartig diskrepanten Spannweite an Referenzen speist, wie Spotted Horse – und all diese Ambivalenz auch noch in eine homogene Melange zu übersetzen versteht.
Brutal Panda, das Label des Trios aus Texas, wirft etwa so illustre und nicht unbedingt nahverwandt verortete Namen wie Deafheaven, Oathbreaker, Alcest, Sigur Ròs, This Will Destroy You, Envy oder Birds In Row in die Waagschale; man selbst wird diese nicht unstimmige Liste im Verlauf der 44 Minuten Spielzeit gedanklich unter anderem noch um Orientierungspunkte wie Deftones, Kowloon Walled City, Bosse-De-Nage oder Isis ergänzen – und damit trotzdem nur vage definieren, wo sich der Sound von Glassing bewegt, wenn Spotted Horse keinen Unterschied zwischen Metal und Hardcore mit dem unbedingten Post-Präfix macht, zwischen Blackgaze und Ambient in Trance verfällt und den Kontrast aus hässlich speiender Katharsis und meditativer Unaufgeregtheit zum ästhetischen Gravitationskern ihres Stil-Amalgams macht.
„Spotted Horse is, at its core, a construction of dynamic, beautifully unsettling soundscapes and nothingness unsurfaced“ sagen Glassing und meinen damit gleich im Opener When You Stare mächtige Drone-Gitarrenwände und eruptives Druming mit ballernden Knüppeleien, beschwörend und dystopisch, hingebungsvoll. Das aus dem Black Metal leidend herüberhallende Emo-Geschrei hebelt den Song aus, das Tempo eskaliert immer wieder, kurbelt von massiven Temposprints zu wuchtig-tektonischen Riffs, beruhigt sich über eine nahezu psychedelische Einkehr, die sakral gestikulierend in Zeitlupe ausblutet.
Sleeper beginnt wie eine epische Grindcore-Attacke, die als im getragenen Doom mit stellar funkelnden Postrock-Gitarren sinniert, und Lobe schnürt die Zügel über ein kompaktes Riff enger, geht dann zum Himmel strebend auf reisen, während die Rhythmusfraktion mit Math-frickelnder Duracell-artigkeit arbeitet, wie Dillinger Escape Plan im entspannten Lord Snow-Modus – The Bronze wird später gar wie eine Reminiszenz an The Fall of Troy klingen und in Way Out versteckt sich irgendwo gar ein waschechter Screamo-Hit. Möglich wird das auch durch die großartige Synergie-Produktion von Andrew Hernandez , die all die Heavyness unter einem unwirklichen Weichzeichner präzisiert.
In Follow Throught zeigen Glassing, dass sie wohl immer dann am besten sind, wenn sie in die Breite ziehen, getragen und melancholisch tröstend, und das aufbrausende Temperament geradezu nachdenklich in den Griff bekommen – bis sie wie von der Tarantel gestochen drangsalieren.
Coven muss dazwischen durchatmen, ist purer Ambient, der ätherisch in den Weltraum driftet, wo Fatigue den kontemplativ perlender Schleier von ätherischer Score-Schönheit pflegt. Aus dieser inneren Stille baut sich das überragende A Good Death mit elegischen Reverb-Gitarren geduldig auf, der Gesang wechselt eingangs zu säuselnden Nuancen und man ist ganz in der Nähe des Shoegaze und metallischen Dreampop von Spotlights – doch Glassing lassen den Song an den Rand der Verzweiflung köcheln, zauber ein gar nicht so aufgeregtes Meer aus unruhiger Dynamik und unberechenbaren Schwankungen. Die rollenden Drums und weiblichen Gesänge von The Wound is Where the Light Enters betten in die Stimmung dann in die Hohheitsgebiete von Oceanic, obwohl die Drums hibbeliger agieren, sich nah und nach allerdings mit dem restlichen Klangbild aussöhnen, umarmt werden. Der Closer nimmt sich alle Zeit der Welt, driftet kontemplativ und beendet die Reise auf einer versöhnlicheren Note, die man derart klar konturiert nicht erwarten durfte.
Das kann man auf den ersten Blick durchaus chaotisch und unausgegoren finden, vielleicht muss man das in einigen Momenten sogar, wo weniger einfach wirklich mehr gewesen wäre. Doch klingt der Grower Spotted Horse eigentlich generell niemals wirklich innerlich zerrissen oder mit jugendlichen Übermut eingespielt, sich an Ambitionen verhebend: Der Fokus von Glassing ist mit einer durchaus authentischen Natürlichkeit ohne klaren Brennwinkel einfach derart breit gestreut veranlagt, vielseitig und abwechslungsreich, zwischen den Gegensätzen verankert.
Letztendlich ist es deswegen eher die Unkonventionalität der Strukturen, die irritieren kann, nicht die vermessene Distanz, obwohl man der Band das mitunter zu gleichförmige Geschrei sowie das Verweigern emotional überwältigender Höhepunkte auf melodiösem Wege ankreiden darf.
In der Fläche und Maße funktioniert Spotted Horse jedoch aus der Perspektive in der Mitte des Orkans oder mit dem Schritt nach draußen, mit dem Blick auf das Gesamtwerk als brachiale Schönheit, brutale Anmut und wohlige Katharsis. Eine rohe Wattiertheit, Alchemie praktisch, so unnahbar wie distanzlos.
Glassing bieten keine direkten Spannungsentladungen an, bauen die Intensitäten nicht für klar definierte Ausbrüche auf, der Climax bewegt sich stets in einem behänden Wellengang. Die Balance und Dynamik der Platte ist damit ebenso eigenwillig, wie ihr eklektisches Wesen einen originären Sound und Zugang entwickelt, wenn man im niemals konkret verorteten Gewicht durchaus orientierungslos durch das Geschehen treiben kann und soll, von der seltsam wärmenden, überragend stimmungsvollen Atmosphäre geradezu entwaffnend in die Mangel genommen und irritierend sanft durchgerüttelt wird. Ein Album wie eine Odyssee durch niemals gänzlich greifbare Erinnerungen und auch entrückte Aussichten, die jedoch auch die Gewissheit in sich trägt, dass Glassing wohl erst frühestens auf ihrem dritten Studioalbum die Entscheidung treffen werden, wohin die Reise überhaupt gehen soll. Das ist weitaus reizvoller, als es frustrierend sein kann.
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