Giraffe Tongue Orchestra – Broken Lines

by on 26. Oktober 2016 in Album

Giraffe Tongue Orchestra – Broken Lines

Nach Killer be Killed und Gone is Gone hat sich mit Giraffe Tongue Orchestra bereits die nächste veritable Supergroup im Mastodon-Umfeld geformt. Wichtiger als die namhafte Besetzung ist auf Broken Lines aber vom ersten Moment an: Der Song an sich.

Ob Ben Weinman  The Dillinger Escape Plan auch wegen Giraffe Tongue Orchestra zu Grabe getragen hat, kann dieser freilich noch so oft verneinen – Sinn machen würde es dennoch: Broken Lines setzt in vielerlei bei der Zugänglichkeit an, die die Mathcore-Legende spätestens seit Ire Works immer weiter forciert haben, für die TDEP aber dann doch stets zu vertrackt, zu kompromisslos, zu irre und zu brutal waren, um sich auch vollends in die attackierten Melodien fallen zu lassen.
Giraffe Tongue Orchestra tun dies nun über weite Strecken allerdings. Das Dreamteam um Weinman, Mastodon-Gitarrist Brent Hinds, Dethklok-Bassist Pete Griffin und Ex-The Mars Volta Drummer Thomas Pridgen (als Ersatz für seinen Vorgänger und jetzigen Queens of the Stone Age-Trommler Jon Theodore) legt hier zwar 41 Minuten lang einen technische virtuosen Husarenritt hin, der insgeheim vor kniffligen Schmankerl nur so strotzt, dieses immense Können dabei aber nie zum Selbstzweck verkommen lässt, sondern es ausnahmslos in den Dienst des Songs an sich stellen.

Hauptverantwortlich dafür auch ausgerechnet: Alice In ChainsSänger William DuVall, bei dem auf Broken Lines alle Fäden zusammenlaufen, der jede noch so überborden könnende Szene kompakt Richtung fettest ausstaffierten Alternative Rock lenkt – egal ob nun den fast punkig nach vorne drückenden, mit Stooges-Klavier stampfenden Opener Adept or Die, bei dem Weinman und Hinds doch irgendwann die Saiten-Pferde durchgehen; oder beim ambivalent seine Vorlieben für tanzbaren Pop mit metallischer Härte forcierende Blood Moon, das in seiner Genreoffenheit an letlive. erinnert und nicht nur DuVall anfangs Kopfzerbrechen bereitet haben dürfte.
Er sei alleine zu diesem Songgerüst stundenlang mit dem Auto unhergekurvt, um einen möglichst direkten und nachvollziehbaren Ansatz und Zugang für die Gesangsspuren finden zu können, die sich mit den Entwürfen von Hinds und Weinman ergänzen könnten, erzählt DuVall, der im Bandkontext von Giraffe Tongue Orchestra merklich die Freiheiten genießt, die im Korsett, das Jerry Cantrell bei Alice in Chains verlangt, nun mal nicht drinnen sind: Derart gelöst und motiviert hat man den Sänger schon lange nicht mehr im Rampenlicht gehört.

Und dennoch: Auf die ersten Durchgänge kann gerade diese gefühltermaßen omnipräsente Dominanz von DuValls Vocals durchaus enttäuschen, zumindest aber überraschen – zumal die Songs (in Anbetracht der Beteiligten Musiker und ihrer sonstigen stilistischen Vorlieben) strukturell vor allem ohnedies erstaunlich konventionell, fast schon simpel gestrickt erscheinen (inklusive solch lyrischer Plattitüden wie „You call it tragedy/ When it’s merely destiny/ The victors write history“ im politischen Kanon), jedwede austickende Crazyness in Zaum halten und ihre instrumentale Beschlagenheit unter den Schemel kehren, das immense technische Können nur hin und wieder in die erste Reihe zerren und fulminant aufblitzen lassen.
Was man in der Diskrepanz aus Erwartungshaltung und gebotenen Spektakel dann erst nach und nach realisiert: Broken Lines ist kein Schaulaufen für individuelle Fähigkeiten geworden, sondern eine hierarchisch zielgerichtete Summe, die mehr ist als die Einzelteile. Ein erstaunlich kompaktes Album, das seine Eingängigkeit immer wieder mit großer Geste zelebriert, und spätestens zu jedem Refrain auch die Abbiegung zum Stadion machen könnte: Giraffe Tongue Orchestra haben hier zumindest ein halbes Dutzend an Hits und zündende Ohrwürmer geschrieben, die sich auf der Bühne vor Mastodon genauso wohl fühlen würden wie vor den Foo Fighters – und nachdem alle mit an Bord sind, packt die Kombo doch noch immer wieder genüsslich die fordernde Prog-Keule aus.

Während Giraffe Tongue Orchestra also einerseits Monster wie No-One Is Innocent (das seinen Killer-Chorus mit den hallverschobenen Backingvocals von Hinds auffüllt) oder das noch epischere Back to the Light servieren (hinter dem Hardrock- und Metalgefrickel könnte gar ein Dillinger Escape Plan-Song stecken, bevor sich im Refrain der Dringlichkeit DuVall und Juliette Lewis die Bälle mit hymnischer Vehemenz gegenseitig zuspielen und den Song sukzessiver zur erhaben-schweißtreibenden Hymnik tragen – dann aber sogar noch Zeit für ein funky Intermezzo haben), bauen Nummern wie das nervös hämmernde, wie ein experimenteller Dave Grohl-Traum klingende Fragments & Ashes andererseits mehr Wendungen ein, als andere Bands auf ganzen Alben, streunt die Band im singletauglichen Sprinter Crucifixion eine psychedelische Exkursion ein, oder tritt im abschließenden Titelsong unberechenbar in alle Richtungen aus.
Dass bis dahin nicht jede Rechnung aufgeht (All We Have is Now kennt als gallige Ballade etwa keine Furcht vor elegischem Pathos, kommt aber abseits seiner Theatralik nicht recht in Gang; Everyone Gets Everything They Really Want baut auf funky Gitarrenlicks und einen federleicht stompenden Rhythmus, verschmilzt ein schmeichelweiches Orgelsolo und Artrock-Jam-Ansätze und lockert damit im Gesamtkontext den nimmermüden Spielfluss auf – wirkt für sich stehend doch unausgegoren und mehr wie ein Stückwerk aus tollen Einzelszenen; Thieves And Whores gönnt sich wiederum ein langes, stimmungsvolles Intro und später satte „Ohoho„-Chöre – der Synapsentanz geschieht jedoch in proggiger Elaboriertheit, wobei man insgeheim doch längst gelernt hat, dass der Band gerade das Weniger an Vertracktheit und Mehr an Zugänglichkeit, die enger angezogenen Zügel, am besten steht) trübt den enorm positiven Eindruck von Broken Lines keineswegs, sondern fächert anhand einiger Kinderkrankheiten eher die Möglichkeiten für nachfolgende Platten auf.
Ganz egal also, weswegen Weinman seinen Fokus nun primär auf Giraffe Tongue Orchestra legen könnte – es spielt keine Rolle. Weil diese Spielwiese seinen Ideen sogar noch mehr neue Perspektiven bietet, als The Dillinger Escape Plan dies aktuell wohl überhaupt noch tun hätten können.

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