Gewgawly I & Thou – Norco
Über den Soundtrack des Point and Click-Juwels wird verlautbart: „The NORCO OST will contain the complete in-game score by Gewgawly I (a member of the Geography of Robots studio who developed the game) as well as an album’s worth of new Thou material to be featured in further NORCO collaborative projects.“
Den Gutteil des Soundtracks – oder: 33 von insgesamt 43 Tracks – liefert also das (bis auf das scheinbar ohnedies unter dem allgemeinen Radar stattgefunden habende …And I, Object) Alias Gewgawly I ab, der einen ambienten, über die Dungeon-Spalte hinausgehenden Synth-Score gebastelt hat, der aus den 80ern und 90ern gespeist (der Grafik von Norco folgend) einen immanenten Retro-Aspekt transportiert, trotz seiner minimalistischen Veranlagung aber zahlreiche Facetten und Schattierungen auf einem ständig variierenden Verlauf um seinen Noir-Grundton zeigt.
Delirious Eyes etabliert etwa beinahe orchestral schimmernd die retrofuturistische Melancholie der Platte in mystischer Blade Runner-Zeitlupe. Grainer to Chicago pulsiert als Darkwave pochend und gibt sich ziselierten Klangflächen hin, und Troy Story wandert zwischen diesen Orten verspielt fast kammermusikalisch zum Orient und findet das gniedelnde Daft Punk-Solo. Mal lässt Gewgawly I die Zügel verträumt schleifen (Fourth Flood), verteilt dann neugierig oszillierende Keyboard-Tupfer (Backyard) oder schnipselnde Streicher (Breh) und gibt sich auch mal einer veritablen Fata Morgana (Trinkets) hin.
Nach und nach werden dabei die rhythmischen Elemente und smart zusammengedachten Beats eine Art roter Faden. In One Night in New Orleans sind sie etwa frickelnder programmiert zum Indietronic-Groove mit frühlingshaften Arrangements ausgelegt, in Disorientation Is Normal sind sie Teil einer illusionistischen Grandezza und Quarter Rats orientiert sich sogar noch organischer am Jazz, spendiert dem zappelnden Beckenspiel Bläser und die lounginge Idee eines Pianos. Zwischen Downbeat-Miniaturen (Last House in Dimes) und dem friedlich-ätherisches Schwelgen mit pointierter Akzenten (Refinery Eyes (Laura’s Theme)) tauchen Before You Die als hibbeliger Weirdo auf, klimpert Favored Boy durch diffuse Loops irrend, und driftet Refinery Fight noch weiter in den elegischen Fieberwahn, bevor Floodgate Tavern wie eine falsch eingewählte Kindermelodie vom Funk halluziniert, Drones hibbelig pluckert oder Suburban Templar verdächtig knubbelt. Trotzdem ist es stets absolut homogen und kohärent, wie der Norco-Score seinen verschiedenen Pfaden folgt, die verschrobene Tanzbarkeit neben die asiatische Space-Odyssee mit Bläser Imitaten stellt oder sich maschinell verabschiedet.
Ergänzt wird dieses (auch ohne die Bilder des entsprechendes Games ganz wunderbar imaginativ und in sich geschlossen funktionierende) Portfolio durch Beiträge von Andy G (alias Andy Gibbs, der mit Chex2cash eine hoffnungsvoll entschwebende Ambient/Nummer im Stile von HTRK streichelt, friedlich und ätherisch, klar und schwelgend, ätherisch und kristallin) sowie ein gedankenschweres Wasserwindspiel (Your Pawpaw) und tropikalen Beinahe-Yacht-Pop aus der Dose (Canal Water) von FMaura.
Merklich weiter aus dem Rahmen fällt dann die Passage von Norco, die neues Thou-Material enthält. Und das, obwohl die schwarz-sludgenden Nola-Doomer dort ihrem zentnerschweren Geifern zwar im Grunde treu bleiben, die stilistische Verortung der Songs aber merklich insofern verschieben, als dass die Grunge-Affinität der Magus-Trabanten weitergedacht wird – und der Übergang vom Gewgawly I-Territorium zudem möglichst rund gestaltet wurde.
Der Fmgew-Remix von Goo in a Burning City mutet als gar nicht so harshnoisige Powerelectronics-Assimilation futuristischer Industrial- und Trip Hop-Mutation an, in denen das Geschrei im Hall halluzinierende Skinny Puppy– Vibes erzeugt und so als als Bindemittel zum restlichen Score von Norco durchaus eine adäquate Brücke baut. Am anderen Ende schließt View of a Burning City dann als neue, längere Version eines hauseigenen Klassikers den Hightower-Rework-Varianten nicht unähnlich – also den personellen Änderungen innerhalb der Band angepasst – den Rahmen.
Dazwischen jedoch beginnt The Long Road als dun kles, folkiges Americana-Noir-Instrumental, das auf den selben Schuld-und-Sühne-Pfaden unterwegs ist, wie etwa The Hammer oder auch Teile von den Zusammentreffen mit Emma Ruth Rundle. Dunkel und gotschisch schleichend schiebt sich der Drone irgendwann wie eine giftige Bedrohung unter die Acoustic-Nägel, die in aller Geduld ihr Schicksal erwartend über die rostigen Saiten weiterziehen, das Schlagzeug stoisch an Bord holen. Erst zur Mitte hin kippt der Song lange von den martialischen Drums beschworen in den Trademark-Sound der Band: grandios!
Forgive Me, Father beginnt ähnlich wie The Long Road so, nur heavier brütend, schleppt seine Gitarren über den kasteiend langsam walzenden Rhythmus, während der rotierend-flimmernde Effekt der beratenden Gitarre besticht, und man beinahe übersieht, dass Thou all den greinenden Hass in melancholischem Wehmut baden. Das bereits bekannte Corrupted Sanctum geht dagegen unmittelbar zur Sache, geht im Verlauf jedoch immer harmonischer begleitend einher, wo auch Virtual Death erst geradezu nonchalant tändelten poltert, dann aber somnambul als noiseinfizierter ambienter Slowcore in die Arme von KC Stafford pendelt – Funck entert den Song erst spät und lässt ihn ins Fade out kentern. Homunculus macht dort weiter, schwindelig torkelnder und atmosphärisch, dem der inzwischen wieder ohne Bart auskommende Brüllwürfel wie der Teufel im Nacken sitzt, um eine Hand in Hand gehend Synergie mit den cleanen Vocals zu finden.
Der Unterschied zwischen dem Norco-Material von Thou und anderen neuen bereits gespielten, „typischer“ ausgelegten Songs ist damit jedenfalls eklatant – versetzt aber da wie dort bereits in einen extremen Hype-Modus. Bis der Nachfolger zu Magus erscheint, wäre es jedenfalls fein, sich zumindest die knapp 37 Thou’schen Minuten (der insgesamt über zwei Stunden Laufzeit des Norco Soundtracks) nicht nur digital ins Regal stellen zu können.
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