Geordie Greep – The New Sound
Dem überraschenden Ende von Black Midi folgend ist The New Sound als offizielles Solodebüt von Meme Rock-King Geordie Greep eigentlich genau die Platte, die man sich nach Hellfire gewünscht hat. Und mehr. In vielerlei Hinsicht.
So rund, ganzheitlich und stimmig sequenziert fließend wie The New Sound war eigentlich keines der drei Alben jener Band, deren verlautbartes Ende zynischerweise die ideale Promotion für den Anfang der Solo-Karriere ihres nunmehr ehemaligen Frontmannes darstellte.
Dass Greep eine derart klare Linie für sehr ausführliche 63 Minuten gefunden hat, überrascht auch deswegen, weil er nicht nur hinsichtlich der Spielzeit ganz allgemein ein beachtliches Mehr zu bändigen hat. Aufgenommen in London and São Paulo zwischen September 2023 und April 2024 tummeln sich auf The New Sound rund 30 Session-Musiker – unter ihnen Black Midi-Drummer Morgan Simpson und Seth Evans, der das Album auch gleich produziert und sogar die Lead Vocals inMotorbike übernommen hat: einem Melodram, das letztendlich als entfesselte Repetition aufs Gaspedal tritt und dennoch einen geerdeteren Drive hat, wo Greep als Zampano sonst in einem fast allgegenwärtigen Überschwang beschwört.
Während Greep von Léo Ferré, Frank Zappa, Scott Walker oder Robert Fripp als Einflüsse für The New Sound schwärmt, derweil er selbst ständig im tobenden Getümmel rastloser Kompositionen zu stehen scheint, schließt If You Are But a Dream (einem auf Klavier und Bläser reduziertes Quasi-Sinatra Cover) ganz zum Schluß den Bogen jedoch geradezu versöhnlich, nachdem der Opener Blues zum Einstieg demonstrativ hibbelig den manisch angejazzten Avantgarde Progrock in einen fiebrigen, atemlosen Rausch steigert.
Für das dazwischen entfesselte Furiosum sind die Aufnahmeorte der Platte in England und Brasilien mitunter das entscheidende Koordinatensystem, soviel ist schon mit Terra klar: Greep croont mit Salsa-Feuer durch die Lounge, lässt das Klavier zum Eskapismus klimpern, karrt dann auch noch tropikale Bläser und Backing Ladies an, als befände er sich auf der Revue eines Kreuzfahrtschiffs nach Las Vegas. Holy, Holy zelebriert dort als Aushängeschild der Platte Ansätze der 70s Blaxploitation, in der ein überkandidelter Chor wie selbstverständlich die Latin-Party feiert und drei Pianos im Nachtclub revoltieren.
Damit derartig expressive Maßlosigkeit nicht übersättigt, fügt Greep allerdings staunende Panoramen wie den mit sinfonischen Wah-Wah-Funk Raum zum Atmen schaffenden Titelsong oder das ebenfalls instrumentale Bongo Season in den Verlauf ein und sorgt damit für ausgleichend balancierende Elemente.
Ebenso elementar für den Charakter der Platte ist zudem auch ihr mitunter kruder Humor – das Artwork passt insofern wie die Faust aufs Auge, wenn toxische Männlichkeit als Leitmotiv ein megalomanisches Musical über die Strenge schlägt, die Mittel der überzeichneten Karikatur aber auch die emotionale Bandbreite und Tiefenwirkung abseits des staunenden musikalischen Spektakels bis zu einem gewissen Grad tilgen. “The main theme of the record is desperation; someone who is kidding themselves that they have everything under control, but they don’t.” bedeutet gefühlt phasenweise eben auch „pussy“ hier, „pussy“ da.
Das aus dem Black Midi-Song Lumps geborene Walk Up verarbeitet etwa ein Thema, wie es in der luftigen Komödie in den sonnigen 80ern stattfinden könnte, zu einem am Rad drehenden, rockend joggenden Stadion-Wahnsinn, erzählt dahinter aber gewissermaßen von Business, Prostitution und der Sehnsucht nach Intimität: „You still smell her snatch/ As you trawl the accounts/ …/ I know you itch for romance/ Another lonely еxecutive cunt/ The kind that only knows how to pay to touch/ In thе boardroom/ Your fish fingers shake hands with the top-flight men/ Check your balls for lumps once they’ve left“. Das countryeske Outro ist danach herrlich absurd.
Auch das über zwölfminütige The Magician als Opus Magnum der Platte hat seine Ursprünge bei Black Midi, schippert nun aber entspannt zur nostalgisch lächelnden Einkehr, die sich angenehm behutsam hinten raus radikaler aufreibt und bis dahin die Geschichte eines Mannes im Labyrinth sexueller und emotionaler Unsicherheiten zeichnet.
„Have you tasted human flesh?/ Have you had sex with the dead?/ Have you seen a brain split in two?/ Do you know what courage looks like?/ Have you seen a woman give birth to a goat?/ That’s what courage looks like“ lamentiert das theatralisch ausgelassene Flanieren Through a War und As If Waltz läuft entspannt dahin, bremst sich aber zum versprochenen romantischen Walzer aus und will den 70s Rock kosmisch leuchten sehen: „To see what you think of Proust/ And to read all of your favourite books/ And to watch you fuck other men/ To let your breast warm my hands from the cold/ And not afterwards have sex/ To see you naked and leave you alone/ To hear you moan and walk away„.
Trotz der akribischen Ernsthaftigkeit, die Greep in dieser konzeptuellen Geschlossenheit an den Tag legt, in jedem Song so viel passieren lässt und inhaltlich immer über die Stränge schlägt, verkrampft The New Sound nie, übersättigt vielleicht thematisch, aber überfordert musikalisch nicht, hält den Rahmen. Die eigentliche Stärke dieses Debüts ist also, in all den pompösen Szenen nie verkopft oder überladen zu wirken, sondern immer instinktiv, impulsiv und schlüssig aufzudrehen. Greep nutzt die neuen Freiheiten für einen schärferen Fokus, agiert ohne Black Midi über eine regelrechte Veits-Tanzbarkeit der Songs sogar gewissermaßen zugänglicher. Und der Spaß, den er an Entfesseln dieses Trips hat, überträgt sich bis zu einem gewissen Grad nahtlos auf en Hörer.
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