Full of Hell – Weeping Choir
Full of Hell haben sich spätestens 2017 mit Trumpeting Ecstasy endlich in ihre eigene Liga katapultiert. Da macht es natürlich Sinn, dem etablierten Erfolgsrezept mit Weeping Choir ein adäquates Update zu verpassen.
Das vierte Soloalbum des in den vergangenen zehn Jahren mit knapp zwei Duzend Releases um sich werfenden Quartetts aus Pennsylvania fühlt sich hinter dem selbstreferentiellen Artwork inhaltlich und ästhetisch als dezitiertes Companion Piece nicht umsonst wie eine direkte Fortsetzung seines Vorgängers an, verändert den MO hinter dessen Erfolgsrezept aber durch einige Feinjustierungen letztendlich doch markant. Auch indem es eine durchaus überraschende Erkenntnis artikuliert: Der stilistische Streufaktor kann für eine Band wie Full of Hell, die noch keiner Kooperation freiwillig aus dem Weg gegangen ist, durchaus auch dann gesteigert werden, wenn der Fokus auf die eigentliche Basis und den personellen Kern gelegt wird.
Soll heißen: Die ewigen Kollaborateure schrauben den Anteil an externen Impulsgebern und Gästen auf Weeping Choir zwar an sich zurück, destillieren mit einer unverfälschteren Sicht auf den Bandkern allerdings nicht nur die um das Quäntchen schonungslosere Version der eigenen Grindcore-Stärken, sondern assimilieren (paradoxerweise?) auch eine breitgefächerte Stilvielfalt, zu der man sich bisher nahezu ausnahmslos von Mitverschwörern verführen ließ. Ein größerer Radius, der aus einer dichteren Komfortzone wächst also gewissermaßen.
Weeping Choir vereint dafür mit unverfälschter Klarheit Aspekte aus allen bisherigen Ausflügen der Band – verpackt in einen wunderbar schlüssigen Spannungsbogen, der in der Mitte der Platte das weitschweifende Gewicht zusammenzusammeln beginnt. Dort kulminieren die Ausrichtungen tektonisch immer deutlicher zum genreübergreifenden Amalgam überlagernd, während einzelne Elemente den gesamten Spielverlauf über zwischen den einzelnen Songs jeweils Motive aus dem nächsten einzuleiten scheinen und für homogene Übergänge sorgen.
Rainbow Coil lässt etwa als avantgardistisch-abstrakte Post-Noise-Industrial und dekonstruierten Power Electronics-Klangcollage hinten raus verspulte Drums tackern, die Aria of Jeweled Tears gleich darauf in eine Presslufthammer-Ahnung übersetzt und zum destruktiven Powerviolence-Fleischwolf mit psychotisch den Rücken stärkendem Chor weiterführt.
So erzeugt Weeping Choir trotz seiner vertraut-unberechenbaren Vielseitigkeit ein in sich geschlossenenes Natrativ (weswegen übrigens all die vorab bekannten Nummern nun im Kontext auch noch besser zünden!), lässt das scheuklappenbefreit experimentierende, keineswegs willkürliche Chaos geradezu triumphal im überragenden Karriehighlight Armory of Obsidian Glass gipfeln.
Harscher Drone wird im Herzstück des Albums als malträtierender Slo-Mo-Doom gepeinigt, addiert dort eine psychedelisch im wahnsinnigen Delirium schwelgende Schlagseite, die so an die Queens und Daughters denken lässt – der Einfluss von Zuckerbrot und Peitsche-Chanteuse Lingua Ignota gerät zum Katalysator. Wie eine Ringelspielfahrt in beschleunigter Zeitlupe halluziniert die Nummer durch den Vergnügungspark von Silent Hill, erklärt den Albumtitel mit seinem schauderhaft anmutigen, verstörend weinenden Chor von selbst, und imaginiert ein Panorama aus kotzenden Geistern und peinigendem Stacheldraht unter den Fingernägeln, bevor die Neo Dark Wave/Death Industrial-Gewalt Lingua Ignota auf die letzten Meter mit gespenstischer Beschwörung als trügerisch versöhnliches Element der Raserei Tür und Tor öffnet.
Um diesen schwarze Loch von einem Schwerpunkt (dessen garstiges Wesen im direkten Vergleich zum geradezu lieblichen Besuch von Nicole Dollanganger vor zwei Jahren symptomatisch für den noch einmal finsterer gewordenen Kontrast zu Trumpeting Ecstasy verstanden werden kann) tummeln sich als Rahmen extrem straight dem Grind verfallende Sprinter mit eklatant hochgeschraubtem Death-Faktor: Erschreckend präzise und gnadenlos, aggressiv eskalierend. Ein blutiger Batzen Fleisch für die Anhängerschaften von Nails bis Cloud Rat, wohingegen alleine Downward durch die dreckige, punktgenaue vor Gift und Galle triefende Produktion von Kurt Ballou die Kurve von muskulöseren Code Orange (als allgegenwärtig elektronisch zerhackte Referenz) zu hirnwütigen The Black Dahlia Murder wagt und das Spektrum wie im Rausch auffächert.
Gleich Burning Myrrh hämmert also mit malträtierenden Blastbeats, keift und growlt und schreit, weil Dämon Dylan Walker über die Ramuh-EP Glowing Civilization stimmlich noch beeindruckender abliefert, eine gemeine Naturgewalt darstellt und die ausgespiene Wut besser denn je artikuliert, wo Brüllwürfel-Bassist Sam DiGristine ihn im Call and Response antreibt. In Haunted Arches keift er wie ein Dämon, die Gitarren hyperventilieren akzentuiert und gleichen den Hang zu einer gestiegenen stumpfen Brutalität aus: Was für eine unnachgiebige Dringlichkeit!
Thundering Hammers praktiziert dennoch die wuchtige Walze, groovt martialisch wie eine Sludge-Planierraupe, der immer wieder Nitro eingespritzt wird. Silmaril bollert später greinend und guttural, prügelt den Pit mit einer fiesen Blackened Crust-Kante in Klumpen und Angels Gather Here ist unter extremer Distortion eine pendelnde Hackpresse, die beinahe wie ein Thou‘esk geifernder Remix mit verätzten Schaltkreise anmutet. Die Verwirrung um Saethe lebt also doch irgendwie, bevor die kaum zu bändigende Unendliche Geschichte-Verbeugung Ygramal the Many die Verbindung von Nasum und Pig Destroyer zum jazzigen Freejazz-Exzess von Tzadik, Mr. Bungle und Mike Patton findet.
Hier brechen Full of Hell dann auch noch ausnahmsweise aus einer gewissen Komfortzone aus, die das nur wenig tatsächlich neues wagende, aber nun eben nahezu alles Spektakel alleine bewerkstelligende Weeping Choir verwaltet. Weswegen das abschließende Cellar of Doors gerade mit dem Trumpeting Ecstasy-Closer At the Cauldron’s Bottom im Rückspiegel ein wenig enttäuschend ausfällt, dem Wesen der Platte nichts essentielles mehr hinzufügen kann und den Reigen damit auch auf einer wenig erschöpfenden Note unter Wert beendet. Ob Full of Hell ihr bisheriges Meisterstück mit dem erstaunlich griffig-eingängigen Schwesterwerk Weeping Choir übertroffen haben, bleibt deswegen offen – der Zweifelsfall behauptet allerdings: Ja! – verlangt aber im Grunde ohnedies keine Entscheidung. Als die zwei Seiten der selben Medaille verteidigen die vier Abrissbirnen aus Star City ihre Ausnahmestellung zumindest schlichtweg triumphal, mindestens auf Augenhöhe.
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