Full of Hell, Primitive Man, Nekrodeus [19.06.2023: Postgarage, Graz]
Erst vor kurzem machten Full of Hell und Primitive Man auf Suffocating Hallucination gemeinsame Sache – nun treffen sie im Rahmen der Primitive Hell-Tour auch am sehr gut gefüllten 2nd Floor der Grazer Postgarage zusammen.
Gleich vorab: Es ist einfach sensationell, dass Grazil Records und Barren Fields Booking als Veranstalter diese Fanträume wahr werden lassende Konstellation nicht nur nach Graz gelotst haben, sondern den Eintritt zum Spektakel auch noch zu einem (gerade in heutigen Zeiten) mehr als nur fairen Preis anbieten – große Klasse! Und dass auch der drumherum auf die Beine gestellte Sound und die Lichtshow samt einer vielleicht etwas zu freigiebig eingesetzten Nebelmaschine rundum überzeugen, komplettiert die Freude über das Gastspiel der Primitive Hell-Tour in Graz.
Die Voraussetzungen dafür stemmen übrigens auch die den Abend eröffnenden, heimischen Nekrodeus, die, nach etwa zuletzt dem A Decade in Sodom, mit einer erstaunlich mühelosen Vehemenz ihr dem internationalen Vergleich standhaltendes Niveau unterstreichen, und in einer Position, die andere aufgrund des übermäßig großen Schattens zweier der aktuell wohl wichtigsten amerikanischen Bands der harten Schule per se zum Scheitern verurteilt hätte, einfach ordentlich Stimmung machen: vom Blackened D-Beat und rockigen Death bis zum Sludge holt das Quartett (ausnahmsweise mit Norikum-Bassisten-Leihgabe) die Zielgruppen der beiden Hauptbands ansatzlos ab und initiiert und gehörigem Beifall letztendlich sogar die ersten Pits. Alles richtig gemacht!
Setlist:
There is No Excuse
Asbest
Lied aus Blei
Lifeloather
Lenore
Eat Dirt Taste Life
Nekropolis
Schwarzer Regen
Danach tauschen Primitive Man den Platz mit den eigentlich an zweiter Stelle des Abends anberaumten Full of Hell – was folgt, ist jedoch erst einmal ein ausgedehnter Soundcheck, denn der der Sound ist eben elementar im Wesen von Ethan Lee McCarthys Band: Primitive Man werden folgerichtig auch so laut und intensiv, so räumlich ausgebreitet und schwarzlochverschlingend klingen, dass es einem förmlich die Stöpsel aus den Ohren wringt, die präzisen Drums sich wie Schläge in die Magengrube gebärden und die Wand aus Gitarre und Bass mit einer physisch spürbaren Macht in seinen Bann ziehend umspült.
Überhaupt ist es beachtlich, dass die Musik der Band live noch viel mehr als auf Platte einer beispiellosen Katharsis gleichkommt, die Heaviness nicht zum Gimmick macht, sondern zu einem beinahe religiösen Beschwören. Zwar thront der imposante, wie die körpergewordene Entsprechung seiner Musik beeindruckende Hühne McCarthy vor einem imposanten Turm aus Verstärkern monströs über dem Geschehen, zu sehen, wie sich sein Gesicht beim Abringen eines geradezu entmenschlichten Gebrülls malträtierend in einer verzweifelten Agonie aus Wut, Trauer und Nihilismus verzerrt, verleiht der Ästhetik des Trios dann aber auch tatsächlich eine zusätzliche, physisch im Würgegriff transzendetierende Ebene mit Khanate-Assoziationen, die das bekannte Material in eine neue Sphäre hebt.
Vielleicht ja passend dazu gibt sich das Trio selbst abseits des knapp halbstündigen, viel zu kurzen Sets (das trotz einer Beschränkung auf Immersion und Caustic gut ausgewogen ist, weil es seine ballernden Akzente in der Langsamkeit dynamisch setzt und die an ∞ ausgerichtete Noise-Improvisation nach The Lifer zudem einen elementaren Anteil im Kosmos der Band reklamiert, bevor Zugabenwünsche mit einem, angesichts der frühen Beginnzeit, ziemlich unlogischen „Thank you, but there is not enough time!“ von McCarthy freundlich-distanziert abgeschmettert werden) relativ unnahbar, ist vor und nach der im grün ausgeleuchteten Nebel stattfindenden Show nirgendwo zu sehen.
Setlist:
The Lifer
(Noise Improvisation Interlude)
Entity
Consumption
My Will
Victim
Ganz anders Full of Hell, die knapp elf Jahre nach ihrem ersten Graz-Besuch stetig durch die Location wuselnd extrem kontaktfreudig, kommunikativ und schlicht superfreundlich agieren: Dylan sitzt vor der Show aufgeschlossen am Merchstand und nimmt sich nach dem Set gefühlte Ewigkeiten für jeden Wartenden Zeit, erfüllt Foto-Wünsche, trommelt seine Band für Signaturen zusammen oder erzählt Anekdoten von Isolation Man, wirkt kurzum einfach wie ein rundum supercooler, bodenständiger Typ, derweil auch seine Kollegen (bei denen übrigens Gabe von Reaper‘s Gong als Ersatz für den zuhause gebliebenen Spencer Hazard einspringt – und einen absolut überzeugenden Job erledigt!) in Geschichten über den nicht nur WC-technisch begeistert habenden Besuch im Schwarzenegger-Museum aufgehen oder sich über die anstehenden Mühen beim Grenzübertritt in die Schweiz krumm lachen.
Eine wirklich extrem sympathische Bande jedenfalls, die dazwischen mal eben den kompletten Abriss in der Postgarage veranstaltet.
Im höllischen roten Licht amüsiert das Quartett nämlich zwar offensichtlich immer wieder der sporadisch zur Hemmungslosigkeit neigende Nebelwerfer, abseits davon gibt es allerdings eben wenig zu lachen – die Attacken der Band schonen niemanden.
Während immer wieder Mini-Plüschmäuse auf die kleine Bühne geworfen werden, pusten Full of Hell, angetrieben vom furiosen Drummer Dave und einem vor Energie förmlich explodierenden Zampano Dylan, kompakte Salven ihres Death-infizierten Grindcores hinaus, die so exzessiv und schonungslos unter Strom stehen, dass manche Pausen (oder: Sample-elektrifizierte Interludes) dazwischen tatsächlich länger ausfallen (müssen) als viele Songs: leider – hinsichtlich des dadurch gelegentlich stockenden Spannungsbogens; manchmal ob der schweißtreibenden Verausgabung im Pit jedoch durchaus gnädigerweise, zumal die Beschaffenheit des 2nd Floor vor der kleinen Bühne für derartige Unternehmungen ja dezent gemeingefährlich angelegt ist.
Wiewohl es schade ist, dass die Vertreter der Aurora Leaking From An Open Wound-EP mittlerweile aus der wenig überraschend an genormten Grundlinien abgestimmten Setlist entfernt wurden, gibt es dafür nun schon Material der kommenden LP zu hören, außerdem eine Demonstration davon, dass Garden of Burning Apparitions schon auch wirkliche Klasse-Songs parat hatte, die neben Klassikern von Trumpeting Ecstasy, Amber Mote in the Black Vault, Rudiments of Mutilation sowie dem einsamen Weeping Choir-Vertreter Silmaril mühelos Bestand haben.
Außerdem kommt die Full of Noise-Seite der Gruppe live deutlich ergiebiger zum Tragen, wenn um aggressive Blast-Gewitter und rasende Breitseiten die improvisier harschen Expeditionen von der Leine gelassen werden, wo die Musiker mit einem würgenden Brüllwürfel Dylan an der Synth-Pipe dem Exzess frönen.
Und dennoch entlässt der Abend in einer speziellen Hinsicht dann doch mit einem latent enttäuschenden Beigeschmack. Da war immerhin doch die gar nicht so heimliche Hoffnung, dass Full of Hell und Primitive Man das Zusammentreffen – zumal unter dem Primitive Hell-Banner firmierend – für eine Symbiose nutzen und zumindest Auszüge aus Suffocation Hallucination gemeinsam auf die Bühne bringen würden, zumal die jeweiligen Sets der beiden Headliner subjektiv betrachtet (und obwohl Full of Hell sich ja eh zu einer Zugabe hinreißen lassen) gefühlt um eine kleine Spur zu knapp ausgefallen wirken, um bedingungslos, also wirklich restlos erschöpfend zu begeistern.
Nichtsdestotrotz: selbst wenn man über diesen kleinen, relativen Schönheitsfehler nicht hinwegsehen kann, bleibt immer noch eines der Konzerte des Jahres.
Setlist:
Intro
Halogen Bulb
Asphyxiant Blessing
Digital Prison
Crawling Back to God
Bound Sphinx
Vessel Deserted
Bone Coral and Brine
Silmaril
Burning Apparation
Eroding Shell
Reeking Tunnels
„New 1“
„-Noise-“
Amber Mote
Barb and Sap
Gnawed FleshEncore:
[?]
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