Frontierer – Unloved
Zweite Runde im regelfreien Barknuckle-Fight, den Frontierer zwischen den glitchenden Fronten aus Mathcore, Noise, Metalcore, Djent, Sludge und manisch wütender Electronica anzetteln: Unloved eskaliert bei genauerer Betrachtung jedoch um das Quäntchen vielseitiger, als das Gemetzel auf Orange Mathematics.
Als Frontierer die Welt in einer Kernschmelze aus Genres mit eben diesem Debüt 2015 terrorisierten, konnte man kaum auf den Wahnsinn vorbereitet sein, den die interkontinentale Band da praktisch aus dem Nichts kommend von der Leine ließ.
Noch weniger wollte man sich der digital-romantischen Hintergrundgeschichte zur Platte entziehen: Gitarrist/ Produzent/ Mastermind Pedram Valiani zog von Edinburg in Schottland aus die Fäden, Kompagnon Chad Kapper (A Dark Orbit, When Knives Go Skyward) brüllte sich die Kehle aus Missouri heraus wund. Getroffen hatte sich die Online-Arbeitsgemeinschaft persönlich noch nie, einige Skypetelefonate mussten neben den obligatorischen Mails zum Ideenaustausch genügen. Auch deswegen entwickelte sich das in Eigenregie vertriebene Orange Mathematics schnell zu einem veritablen Underground-Hit auf Bandcamp (samt folgenden wahnsinnigen Wiederverkaufs-Preisen für die limitierten physischen Tonträger), der auch durch die bodenständige Name Your Price/ DIY-Attitüde unmittelbar in seinen Bann zog.
Seit damals hat sich einiges getan: Kapper und Valiani standen sich mittlerweile auch im realen Leben gegenüber – schließlich galt es irgendwann, ihre digital so fruchtbare Kooperation auch live auf der Bühne umzusetzen. Nicht nur aus logistischen Gründen sind deswegen nun auch die restlichen drei Fünftel von Valianis inzwischen reaktivierter (und unlängst mit Annihilated bereits so nahverwandt wie imposant vorgelegt habenden, im direkten Vergleich etwas straighter, zugänglicher und weniger elektronisch agierenden) Schwesterband Sectioned bei Frontierer mit an Bord.
Ethos und Herangehensweise der personell gewachsenen Kombo haben sich für das Zweitwerk allerdings auch ohne überraschenden Hinterhalt und einer merklich gestiegenen Erwartungshaltung durch den Buzz als „the world‘s ugliest math problem“ nicht großartig geändert. Unloved übernimmt praktisch ansatzlos von Orange Mathematics als gefühltes Volume 2.0, indem es die Maxime von Valiani konsequent fortsetzt und weiterdenkt: „It’s the aim and desire to just write stupidly heavy music.“
Nüchtern betrachtet: „More of the same with revamped production. There’ll be a few new things electronically.” Genau das sei von dem (damals noch in einem frühen Entwicklungsstadium befindlichen) Orange Mathematics-Nachfolger zu erwarten, prognostizierte Valiani vor zwei Jahren lapidar. Womit er den Kern der Platte durchaus treffend analysiert. Primär optimieren Frontierer ihren schmelzenden Nervenzussamenbruch aus synkopischen Rhythmen, infernalem Geschrei und akribisch berechneten Riffs auf diesem 56 minütigen Signature Sound-Update. Sie shreddern ihre von digitalen Viren zerfressene Gleichung aus dem Irrsinn der Marke Dillinger Escape Plan abermals mit einem unbeirrbaren Stoizismus, der an die Präzision von Meshuggah oder die Hirnwütigkeit der Tony Danza Tapdance Extravaganza erinnert, und die Tech-Machtdemonstrationen von Psyopus mit der würgenden Dichte von Will Heaven und der Modulation von Car Bomb über heftige Breakcore-Wellen anreichert. Alles wie gehabt also, im großen und ganzen.
Doch Frontierer tun dies alles unter dem Elektronenmikroskop im zweiten Anlauf tatsächlich mit einer im Detail doch größer aufgefächeteren Bandbreite, variieren Dynamik und Tempo in der maschinellen Scharfkantigkeit zwingender als bereits auf Orange Mathematics, weil sie ihr Amalgam um Nuancen abwechslungsreicher deklinieren.
So entstehen einige der griffigsten Szenen der bisherigen Bandgeschichte, wenn Frontierer einige beinahe unmittelbar zündende zumindest relativ ansatzweise hängen bleibende Szenen abfeuern.
Allen voran das überragende Gower St., dass das ziepende Inferno kurz beiseite schiebt, um einen fast schon schillernd skandierenden Refrain zu repetieren („We burrow/ We go in/ We go down/ We go inside/ We dig we burrow “), der sogar irgendwann andeutungsweise so episch aufmacht, als würden die Deftones sich selbst zerfleischen. Auch Unloved & Oxidized ballt die Hände zu entgegenkommenderen Fäusten, die aus dem schwitzenden Pit emporgereckt werden können, bremst sich dafür sogar irgendwann nahezu komplett aus und gönnt sich den Mahlstrom für eine potentielle Armee an Kehlen („But I’ll be okay/ In my oxidative state, I’ll be okay “) samt hymnisch funkelnd zersplitterndem Finale mit D’n’B-Abgang.
In derartigen Momenten funktioniert Unloved am überwältigendsten – wenn Frontierer nicht nur in ihrer eigenen Matrix austicken, sondern diese für den Hörer samt erkennbaren menschliche Emotionen öffnen und damit auch als Projektionsfläche zulassen.
Allerdings gestaltet es die Band auch über die ersten zehn Durchgänge hinaus als enorm schwierig, sich in diesem orientierungslos machenden Chaos-Sturm des prolongierten Random-Songwritings zurechtzufinden. Frontierer pflegen einen derart komplexen, fordernden Dauerschwall an aggressiv berstenden Detonationen, dass man sich entweder nach und nach eine gewisse Übersicht erarbeiten muss – oder sich noch besser von diesem bestialischen Reißwolf mitreißen lässt, die Katharsis nicht kopflastig aufarbeitet, sondern sich als opferbereiter Sparringpartner für die physische Präsenz der Band hingibt.
Für die meiste Zeit schärfen Frontierer den Fokus schließlich mit einer regelrecht scheuklappenhaften Zielstrebigkeit. Tumoric faucht über martialische Drums, die nach oben gniedelnden Gitarren und die stakkatohafte Wucht bieten Ansätze zum Festhalten. Fluorescent Nights klingt wie Protest the Hero auf Speed, spult seine hackende Attacke danach mit ähnlich heruntergestimmt zum Hardcore schleppender, sprintender Unberechenbarkeit wie Code Orange zurück, während die hyperventiluerende Gitarre von Designer Chemtrails schon beinahe eine Melodie zumindest Muster erkennen lässt, um bis zu einer nackenbrechenden Abfahrt abzuholen.
Glitcher hat dafür eine noch latentere Nu Metal-Stimmung als viele andere Songs hier, wohingegen Electric Gag gerade mit seinem gesrosselteren Tempo fesselt und sich The Destruction Artist zum shreddernder Hornissenflug aufpumpt, um sich im eruptiv skandierenden Modus auszukotzen.
The Sound of the Dredge in Deathcount Woods verschiebt den Gitarrenklang sogar kurzzeitig bis zum futuristischen Games-Score, doch wenn sich der Song am Ende in einem diffusen elektronischem Bandsalat auflöst, verpassen Frontierer genau genommen den idealen Zeitpunkt, um Unloved zu beenden – da kann der für sich stehende Closer Reprogrammed Dawn ein noch starker Song sein.
Die zu lange Spielzeit der Platte ist dann auch eines der beiden markanten Problem der Platte. Das zweite ist die Produktion, die jedes Element bis zum ohrenbetäubenden Maximum dreht. Eine Entscheidung, die zum betäubenden Charakter von Unloved passt, aber eben auch droht, den Hörer abstumpfen.
Diese Gangart funktioniert auf Unloved noch hervorragend, weil die Band scheinbar permanent eine neue Schippe an Aggressivität und Intensität nachlegen kann. Mit einer gewissen Monotonie (egal ob in der bestialischen Leistung am Mikro oder der Virtuosität an den Instrumenten) knüppeln Frontierer sogar über die ganz zum Ende hin aufkeimenden leichten Abnutzungserscheinungen, reißen unentwegt durch die berstende Energie der Performance und die Qualität der Kompositionen mit. Doch deutet die auslaugende Bedingungslosigkeit auch an, dass die Band hiernach doch am vorläufig erschöpften Limit der aggressiven Extreme angekommen sein dürfte, und die Amplituden zukünftig auch umgekehrt proportioniert mit schärferen Konturen ausgearbeitet werden sollten, um nicht abzustumpfen.
Wohin die Reise gehen könnte, zeigt insofern das toll balancierte Highlight Heartless 101 auf: Ein ambient perlendes, pochendes Stück melancholisch treibender Ruhe platzt schleppend ausblutend, findet über störrische Umwege und eingeflochtenen Car Bomb-Input aber zur erhebend installierten Melodieführungen samt Remix-Ende zurück und bietet sich so als einzige relative Atempause im Overkill-Rausch an, der Unloved auch zum Ausdauer Test macht.
Dadurch zeigt sich, dass einen Frontierer-Song zu kennen, weniger denn je bedeutet, alle gehört zu haben. Mehr noch aber, wohin diese Band noch wachsen könnte, wenn sie mehr Räume schaffen würde, um nicht nur exzessiv malträtierendes Leiden zu foltern, und das Spektrum der Kampfzone dabei über das Verschieben der Facetten innerhalb bekannter Grenzen erweiterte.
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