Frail Body – Artificial Bouquet

by on 1. Juni 2024 in Album

Frail Body – Artificial Bouquet

Frail Body haben die Kinderkrankheiten ihres Debütalbums A Brief Memoriam hinter sich gelassen und mit Artificial Bouquet eine über den Screamo hinauswachsende Machtdemonstration arrangiert.

Wo sich die Spielzeit im direkten Vergleich zwischen den beiden Platten beinahe verdoppelt hat, ist die Qualität und Bandbreite der Musik sogar um ein vielfaches gestiegen: Artificial Bouquet verschmilzt seinem Titel entsprechend den Emoviolence wie selbstverständlich mit Tendenzen des Blackgaze oder Post Metal, setzt sich aber auch über diese Perspektiven hinweg und ist durch ein packendes Songwriting samt intensiver Performance und zwingendem Sound ohne einen Moment Ziellosigkeit aufkommen zu lassen tatsächlich mehr als „nur“ das komplette, runde Album geworden, das der ausschnitthafte Erstling vor fünf Jahren in seinen besten Szenen versprach.
Insofern erstaunt es sogar, was für eine Selbstverständlichkeit Frail Body nunmehr an den Tag legen, welch superb ineinander verflochtenes Gesamtwerk diese elf Stücke hier ergeben; wie grandios das Sequencing und Pacing die stilistischen Verlagerungen dirigiert und Artificial Bouquet gerade als Ganzes einfach umwerfend gut aufzeigen lässt.

Scaffolding ballert zum Black Metal, lässt den hysterisch keifenden Screamo in der verzweifelt Luft holenden Bridge deutlicher hervortreten und verbindet melodische Gitarren mit dem irren Zug der Drums, windet sich über abenteuerlustige Strukturen, bevor Berth mehr Chaos so rasant in 104 Sekunden prügelt. Critique Programme erzeugt ein schillerndes Postrock-Flimmern über einem malmendem Bass und lässt seine Grandezza im tollen Spannungsbogen mit viel Dramaturgie eskalieren, wo der bedrohliche Post Metal von Devotion im manisch getriebenen Rausch eine hymnische Majestät zelebriert.
Monolith schaltet – als eine Art Poppunkgrind? – umso radikaler in den Berserker-Modus und hat wie Refrain als Switch zwischen dämonischen Tarantel-Stichen und melodischer angelegtem Sinnieren die Lehren der französischen Szene verinnerlicht.

Das weitschweifende No Resolution trägt dagegen einen einfach wunderbar hoffnungsvollen Optimismus, Runaway verbindet eine schraffierte Erinnerung an Isis mit der Katharsis der Spitzen von Liturgy  auf eine zutiefst instinktive Weise und geht in einem Gefühl der ergehenden Verbundenheit auf. Horizon Line reißt das Ruder sofort aggressiv auf den Punkrock im garstigem Speed samt Blackened-Raserei um – alleine wie intensiv energisch die Riffs hetzen!
Das Interlude Another Year Removed ist danach zwar imaginativ, aber auch irgendwie redundant, zumal die Nahtstellen nach vorne raus nicht ideal verarbeitet sind, doch dafür funktioniert das Durchatmen als Startrampe für A Capsule in the Sediment ideal, wo Frail Body Ingredienzen der gesamten Platte wild um sich schleudern, um einen wohlüberlegten Abschluss des Rahmens zu bauen.

Bei aller Euphorie brennen sich dabei zugegeben nicht alle Szenen jenseits der Attitüde und Ästhetik ein; oft erscheint es wichtiger, welche Dynamiken Frail Body nutzen, um ihre Emotionen im Groben artikulieren, als was sie dabei ausspeien; jenseits seiner 40 Minuten Spielzeit hält die Intensität der Platte deswegen auch weniger  konkret in ihrem Bann; und immer wieder bleibt im radikalen Evolutionssprung zudem das Gefühl, dass die Band diesen exzessiven Eklektizismus wohl sogar noch besser, eindrucksvoller und prägnanter hinbekommen könnte, weil das freigelegte Potential einfach immens ist.
Aber es sind Kleinigkeiten, die auf den letzten Metern zu einer ikonischen Meisterleistung fehlen. Und es sind auch Punkte, die Artificial Bouquet in seinem rohen Momentum kaum schlechter machen. Keine Genre-Verlagerung ist Mittel zum Zweck, alles mutiert natürlich und nachvollziehbar. Wo der grandiose Sound von Pete Grossmann und Jack Shirley jedem Element eine individuelle Färbung verpasst und das Ergebnis dennoch zu mehr als der Summe seiner Teile zum Rausch werden lässt; wo die Assoziationen von Deafheaven über Sailboats bis Jeromes Dream alles richtig machen (ohne vielleicht das unbedingte Quäntchen Eigenständigkeit zu erzwingen) hat man also stets den Eindruck, mittlerweile eine Ausnahme-Band zu erleben, der endlich der Knopf aufgegangen ist – und die hiernach nun zu einem potentiellen Klassiker fähig wäre.


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