For Me This is Heaven: Jimmy Eat World
Beinahe auf den Tag genau 30 Jahre sind vergangen, seit Jimmy Eat World in Mesa, Arizona gegründet wurden und in weiterer Folge über Emocore-Klassiker zur Alternative Rock-Macht mutierten, denen die enorme Fallhöhe hinter einer Staffette an (Semi-)Meisterwerken und Hitschleudern aber auch zum Verhängnis wurde.
Auch wenn die Heydays mittlerweile unerreichbar scheien, stiegt die Formkurve von Jim Adkins, Zach Lind, Tom Linton und Rick Burch nach einer relativen Schwächephase wieder konstant an und hält sich mittlerweile beständig: Jimmy Eat World sind auf gehobenen Niveau einfach zuverlässig. Zumindest beinahe. Denn wie man sich davon im heurigen Jubiläumsjahr überzeugen können wird, bleibt gewissermaßen vorerst offen – denn den seit 2001 eigentlich so genormt praktizierten dreijährigen Veröffentlichungsrhythmus hat die Band 2022 verstreichen lassen, um entlang der Standalone-Singles Something Loud und Place Your Debts kundzutun, dass man sich momentan – wieder als Independent-Gruppe operierend – vor allem auf die Veröffentlichung einzelner Sonngs konzentrieren will und Studioalbum Nummer 11 deswegen bis auf weiteres nicht auf dem Radar auftauchen dürfte.
Extrem schade – aber Grund genug, sich mit den bisherigen zehn Langspielern von Jimmy Eat World noch einmal auseinanderzusetzen.
10. Jimmy Eat World
Erscheinungsjahr: 1994
Produzent: –
Spieldauer: 38 Minuten
Das Cover zeigt Tom Lintons jüngere Brüder Jim und Ed (im Schwitzkasten). Letzterer revangierte sich nach einer ähnlich erlittenen Schmach durch eine Zeichnung, auf der sich der ältere Jimmy die Erdkugel in den Mund stopfte. Schon hatten vier Jungs aus Mesa, Arizona einen Namen für ihre neue Band – so geht zumindest die Geschicht, die mittlerweile auch um eine Party-Anekdote samt Warnung reicher ist.
Nein nein, natürlich klingt Jimmy Eat World (das Album) keineswegs nach Jimmy Eat World (der Band), auch wenn etwa die einleitende Gitarrenlinie in Splat Out Of Luck durchaus vage zukünftiges andeutet. Anstelle des patentierten Sounds, den man mittlerweile längst mit dem Quartett assoziiert, gibt es auf dem selbstbetitelten Debüt nämlich noch ungeschliffenen Pop-Punk, der bis auf die (kurzzeitig kontemplativ mit Streichern durchatmende) Jim Atkins-Ausnahme Usery stets Tom Linton als Sänger der Band zeigt.
Was Jimmy Eat World dabei noch an originärer Unverwechselbarkeit und Tiefgang im Songwriting fehlt, machen die elf Songs mit ordentlich direkter Energie und roher Dringlichkeit weg, sind naive Druckventile mit impulsiver Ader. Dazu gibt es auch in dieser Ausrichtung bereits durchaus feine Nummern wie der catchy hängen bleibende Sprinter Amphibious oder vor allem das überlange Scientific, die zeigen, dass es zwar absolut nachvollziehbar ist, dass Jimmy Eat World mit ihrem Erstlingswerk nicht mehr identifizieren (und die Platte deswegen nie nachgepresst wurde und auch schon lange nicht mehr regulär erhältlich ist), der schlechte Ruf des Albums jedoch eigentlich absolut unverdient ist. Im Rückblick ein durchaus charmantes Stück jugendlicher Dringlichkeit, angenehm unkalkuliert und erfrischend, voller schmissiger kleiner Szene-Rohjuwelen mit ordentlich Biss, auch wenn in der zweiten Hälfte immer mehr der Saft auszugehen droht. Außer Konkurrenz, das schwächste Studioalbum der klassichen Jimmy Eat World ist ein anderes.
09. Invented
Erscheinungsjahr: 2010
Produzent: Mark Trombino
Spieldauer: 51 Minuten
Zwar hat das siebte Studioalbum mit dem sich unfassbar ergreifend (über ein wundervolles Tom Petty-Durchatmen) entladenden Titelsong eine der besten Nummer der JEW-Historie überhaupt in peto (und das, obwohl die Nummer vor der abschließenden Rückkehr zu ihrem schläfrigen Acoustic-Ursprung beendet sein müsste, um perfekt zu sein). Allerdings liefert Invented in Summe doch die frustrierendsten Ergebnisse im gesamten Band-Repertoire.
Ohne wirkliche qualitativen Extreme (abgesehen von der Ausnahme, die die Regel bestätigt!) haben Jimmy Eat World ein Album aufgenommen, das weitestgehend stimmungsvoll, aber auch gefühlt zu ereignislos vor sich hinplätschert und insofern nicht nur mit seinen die Standards setzenden Vorgängern, sondern auch der zu ausführlichen Spielzeit zu kämpfen hat: bisweilen klingt die Band viel zu gemütlich in Szene gesetzt, ernüchternd bemüht und auch verkrampft im Bestreben, das gewachsene Publikum zu bedienen, während man es der Basis eigentlich unbedingt recht machen will. Immmerhin wurde nach einer Clarity-Anniversary-Tour Mark Trombino als Produzent zurückgeholt, ein zurückgenommener Ansatz für die Inszenierung ausgegeben und Tom Linton durfte für Action Needs An Audience wieder als Leadstimme an das Mikro, Adkins versuchte mit neuen Arbeitsmethoden Spannungen in den Schreibprozess zu bekommen.
Geholfen hat all das wenig, letztendlich hat die anvisierte Wollmilchsau nahezu alle Fronten ein wenig verprellt, gerade mit dem Abstand von über einem Jahrzehnt nur wenige Fans versöhnt und vielleicht darf man Invented sogar als umgekehrt proportial erfolgreiches Äquivalent zur Entwicklung sehen, die zwischen Bleed American und Futures gelang.
Die erste Single der Platte, My Best Theory, steht als ohne erkennbare Inspiration am Reißbrett entworfener Baukasten allerdings nur bedingt exemplarisch für eine Routinearbeit mit schönen, soliden Nummern wie dem folkig stampfenden Handclap-Opener Heart is Hard to Find, Littlething oder Coffee and Cigarettes im Verlauf, denn das gravierendste Problem ist, dass ein Großteil der aufgefahrenen Refrains einfach nicht die Versprechen ihrer Strophen einlösen kann und dahindümpelt. Es fehlt stets der nötige Euphorie-Kick oder der Biss, um aus rundum guten Songs wirklich zwingende zu machen – stattdessen scheint die Band stets Gefahr zu laufen in der drögen Inszenierung einzupennen. Jimmy Eat World by the Numbers ist dabei natürlich alles andere als schlecht, nein, Invented ist ein wirklich zufriedenstellendes Album – aber halt (bis auf einen Klimax) fern der Essenz und Magie dessen, wofür man diese Band tatsächlich inbrünstig lieben kann.
08. Damage
Erscheinungsjahr: 2013
Produzent: Alain Johannes
Spieldauer: 38 Minuten
Review
Die Zeit war gut zu Damage, das mit ein wenig Abstand doch merklich versöhnlicher stimmt: ohne Ausfall im Verlauf sorgen dafür vor allem die sehr feinen Highlights in Form des Titestücks, Lean, I Will Steel You Back, How’d You Have Me und dem flotten No, Never – die man so allesamt nicht mehr in der Riege der persönlichen Jimmy Eat World-Lieblingssongs missen möchte.
Dass die Band hier anhand ihres kürzesten Albums auch die Vorzüge einer kompakten Laufzeit nützt und so den kurzweiligen Unterhaltungswert des Materials betont, kommt Damage ebenso entgegen wie der angenehm unaufregende, organische, warm und leichtgängig atmende Sound, den Alain Johannes der Band verpasst hat: dass das Quartett (im Gegensatz zu den beiden Vorgängern, die beide zuhause in Arizona entstanden) für die Aufnahmen nach Los Angeles übersiedelt ist und sich im Haus der Desert-Rock-Institution Johannes eingenistet hat, machte sich bezahlt – auch, wenn sich eine gewisse unverbindliche Gefälligkeit in die ihre Perspektive nur leidlich, aber rundum versöhnlich angelegten Break-Up-Songs verschoben hat. Hier tut einfach nichts weh, im positiven wie negativen.
„I’m 37 and the world around me is a lot different than when I was writing break-up songs in my 20s. I tried to reflect that in what the lyrics are.“ sagt Adkins über ein neuerlich in Eigenregie finanziertes, in der Diskografie den wohl unscheinbaren Understatement-Platz einnehmendes Werk, das die Band schlußendlich für insgesamt drei Veröffentlichungen in den Hafen von Dine Alone Records führen sollte.
07. Surviving
Erscheinungsjahr: 2019
Produzent: Justin Meldal-Johnsen
Spieldauer: 36 Minuten
Review | Phoenix Sessions
„Are you alone like me?/ Alone but not lonely?/…/ First they’ll think you’re lost, but you’re not/…/ Love don’t come to you/ It just was there always“ endete das Vorgängeralbum Integrity Blues auf einer durchaus versöhnlichen Note. Und trotzdem muss da für alle Beteiligten das Gefühl gewesen sein, dass noch mehr gehen konnte – dass man gerade mit Justin Meldal-Johnsen (dessen wunderbar satter, basslastig kräftig-komprimierter Sound der Band ja auch so schon steht!) als kreativen Reibungspunkt noch nicht all-in gegangen war, die 2016 freigelegten Optionen keineswegs bereits ausgereizt waren.
Im zweiten Zusammentreffen mit dem Produzenten fassen sich die Parteien so zwar kürzer, doch sind die Amplituden noch markanter ausgefallen: es gibt diesmal ein cheesy 80s-Saxofon von Fitz And The Tantrums-Mann James King, Hair Metal- und Dance Rock-Würze, Davey Havok als Heaviness-Gaststar und mit dem 808er-R&B-Synthpop von 555 sogar den ungewöhnlichsten JEW-Song ever.
Darüber hinaus ist ist das ambitionierte Surviving für Integrity Blues zwar vielleicht stimmungstechnisch wirklich das, was das kompakte Bleed American für das atmosphärischere Clarity war – rockiger, unmittelbarer – doch würde dieser Vergleich dann eben schon auch merklich zu kurz greifen. Da kann der Abschied diesmal noch so unversöhnlich sein: „There’s no clarity in front of me/ Only degrees of hating.“
06. Static Prevails
Erscheinungsjahr: 1996
Produzent: Mark Trombino, Wes Kidd
Spieldauer: 51 Minuten
Nachdem Jimmy Eat World weniger durch ihr Debütalbum als durch einige nachfolgende Splits, vielversprechende Singles und vor allem überzeugende Konzerte auf sich aufmerksam gemacht haben, tritt Capitol Revords an das (weil Mitch Porter ausgestiegen war um Mormonen-Missionar zu werden und Rick Burch als neuer Bassist an Bord kam) neuformierte Quartett heran und nimmt es unter Vertrag: Mit Foo Fighters-Produzent Rob Schnapf soll man einen zweiten Langspieler aufnehmen. Allerdings setzt die Band ihren Willen durch und lässt sich (neben Wes Kidd) von dem ehemaligen Drive Like Jehu-Drummer Mark Trombino (co-)betreuen, was sich auf lange Sicht als absoluter Glücksgriff entpuppen wird.
Derweil haben Jimmy Eat World ihren Sound aber noch nicht gefunden, orientieren sich am Post Hardcore und Emo von Vorbildern wie Christie Front Drive, Sunny Day Real Estate, Sense Field oder Texas is the Reason und probieren sich im erweiterten Spektrum (und weitestgehend brüderlich zwischen Adkins und Linton aufgeteilten Lead-Vocals) sogar zum Einstieg kurz im Screamo aus, bevor das griffige Rockstar sich redlich abmüht ein Hit sein zu können.
Die Symbiose aus Melodie und Härte funktioniert nach der Eingangsphase des Albums aber durchaus, zeigt ab dem bezaubernd weichkantigen Claire oder dem heimlichen Klassiker Call It in the Air wohin die Reise einmal gehen wird, gerade wenn Anderson Mesa Streicher integriert und ein cinematographisches Panorama andeutet, Jimmy Eat World zudem bereits eine Instrumentenvielfalt und die Kraft effektiver Arrangements für sich entdecken. Die Bandbreite von flott und straight (Call it in the Air) bis leise und zurückhaltend (Episode IV) ist also da – und Seventeen bringt der Gruppe gar ein Treffen mit Drew Barrymore ein. Mag der Feinschliff bei diesem oft zu unausgegorenen Rohdiamanten also noch fehlen – das immense Potential von Jimmy Eat World wird hier beinahe ständig überdeutlich.
05. Integrity Blues
Erscheinungsjahr: 2016
Produzent: Justin Meldal-Johnsen
Spieldauer: 47 Minuten
Review
Nachdem sich Jimmy Eat World 2015 eine Pause verordnet hatten (die Adkins für Solo-Shows und eine Handvoll Singles nutzte, derweil Burch eine Destillerie eröffnete, Lind mit seiner Gattin zwei EPs als Wretched Desert veröffentlichte und Linton zu boxen begann) war man bereit Veränderungen zuzulassen, denn der Integrity Blues bedeutet: „Throwing away your default responses to life, accept life on the terms of life and becoming willing to accept the best any of us have is to be in a state of progress.“
Der Mann, um Jimmy Eat World aus der Komfortzone zu holen, war Justin Meldal-Johnsen (den man als Bassist, Songwriter, Produzent oder Art Director von seinen Arbeiten mit Nine Inch Nails, Beck, St. Vincent, M83 oder Paramore kennen kann), seines Zeichens ein Liebhaber des prägenden Keyboard-Einsatzes und verantwortlich dafür, dass Integrity Blues von einem steten Synth-Sound (mal deutlicher, mal subversiver) transportiert wird und den Trademarks der Band durchaus aufregende Möglichkeiten auftat – wie mit It Matters sogar erstmals einen Song aufzunehmen, der komplett ohne Gitarren auskommt, derweil Pass the Baby praktisch eine progressive Suite aus drei assimilierten Segmenten ist, während es sich die Single Get Right exemplarisch nicht zu einfach macht und eine latent malmende Härte schimmern lässt.
Gravierender aber ist der grandiose Rahmen der Platte, der schon über das eröffnende Doppel You With Me und Sure and Certain alle Zweifel beseitigt, dass die Band die Schwächephase ihrer Karriere noch nicht überwunden haben könnte, derweil am anderen Ende The End is Beautiful und Through den Herzschmerz nach dem polternden You Are Free erst kitschig balsamieren und dann anpacken, bevor der Titelsong als Ouvertüre den mit orchestraler Weite und „Nanana“-Abgang inszenierten Ausklang von Pol Rogers einleitet. Das endgültige Comeback einer bandgewordenen Herzensangelegenheit.
04. Chase This Light
Erscheinungsjahr: 2007
Produzent: Chris Testa
Spieldauer: 40 Minuten
Soll ein Großteil der Fanbase – und sogar Tom Linton, der dem Mix von Chris Lorde-Alge rückblickend attestierte doch ein wenig über das Ziel hinausgeschossen zu sein – das Gegenteil behaupten, aber: ein noch opulenteres Gewand steht Jimmy Eat World einfach, wie sie auf Chase This Light beweisen. Auf dem fünften Studioalbum kehrt die Band den oft pessimistischen Alternative Rock von Futures ins absolut optimistische um, hellt in manchmal nahezu penetrant auf und gestaltet ihn so bunt wie das Cover ein für allemal massentauglich. Ganz so, als hätte der Vorgänger nicht Clarity als atmosphärische Prägung gehabt, sondern den leichtfüßigen Pop von Bleed American, inszeniert Chris Testa (mit Butch Vig als hin und wieder seine Meinung durchfunkenden Consultant) die Band leichter und größer, beschwingter (alleine das Be Sensible aus der regulären Trackliste genommen wird, um die flotte Dynamik der Platte nicht mit mehr als einem weniger zügigen Songs auszubremsen spricht Bände) und einladender, eigentlich sogar ziemlich barrierefrei als zweitbeste Option des Quartetts für den Sommer.
Und so ist es zwar sicher nachvollziehbar, wenn beispielsweise alleine ein Here it Goes mit seinen animierenden „Hey! Hey!s, „Uhuhuuuuuuu“s, Streichern und Harmonien exemplarisch für die generelle Ausrichtung stehend so leicht übersättigen kann – aber von der fast vor Energie platzenden Eröffnungs-Song-Hymne Big Casino (ein Fixplatz auf der ersten Greatest Hits-Compilation ist der Nummer sicher!) weg ist die Platte in ihrer positiven Aufbruchstimmung hin zu den Sweetness-Arenen von den Killers kaum zu stoppen, alles tänzelt im Upbeat ziemlich happy dem hoffnungsstrahlenden Horizont entgegen, zelebriert in der Schere aus inhaltlicher Melancholie und stilistischen Endorphinen das Momentum, notfalls eben auch mit bombastisch das Cinemascope suchenden sinfonischen Zuckergüssen und motivierten Ausblicken auf den Fernsehgarten-Dancefloor. Eine qualitativ auf konstantem Niveau verdammt unterhaltsame Polarisierung.
03. Bleed American
Erscheinungsjahr: 2001
Produzent: Mark Trombino
Spieldauer: 46 Minuten
Spätestens nachdem die Band den Vertrieb ihrer Musik zumindest aus globaler Sicht ohnedies bereits zu einem Gutteil selbst in die Hand genommen hatte, kam der Bruch mit Capital ein halbes Jahr nach dem Release von Clarity nicht unerwartet und Jimmy Eat World wussten, wie sie darauf reagieren wollten: indem sie die Entstehung ihrer nächsten Platte selbst finanzierten – durch Touren, Gelegenheitsjobs oder Single-Compilations – und sie erst nach der Fertigstellung zahlreichen Labels anboten. Den Zuschlag sollte letztendlich DreamWorks bekommen.
Bis es soweit kommen würde, arbeitete Trombino aber außerdem erst einmal umsonst und wollte erst bezahlt werden, wenn das vierte JEW-Albun ein Erfolg geworden war – und davon ging er Angesicht des Materials, das er zu hören bekam, mit absoluter Zuversicht aus. Weswegen er die Band auch überredete Demos bei Napster hochzuladen, um den Hype anzuheizen.
Keine schlechte Idee – wie alles an einem Album, das höchstens mit seinem Titel am heimischen Markt angesichts der Terroranschläge nicht das Momentum auf seiner Seite hatte (und in Nordamerika deswegen viele Jahre als weiteres selbstbetitelten Album firmierte), sonst aber wie ein praktisch alles richtig machender Katalysator für die Karriere von Jimmy Eat World funktionierte.
Zugänglicher, power-poppiger, direkter und simpler gestrickt ist es aber eigentlich auch geradezu absurd was für eine bis heute kaum abgenutzte Stafette an Hits dem Quartett hier rund um die Aushängeschilder The Middle, dem fetten Titelsong-Riffrocker und der stadiontauglichen Hymne The Sweetness gelungen ist – da hatte im Sommer 2001 sogar das grüne Album das Nachsehen. Ruhige Passagen (wie das behutsam tänzelnde Akustik-Stück Your House oder die mit orchestralen Tendenzen und weiblichen Vocals ausgestattete Ballade Hear You Me) bleiben im Hintergrund, während Instant-Ohrwürmer wie (das mit Davey von Bohlen-Krönung auftrumpfende – und später mit dem verträumt-harmonischen Cautioners insgeheim recycelte) A Praise Chorus, If You Don’t, Don’t oder (das aus dem Klang-Experiment mit Killer-Chorus, Pop-Punk-Schwung und Hardrock-Bridge aufplatzende) Get it Faster das Bild einer (im letzten Viertel doch spürbar nachlassenden) Platte prägen, die seit zwei Dekaden nicht aus dem Schädel will.
02. Futures
Erscheinungsjahr: 2004
Produzent: Gil Norton
Spieldauer: 50 Minuten
Phoenix Sessions
Nach der erschöpfend langen Tour zum immens erfolgreichen Bleed American erwies sich die Rückkehr zum Studio-Geschehen erstmal als schwierig – und die neuerlich anvisierte Zusammenarbeit mit ihrem Kumpel Mark Trombino zudem als wenig fruchtbar: Bei den Demo-Sessions war man in einer kreativen Sackgasse angekommen, weswegen die Band getrennte Wege von ihrem bisherigen Haus-und-Hof-Produzenten ging und direkt in die Arme von Gil Norton weiterwanderte, von dessen bisherigen prominenten Arbeiten einige Gefallen im Lager von Adkins und Co. fanden.
Tatsächlich ist der Einfluss des Engländers gravierend auf Futures: Näher am arenatauglichen Alternative Rock waren Jimmy Eat World nie zuvor, gleichzeitig legt man mehr Wert auf eine geschlossene – hier erstaunlich düstere! – Atmosphäre und ermöglicht Tom Linton auch seinen innigen Wunsch mehr Solos und komplexere Gitarrenfiguren in das Songwriting zu implementieren: alleine wie heavy und hymnisch sich die Saiten schon im Titelsong-Opener hochschrauben!
Vor allem in der ersten Hälfte läuft die Band so zu einer beeindruckend dicht konzipierten Hochform auf – mit einem knackig bis auf den Dancefloor dampfenden Just Tonight; den Hits The World You Love oder Pain; der beschwörenden Romantik von Work mit Liz Phair-Gastspiel; und vor allem natürlich dem von seinen Akustik-Ursprüngen in die Sehnsucht gesteigerten Übersong Kill, in dem eine Szene schöner ist als die vorherige!
Genau genommen erlebt Futures (nach dem etwas zu kitschigen Drugs or Me zwar bis zu U2, dem Hardrock und verträumten Schwelgereien reichenden Facetten) dann sogar mehr noch als die Songsammlung Bleed American das Schicksal, dass die Eingangsphase der Platte den Rest ein klein wenig überschatten – zumal die meisten B-Seiten der Platte wie schon das als Pain-Part 2 daherkommende When I Want (ganz zu schweigen von brillanten Stay on My Side-Nachsatz im kommenden Jahr) sogar schwerer hätten wiegen können, als das nichtsdestotrotz starke reguläre Albummaterial. Doch dann packen Jimmy Eat World mit dem majestätischen 23 einen Song aus, in dem sich die Gitarren, Keyboards und Chöre mit schier magischer Emotionalität in den Himmel strecken. Ein Finale für die Ewigkeit!
01. Clarity
Erscheinungsjahr: 1999
Produzent: Mark Trombino
Spieldauer: 64 Minuten
Phoenix Sessions
Capitol Records lässt Jimmy Eat World und Trombino für die Arbeiten an Clarity erst komplett freie Hand – das Label befindet sich im Umbruch, hat nach dem für die neu am Ruder befindlichen Manager enttäuschenden Achtungserfolg Static Prevails aber auch einfach gar kein Interesse mehr an der Band – und wird den Vierer sechs Monate nach Erscheinen ihres Drittwerks auch gleich aus dem Vertrag kicken. Bis dahin legt Capitol die Platte nur in USA auf und druckst auch sonst mit der Veröffentlichung herum. Dabei hat sich rund um die in Ungeküsst verwendete Single Lucky Denver Mint schon ein kleiner (inter)nationaler Hype entwickelt. Weswegen JEW kurzerhand größere Mengen an den CDs selber kaufen und nach Europa verschicken – was sich besonders für den begierigen deutschen Markt als grandiose Idee samt anschließender Spontan-Tour erweist.
Eine wohl noch wichtigere und aus künstlerischer Sicht bessere Entscheidung ist davor bereits, dass Adkins nun praktisch alleine für die Leadvocals zuständig ist und man (angesichts der Aussichten hier ohnedies das letzte Album der Band für Capitol aufzunehmen) alle Scheuklappen abwirft.
Das übrig gebliebene Material eines Softrock-Nebenprojekt lässt die Bandbreite sowieso bereits wachsen während neue Songs live bereits großes verheißen, dazu nutzt man die Freiheiten jenseits des Studiointeresses für Experimente und schreckt insofern selbe vor einem 16 minütigen Closer nicht zurück, der als wohltuend meditative Postrock-Kontemplation in den Himmel ragt.
Clarity beginnt knapp eine Stunde davor derweil mit Table for Glasses, einer langsam und orchestral erwachenden Anmut, um so viele Szene-Klassiker aufzubieten, von denen eigentlich nur der knackiger Rocker Crush oder das von Lipton gesungene, triumphale Blister annähernd auf dem Vorgänger möglich gewesen wären. Lucky Denver Mint mit seinen verspult gedoppelten Schlagzeugspuren etwa oder Believe in What You Want, das seine Poppunk-Basis auf links dreht um romantisch zu schwelgen. A Sunday bimmelt ebenso bittersüß wie kompakt und kraftvoll zurückgelehnt ohne Sentimentalitäten und addiert elektronische, sinfonische sowie orgelnde Facetten, derweil 12/23795 den Indietronic-Minimalismus pflegt, Just Watch the Fireworks traumhaft malerisch angelegt ist und For Me This Heaven sowieso einer der schönsten Songs aller Zeiten – stellvertretend für den grandiosen Drum-Sounds der Platte stehend ist es schlichtweg atemberaubend, wie der stacksende Rhythmus die Gitarren miteinander flirten lässt, damit sie in absoluter Gänsehaut zu einem bezaubernden Piano-Motiv finden.
Das makellose Sequencing sorgt dann für die Krönung und macht aus all diesen zeitlosen Einzelsongs ein prägendes Meisterwerk.
Photo Credit: Mitchell Wojcik.
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