Floating Points, Pharoah Sanders & The London Symphony Orchestra – Promises

by on 5. April 2021 in Album

Floating Points, Pharoah Sanders & The London Symphony Orchestra – Promises

Minimalistische Elektronik und kammermusikalische Arrangements für spirituelle Jazz-Welten: Promises, das Zusammentreffen von Floating Points, Pharoah Sanders und dem London Symphony Orchestra ist eine meditative Synergie von transzendentaler Berieselung.

Dass ausgerechnet Elektro-Bastler Sam Sheperd alias Floating Points Jazz-Legende Pharoah Sanders nach über einer Dekade Studio-Abstinenz aus dem Exil zurückholen und für ein gemeinsames Kollaborationswerk begeistern würde, damit war zwar wohl trotz abenteuerlustiger Expeditionen in der Vergangenheit nicht unbedingt zu rechnen. Aber seit der 80 Jährige Tenor-Saxofonist das Floating Points-Debüt Elaenia gehört hatte, war er nun einmal Fan des Mannes aus Manchester – eine eine Zusammenarbeit stand schnell zur Option, die Chemie passte auch einfach.
Dass es nun doch etwas länger gedauert hat, bis mit Promises das Zeugnis der gegenseitigen Wertschätzung vollendet war, spielt da eigentlich keine Rolle und ist irgendwo nur stimmig: Die 47  Minuten der Platte existieren in ihrem eigenen Wahrnehmungs-Gefüge, sind perfekt ausgewogen, wenn Shepert auf Synthesiser, Piano und Cembalo konzentriert die repetitive, verträumte Grundlage der Platte als durchgehende Komposition, als gemächliche Suite über neun Segmente, programmiert; wenn das London Symphony Orchestra Violinen und Violas, Cellos und Bassgeigen sphärische Akzente setzend sporadisch begleitet; und wenn Sanders mit dieser Klangwelt unendlich ausgewogen, voller Understatement kommuniziert: vielleicht ist es sogar der beeindruckendste Aspekt von Promises, dass jeder Part, jedes Element, ein perfektes Gespür dafür zeigt, wann er sich zurücknehmen und den anderen Elementen Raum zur Entfaltung geben muß, und wann ein idealer Zeitpunkt für ein individualistischeres Aufzeigen gegeben ist.

Movement I installiert friedvoll ein seltsam vertrautes Motiv, es wird zyklisch fließend wiederholt, kaum variiert, aber doch soweit, das in den Facetten subversiv fesselnde Nuancen auszumachen sind. Bald gesellt sich Sanders Saxofon dazu, wandert wie durch eine sanfte Nacht, nachdenklich, erinnert gar an Bohren & der Club of Gore.
Das Orchester glimmert wie die Ahnung eines Scores im Hintergrund, womit Part II eine wehmütige Romantik und stille Sehnsucht erzeugt, die in Teil III schwerelos durch die Welten dieses Zusammentreffens gleitet. Ein retrofuturistischer Synthie taucht wie alles hier unendlich subversiv auf, arbeitet in wundervoller Trance als Teil des Ganzen, lässt sich in Movement IV gar von einer lautmalerischen Verspieltheit angedeuteter Vocals begleiten.
In Teilstück V kehrt Sanders an sein Saxofon zurück (wann ist dieses eigentlich vorübergehend verschwunden? Man kann es kaum sagen in diesem der Wahrnehmung einlullenden Wesen eines ständig mutierenden Organismus!), flaniert, weckt Synthies flächig auf, die sich ein bisschen gehen lassen, sich entschleunigen, bis VI so reduziert und zurückgenommen bis kurz vor den Stillstand seine Transparenz forciert.
Die Gemeinschaft tastet sich unendlich geduldig durch orchestrale, cinematographische Streicherwelten. Der Leitmotiv-Loop klingt teilweise wie eine erleichternde Kadenz zu den Streichern, eine perfekte Symbiose, irgendwo zwischen Bond-Sehnsucht, dem Betreten fantastischer exotischer Welten, sowie dem neugierigen Erforschen einer unstillbaren Fernsucht, märchenhaft und körperlos, neugierig und verspielt. Wie eine Ghibli-Komposition von Joe Hisaishi schwillt der Part immer weiter an, lässt sein Crescendo aber gedankenverloren durch die Finger rinnen und bestärkt so den niemals greifbaren Charakter der Platte.

Im Movement VII holt das Basis-Thema ab und nach Hause, fängt ein, lenkt das grieselige Scheinwerferlicht auf Sanders, der mit samtener Grandezza und purer Nahbarkeit der Melancholie frönt, wie Darkjazz in einem Paralleluniversum – nicht avantgardistisch auf Konfrontationskurs gehend, sondern schmeichelnd und elegant die Harmonien an der langen Leine ausführend. Doch das Kollektiv beginnt nach Reibung zu suchen.
Während die halluzinogenen Welten von Floating Points selbst wachsen, den Hintergrund füllen, ohne ihn lange Zeit wirklich dominant einzunehmen, verschwimmen die Grenzen, wenn das digitale Lavalampen-Trance an die Grenze von Gang Gang Dance zum abseitigen Drone verdichtet wird. Das Spektrum der elektronischen Musik wird erstmals abstrakt in den Mittelpunkt gerückt, Sanders fällt irgendwann aufgekratzt und doch aufgewühlt mit in das funkelnde Kaleidoskop ein, die Szenerie ist vergleichsweise rau schraffiert – und trägt damit paradoxerweise zur Beruhigung vor dem finalen Höhepunkt bei. VIII scheint auf so vielen Ebenen zu sinnieren, wiederholt das stille Muster der Platte und schweift in den hintersten Lagen der Produktion, in den Details, doch improvisierend aus, findet einen immer weiter entgleitenden Ausklang, einen sakralen Orgel-Teppich, weich und warm und soulig, der in die Stille entlässt. Das abschließende Movement IX ist dann nach dem Crescendo, der Katharsis, noch ein letztes, verhaltenes Aufbäumen als nicht restlos essentieller Epilog – jedoch ein runder Appendix für ein Gesamtwerk, das in den jeweiligen Diskografien eine absolute Relevanz, vielleicht sogar trotz der latent unverbindlichen, auch flüchtig mäandern könnenden Easy Listening-Attitüde eine zeitlos-ikonische Tragweite reklamiert.

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