Fleshwater – We’re Not Here To Be Loved
We’re Not Here to Be Loved behaupten Fleshwater kokett kalkulierend, wissen hinter dem plakativ aus den 90ern geholten Artwork ganz genau: Man kann dieses so frontal über die Nostalgieschiene abholende Debütalbum kaum nicht unmittelbar ins Herz schließen.
Dass Vein.fm ihre Nu-Metal-Ader und die rund um den Milleniumswechsel geborgten Tendenzen ihres Sounds zuletzt für This World Is Going To Ruin You doch markant zurückgeschraubt haben, liegt womöglich auch daran, dass Fleshwater als kreative Projektionsfläche alle daherkommende Inspiration womöglich ja gänzlich für sich reklamieren. Immerhin verankern Anthony DiDio (vocals, guitar), Matt Wood (drums), Jeremy Martin (bass) und Marisa Sharir alias Mirsy (vocals, guitar) ihre nicht als Nebenprojekt gelten wollende Band vom Sound bis zur Ästhetik derart dezidiert in der Ära der auslaufenden 1990er, und tragen in allgegenwärtigen Deftones-Assoziationen ihre klarste Referenz vielleicht sogar mehr auf dem Silbertablett vor sich her, noch als auf der 2020er Demo.
Nachzuhören idealerweise bei Linda Clair, der als einziger Song von der (ursprünglichen Version der) EP übernommen wurde und nun mit zusätzlicher Masse und Nachdruck vertreten ist – aber auch das nicht mehr aus dem Schädel wollende Björk-Cover Enjoy kann nun absolut homogen im stimmigen Kontext aufgehend zeigen, dass es in seinem Kontrast aus stoischer Härte und sphärischer Suche, epischer Heroik und lethargische Elegie, mehr ist, als ein Kassetten-Bonustrack.
Dass sich seit diesem begeisternden ersten Vorgeschmack inzwischen Kurt Ballou am Produzentenstuhl der Death.fm.radio-Crew niedergelassen hat, macht sich dadurch bemerkbar, dass Fleshwater nun fetter und kraftvoller klingen (wodurch leider aber auch einige charmante DIY-Charakterzüge verloren gegangen sind, das Quartett grundlegend ein wenig austauschbarer inszeniert wurde), und die weiblichen Vocals im dualen Gesang nun öfter gen Anthony Green und Circa Survive tendieren, an der grundlegenden Richtung aber nicht geändert wird: Das aus der Zeit gefallene We’re Not Here to Be Loved könnte aus der Vergangenheit einer alternativen Realität stammen, in der Chino Moreno und Co. gemeinsam mit Hum ein Slowdive-Album eingespielt haben, wo Alternative Metal, Post Hatdcore und Shoegaze ein nahtlos ineinander fließendes Spektrum teilen, und poppige Melodien, catchy Hooks und emotional-introspektive/ cheesy Lyrics mit aggressiven Kanten in verträumte Zuckerwatte mit Stacheldraht gewickelt werden.
Über gerade einmal 27 superkompakte, wie im fast zu reibungslos hastenden Rausch verfliegende Minuten reihen sich die Ohrwürmer jedenfalls mit einer barrierefreien Unmittelbarkeit aneinander und favorisieren (paradoxerweise?) das Momentum vor einer etwaig tiefenwirksamen Langzeitnachwirkung, wie gleich der (zwischen bittersüß flehender Melodik im Midtempo und beißender Heaviness mit hymnischer Ader die Schrauben stakkatohaft anziehende) Opener Baldpate Driver als MO etabliert. Closet taucht mit schmissig ausholender Geste aus dem sinistren Ambiente auf, die Backing-Vocals fauchen aggressiv, derweilen die letzten Meter der Nummer schon auf das tolle Sequencing vorbereiten: leere Meter kennt diese Band nicht!
The Razor’s Apple verschiebt das Narrativ hin zum poppunkig entwaffnenden Singalong, derweil das eilig getriebene Woohoo seine imaginativen Harmonien sogar mit manisch ballernden Blast-Attacken schraffiert und hinten raus die Dynamik atmosphärisch durchatmen lässt. Kiss the Ladder wirft sich die Strophen am saloppen Hardcore-dreampoppend gegenseitig zu und ist als exemplarischer Hit-Snack nach 77 Sekunden eben schon wieder vorbei, bevor die Dinge sich auch nur ansatzweise ziehen könnten. Wenn das Finale mit dem einfühlsameren (aber dennoch die relative Schwachstelle des ausfallfreien Katalogs bietenden) Backstairs Breathing und dem ausladenden, klar längsten Song Foreign (der sich fast theatralisch mit spitzen Zähnen in die Kurven legt, erst besonders giftig angreift und dann geduldig am Bass ausblutet) aufzeigt, dass Fleshwater durchaus für mehr Bandbreite und Tiefenwirkung sorgen hätten können, derweil der übergeordnete Spannungsbogen im Verlauf außerdem aus der Wahrnehmung wandert und ohne Epiphanie entlässt, dann steigert das zudem trotz allem doch eher die Vorfreude auf die anachronistische Zukunft der Band, als dass es den latent unverbindlichen Unterhaltungswert von We’re Not Here to Be Loved, schadet. Denn diese sehnsüchtige, effektive kleine Platte ungeachtet des Szene-Hypes darum herum für den Augenblick unkompliziert und hungriger Nostalgie-Freude zu genießen, tut jedenfalls im Hier und Jetzt mit den Gedanken im Gestern absolut nicht weh (und bekommt mit Welpenschutz auch die Aufrundung zwischen den Punkten in der Bewertung).
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