First Aid Kit – The Lion´s Roar
Dass die Geschwister Söderberg noch vor knapp drei Jahren Fleet Foxes Songs im Märchenwald geschrammelt haben, hört man ‚The Lion’s Roar‘ nur mehr rudimentär an. Viel deutlicher die Produktion aus Omaha und den Weg dorthin: ein beachtlicher Entwicklungsschritt.
Dem Zauber der zwei schwedischen Schwestern Johanna und Klara entkommt offenbar niemand: Nicht The Knife, die First Aid Kit vom Fleck weg unter Vertrag genommen haben. Nicht Jack White, der für Third Man Records gleich mal eine Single mit den beiden aufnehmen wollte. Nicht die Felice Brothers, die das Duo am liebsten sofort mit in den Tourbus gepackt hätten. Und auch nicht Saddle Creeks Produzentenwizard Mike Moogis – der sich First Aid Kit schlußendlich ins Studio geholt und vieles möglich gemacht hat, was schon auf ‚The Big Black & The Blue‚ stattfinden hätte sollen, aber eben – abgesehen von großartigen Songs – noch nicht konnte. Das Mehr an Möglichkeiten, das nutzen First Aid Kit nun für einen gewaltigen Entwicklungsschritt, ohne liebgewonnene Stärken über Bord werfen zu müssen.
Die aussortierte Kleidersammlung der Kelly Family steht dem zauberhaften Folk immer noch prächtig, wandert allerdings viel näher an die gute Seite des Country. Gillian Welch und Emmylou Harris lassen die zielorientierte, aus Papa Benkt am Bass und Verehrern aus den Reihen der Bright Eyes sowie Felice Brothers rekrutierte Backingband grüßen. Himmeln diese feingliedrigen, niemals zerbrechlichen Wald- und Wiesen Songs an. Bestaunen die wieder so unendlich sehnsüchtigen Harmonien, die mit unvergänglichem Melodieüberfluss und zutiefst bedrückenden Texten angerichtet werden wollen. Dass dann ausgerechnet das erhabene ‚Emmylou‚am geschicktesten am Nashville Kitsch vorbei schippert und die Pedal Steel dazu Tränen vorm Sonnenaufgang verdrückt, passt nur zu perfekt ins Bild. Und an die Spitze der Formatradiocharts eigentlich auch.
Noch schöner: die unfassbare Ballade ‚In the Hearts of Men‚, in der die Schwestern betörend über sanfte Pianotupfer fliegen und sich selbst choral umschmeicheln – vielleicht das beste, was das Genre seit Midlake´s ‚Acts of Men‚ ausgespuckt hat. Was die Söderbergs davor und danach, zwischen Joni Mitchell und Townes-Van-Zandt, zwischen Melotron und Flöten, zwischen Schönheit und Melancholie kreieren fällt dagegen nur unmerklich ab. Und dass die Schwestern im letzten Drittel doch noch ein wenig nachlassen – darf man ‚Dance to Another Tune‚ in diesem Kontext tatsächlich einen Ausfall nennen? – nicht wirklich ins Gewicht.
Die Eindimensionalität von ‚The Big Black & The Blue‚ umschiffen First Aid Kit auf ‚The Lion´s Roar‚. Selbst, wenn die beiden Schwestern weiterhin lieber in Schönheit zerfliesen, als sich an Spannung aufzureiben und sich ihren glockenklaren Refrains öfter hingeben, als es die Songs unbedingt nötig hätten. Doch die Dramatik, die entsteht auf ‚The Lion’s Roar‚ ohnedies anderswo – wenn Mike Moogis sanft aber bestimmt den 70er affinen Country herzerweichend schmelzen lässt und niederschmetternden Schmerz als hoffnungsvolle Romantik das Ruder immer wieder korrigiert. Und trotzdem: Das Lächeln im heiteren Xylophontänzler ‚Blue‚ trägt unbemerkt alle Last der Welt: „Then the only man you ever loved, he thought was going to marry you, died in a car accident when he was only twenty-two. Then you just decided love wasn’t for you. And every year since then has proved it to be true.“ Wenn in ‚King of the World‚ Bläser, Streicher und Conor Oberst zu Handclaps und stampfenden Rhytmen tanzen, traut man all der Erhabenheit nur noch bedingt: Hier tun sich in aller Schönheit Abgründe auf.
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