FIDLAR – Almost Free
Haben FIDLAR mit dem sprunghaften Almost Free womöglich jene Art hemmungslos über die Strenge schlagendes Over the Top-Potpourri aufgenommen, von dem auch Weezer in ihren unersättlichsten Momenten träumen sollten?
Zumindest hatte das Quartett aus dem sonnigen L.A. nach dem kaum nachhallenden Too wohl selbst keinen Bock mehr auf eine auf Nummer Sicher skatende Punk-Partyplatte. Also wurden die düsteren Themen rund um Abhängigkeiten und Co. inhaltlich konkretisiert und stilistisch alle Zurückhaltung für eine geradezu absurd übersteigerte Partyplatte jenseits aller Genre-Konventionen über Bord geworfen, an der sich auch die konditionell unbeirrbarste Basis kontrovers reiben darf.
Alles ist dafür erlaubt, die Grenzen zum guten Geschmack sind variable Frontlinien: „Each song was meticulously thought about. It was a bouncing back and forth between us and a producer over the course of a year and a half. Some of the songs, we had a beat and decided to add a bunch of shit to it, and that was the vibe. But there were moments that I never thought would’ve sounded how they do on the record. It’s just such a weird record for us, as a whole.“ erklärt Frontmann Zac Carper. „It’s our most diverse record, 100%, more so than Too, more so than our first record […] We have horns on this record, fucking trumpets and saxophones and trombones and shit; we went for it. We just completely fucking went for it. We tried to be true to ourselves and let the music come out naturally, without fear of how people would receive it.“
All das trifft zu, soviel macht schon der WTF?-Opener Get Off My Rock unmissverständlich klar. Der klingt nämlich, als hätten Run DMC für Tom Waits einen wuchtigen Blues zu schreiben versucht, der den aber als stampfenden Hillbilly-Hip Hip-Song für Bubba Sparxxx missverstanden, weil einfach zu viele feiernde, krähende, wiehernde Tiere aus dem Streichelzoo im Studio waren. Das darf man dann gleich als Härtetest verstehen, der die Bereitschaft des Hörers für das polarisierende Überschreiten jeglicher Manieren auslotet.
Dabei funktioniert das folgende, bisweilen wahnwitziges Hit or Miss-Schaulaufen von Almost Free, in dem sich FIDLAR zwischen allen Stühlen Party machend austoben, ohne Wohlfühlzone mit klarer Linie, als homogener Clusterfuck.
Der grandiose Smasher Can’t You See hat mit seinen schrammelnden Gitarren was von einem der Indierock-Hits der Jahrtausendwende, der sich direkt in die 60er gebeamt hat. In By Myself kippt eine akustische Lagerfeuernummer zu einem aufgedreht und betont lässig seine Catchyness ausspielenden Discokandidat mit einer Perkussion-Session, als wäre die Band im Karneval, wie es die Fratellis willkommen heißen würden – Flake beginnt sogar gleich wie einer deren simpler Vertreter für Stadionkurve, ist Musik für zackig-jugendlichen Commercials samt White Stripes-Solo. Zu diesem Zeitpunkt fesselt Almost Free die Aufmerksamkeit primär noch problemlos während des aktiven Hörens, nachhaltig bleibt aber nur wenig über – womit auch das grundlegende Problem der zum einen Ohr im besten Fall enthusiastisch hineingehenden, zum anderen egal entfleuchenden Platte etabliert ist: FIDLAR-Songs bleiben ein bisschen zu sehr vergessenwert, haben nun aber zumindest ästhetisch hängen bleibendere Konturen.
Ganz egal, ob FIDLAR also ihren Punkrock asozial Richtung Garage rumoren lassen (Alcohol), die Hives mit Fanfaren, aber ohne Energie viel zu kraftlos schlendernd imitieren (Scam Likely), Kid Rock-Baukästen anreißen (Nuke) oder beim versöhnlichen 90er-Grunge landen (Good Times Are Over): Zumindest die eklektische Attitüde bleibt nun hängen.
Auch ist die kaleidospkopartige Bandbreite von Almost Free dabei stets so sehr faszinierend hungriger Wachstumsschub, wie er auch unentschlossen zu wenig Konsequenz zeigende Zerissenheit ablichtet. Wo der Titelsong nicht mehr als eine instrumentale Skizze darstellt, deren bluesiges Riff ein Oceans Eleven-Bläsersolo als laue Pointe bekommt, schickt sich das eingängige Called You Twice durchaus bezaubernd an, als romantisches Duett (mit K.Flay) in den Stadionhimmel zu strahlen – auch wenn FIDLAR die schöne Melodie eher als College-Bagatelle, denn als hymnischen Epos vom Stapel lassen, das Finale zu erschöpfend hinausgezögert wird.
Und während Too Real eine flippige Annäherung an Trip Hop aus der Perspektive von Kasabian probiert, spielt Kick den minimalistischen Postpunk-Country mit toller Hook im Refrain abgründig versifft leger aus. Thought. Mouth. will dann als zerschossene Karambolage aus zahlreichen Stilen und Ideen, die nur von einem kraftvollen Alternative Rock-Refrain zusammengehalten werden, ein bisschen von alledem – ohne aber ohne ein schlüssiges Ganzes zu ergeben. Unüberlegte Spritzigkeit ist hier eben Mittel zum Zweck, das ständige Zuviel mit Nicht-Genug einfach elementare Bestandteil der tongewordenen Diskrepanz Almost Free. Hate it or love it, bleiben werden jedoch Einzelsongs.
Letztendlich ist Almost Free deswegen ein Sammelsurium-Album geworden, deren eigentlich ziemlich gewitzter Titel (kein Three, aber fast – ha! Und dann auch noch eine gute Charakterisierung für die ungebundene, jedoch erkennbar verwurzelte Stilvielfalt der versammelten 42 Minuten!) stellvertretend für die inhaltlich zu findende seriöse Substanz steht, die man in den Texten von Carper mittlerweile finden will, auch wenn die betont überdrehten, fast schon klamaukartig übersteigerten musikalischen Gesten den seriös gemeinten Inhalt zu oft konterkariert und untergräbt.
Wo Almost Free auch als Prozess des Erwachsenwerdens angekündigt wurde, ist es eigentlich mehr noch ein ADHS-Austicker in eine frühkindlich-naive, auch willkürliche Maßlosigkeit, derer Unbeständigkeit man verdammt schnell überdrüssig werden kann. Ein bisschen so, als würde man Spring Breakers ausnahmslos schauen, um den Film als Gesellschaftssatire zu verstehen. Das macht Almost Free dennoch nicht zu weniger als einer kurzweiligen Fun-Platte für das Momentum, in der man eher einen infektiösen Unterhaltunswert ohne große Halbwertszeit, als tatsächlich emotional mitnehmende Reibungspunkte finden wird. Das ist eigentlich doch mehr – vor allem: mehr Ambition! – als man den mit grundlegend überschaubarer Tiefgründigkeit agierenden Jungspunden (noch) zutraute.
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