Feist – Pleasure
Pleasure ist mehr, als nur ein in der Tradition von PJ Harvey inszenierter Abgesang auf eine angestammte Niedlichkeit: Leslie Feist zieht ihren Songs vielmehr das Fell über die Ohren, bis nur noch tief berührende Skelette übrig bleiben.
Auf ihrem fünften Studioalbum – dem ersten seit Metals vor knapp sechs Jahren – macht es sich die Kanadierin nicht einfach und entfernt sich aus der wohligen Komfortzone ihrer bisherigen Discografie. Pleasure ist kein Vergnügen, sondern eine Erforschung emotionaler Limitierungen: „Loneliness, private ritual, secrets, shame, mounting pressures, disconnect, tenderness, rejection, care – and the lack thereof„.
Das sind die Themen dieser elf Songs, in denen sich Feist zumeist nach Dingen streckt und sehnt, die ihr fehlen: „Wasting so many hours away/ So many ways to waste a day/ In this same city I hope you’re not/ Cuz the town has shrunk to the size of my thoughts/…/ Because how could I live if you’re still alive?/I wish I didn’t miss you“ oder „I’m not making this up / It got hard for me to believe in true love“ singt die 41 Jährige, wiederholt Passagen immer wieder mantraartig, während sich die liebeskranken 54 Minuten von Pleasure auch stilistisch konsequent über Entbehrungen artikulieren.
Die Kompositionen geben sich entlang einer minimalistischen Instrumentierung (phasenweise gar im augenscheinlichen Democharakter) ausgemergelt und karg inszeniert, suchen den Blues im Folk, ganz nah am Kern des Songwritings, umtänzeln eine spartanische Schönheit mit archaischen Mitteln und charmanter Reduktion im vollen Klangraum. Die gespenstische und unheilvolle Atmosphäre köchelt subtil, unterschwellig, der Sound der herrlichen Produktion (Kudos an Feist und ihre Buddies Mocky und Renaud LeTang) ist organisch, reichhaltig und substanziell, als stünde man direkt im Bannkreis der Musikerin.
Feists Stimme ist über die langsam auftauende Eröffnungsphase, den anschwellenden Mittelteil und das versöhnlicher streichelnde Finale der Platte oftmals das einzig wärmende Element über einer demonstrativ rauschenden Abgründigkeit – doch sie klingt entlang dieser überraschend ungemütlich und sperrig auftretender Gebilde verletzlicher und intimer denn je. Aber niedlich?
Im Titelsong singt Feist eher zauberhaft über den kantiger Grundriss eines leergeräumten Rocksongs, der alleine auf eine giftige Gitarre und eine nihilistisch stampfende Bassdrum baut, irgendwo zwischen PJ Harvey, ihren Kumpel Mick und Scout Niblett. Versöhnliche Harmonien umwehen das Knochengerüst vage, bis am Ende mit Handclaps sogar eine Ahnung einer gelösten Stimmung auftritt.
Durch I Wish I Didn’t Miss You spukt eine einsam geklampfte Gitarre über viel Hall durch ein psychedelisches Klagelied, während Get Not High, Get Not Low eine liebenswerte Nahbarkeit mit verspielter Akustischer und ruhiger Percussion als ätherische Beschwörung wiegt. Lost Dreams wiederum ist eine pulsierende Lauerstellung mit verhalten kakophonischen Tendenzen, die sich doch in traumhafter Anmut auflöst, langsam aber sicher die Dynamik der Platte ankurbelt.
Die Momente der auflodernden Euphorie, Enthusiasmus oder gar offenkundiger Fröhlichkeit, sie sind weitestgehend aus dem rauen Spektrum verschwunden, kaschieren sich zumindest klar in der gedrückten Stimmung. Lodert diese mit Fortdauer des Albums nach und nach doch noch auf, lässt die das Herz freilich nur umso höher schlagen.
Any Party („You know I’d leave any party for you/ ‚Cause no party’s so sweet as a party of two„) hat etwa ohnedies starke Konturen, poltert regelrecht kräftig und holt sich für seinen Höhepunkt gleich einen liebestrunken-ungewaschenen Bar-Chor mit an Bord – bis Feist das schunkelnde Gelage tatsächlich alleine in die einsame Nacht verlässt und Pleasure aus dem Fenster eines vorbeitreibenden Autos erklingt.
Das folgende A Man is Not a Song („A man is not his song/ A song is a promise/ If a man is just his song/ Then the song is beyond„) umkreist daraufhin gedankenverloren die fernen Lichter der Choir! Choir! Choir!-Gemeinschaft („A man is not his song/ Though we all wanna sing along/ We’ve all heard those old melodies/ Like they’re singing right to me/ More than a melody’s needed„), tritt immer näher an ein schummriges Licht und ist eine gefühlvolle kleine Zärtlichkeit, bei der sich letztendlich doch noch einmal alle für einen kurzen Moment in den Armen liegen, bevor die ätherisch flirrende Feenhaftigkeit hinten raus eine Feistodon-Referenz mit Mastodons High Road schrammt: Die Perspektiven der Leslie Feist hat sich genau genommen eben schon rund um Metals zu verschieben begonnen.
Dennoch wird spätestens hier klar, dass Pleasures keine Platte der Entfremdung und Isolation ist, sondern eine der gemächlichen Annäherung. Die mit Synthies flimmernde Seemanskiste The Wind lädt Colin Stetson und seine Bläserkünste ein, das sehnig-eruptiv pochende Century bietet Zauberstimme Jarvis Cocker eine Kanzel zur charismatischen Rezitation.
Und ganz am Ende schmeicheln zarte Miniaturen wie Baby Be Simple, der verschmusten Roadhouse Club-Blues I’m Not Running Away oder die gar nicht so weit von ihrer herzigen Frühphase übersetzt schwofende Orgel-Jazzschlagzeug-Nachtigall Young Up als kleine Trostpflaster, nehmen einen so unheimlich fürsorglich in den Arm.
Das kann in seiner hinterrückt entfalteten Subtilität zumindest auf den Erstkontakt hin dank einer vergleichsweise spröden Ausrichtung zwar nichtsdestotrotz irritieren, entlohnt letztendlich aber mit dem bisher nachhaltigsten Album der Leslie Feist. Pleasures lässt seine Emotionen vielschichtig und tiefgründig wachsen, entfaltet seine wüste Eleganz gerade in den dunklen Stunden und ist eine mysteriöse, fesselnde, spannungsgeladene und ungebundende Odyssee hin zu Erkenntnissen, die das Phrasenschwein quicken lassen: Die liebliche Chanteuse aus der Sesamstrasse ist erwachsen geworden, hat die Erwartungshaltungen mit ihrer bisher reifsten Platte untertaucht: „I’m not running away/ Water is running like I stay/ Constant growing up.„
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