Father John Misty – Pure Comedy

von am 19. April 2017 in Album

Father John Misty – Pure Comedy

Pure Comedy beobachtet akribisch, wie sich die Menschheit ihrem Untergang entgegenamüsiert – und ist darüber hinaus der über auslaugende 74 Minuten dauernde, wohltemperiert-elaborierte Moment, in dem Josh Tillman seine Rolle als Abziehbild-Hipster Father John Misty wunderbarerweise endgültig zu Kopfe steigt.

The comedy of man starts like this/ Our brains are way too big for our mothers‘ hips/ And so Nature, she divines this alternative/ We emerged half-formed and hope that whoever greets us on the other end/ Is kind enough to fill us in/And, babies, that’s pretty much how it’s been ever since“ sinniert Tillmans nunmehr mit Pornobalken flanierendes Alter Ego gleich zu Beginn des eröffnenden Titelsongs und initiiert die so bissige und vor Zynismus strotzende Litanei, auf der sich das dritte Father John Misty-Studioalbum zu versöhnlichen Klängen auskotzt.
Die Menschheit entlarvt sich als das Elend der Welt, das Miteinander als Absurdität, die moderne Gesellschaft als konsumgesteuerter Folterkeller. „The only thing that seems to make them feel alive is the struggle to survive/ But the only thing that they request is something to numb the pain with/Until there’s nothing human left“ analysiert Tillman, phasenweise eher fasziniert und abgekämpft traurig, als tatsächlich misanthropisch. Weswegen das Conclusio tatsächlich nur bittersüß mit einem lachenden und einem weinenden Auge entlassen kann: „I hate to say it, but each other’s all we got„.

Jesus, you didn’t leave a whole lot for me/ If this isn’t hell already then tell me what the hell is?“ wird der Tod auf seinem Pale Horse im späteren Verlauf zu sanften Pianotönen fragen, nachdem er sich mit der süffisant jubilierenden Menschheit („And we say it’s just human, human nature!„) konfrontiert sieht: Die Welt feiert am Abgrund und ist dem Wahnsinn verfallen, den man nur halbwegs erträgt, wenn man die Komik in all der Tragik findet. Eine Erkenntnis, die Pure Comedy konzeptionell aufrollt, anhand unzähliger Episoden exerzieren wird und seine bedeutungsschwer stemmende Textlastigkeit unmittelbar in die Auslage stellt.
Dass sich Father John Misty dahinter nur umso eleganter in seine zutiefst gemütlich zwischen balladeske Singer-Songwriter-Zeitlosigkeit, barocken 70er-Softrock und unaufregendem Folk schwelgende Elegie legt, stilistisch unmittelbar die Spannweite von Randy Newman über John Grant zu Elton John vermisst, konterkariert die Botschaft des 35 Jährigen gar nicht unbedingt, macht sie aber rundum bekömmlicher: Zärtliche Pianoklänge bilden da getragen das instrumentale Fundament, zurückgenommene Rhythmik und leise Streicher kuscheln sich so ausführlich in das lauschige Szenario, halten den Puls abseits der lyrischen Giftigkeit aber stets niedrig.
Der Titelsong gibt die restliche Ausrichtung von Pure Comedy damit nicht nur bereits eingangs weitestgehend restlos vor, sondern definiert im gewissen Maße auch das Problem der restlichen Platte adäquat.

Denn so grandios die klugen und klugscheißenden Textkaskaden hier auch weitestgehend sein mögen: Über die gesamte Spielzeit von 74 Minuten ist Pure Comedy rein musikalisch entlang seiner so zwar stets angenehm zu konsumierenden – meistens unheimlich netten, manchmal auch unheimlich beliebigen Melodien und zahmen Crescendi – schlichtweg enorm gleichförmig ausgefallen. Tempo und Dynamik variieren kaum und die instrumental Gangart hält nur subtile Auswüchse parat. In einer gewissen Monotonie verkommt das Songwriting in den am wenigsten zwingenden Passagen gar langweilend zur Nabelschau.
Dann plätschert der predigende Father zu gefällig durch einen wohligen Schönklang, der all seine angerissenen Themengebiete („progress, technology, fame, the environment, politics, aging, social media, human nature, human connection“ und seine eigene Rolle darin, inklusive 1800 Wörter-Esay für den Fanclub) und systemkritischen Existenzialismen enervierend belanglos schippernd umspült. „So why is it I’m so distraught / That what I’m selling is getting bought“ scheint Tillman die eigene potentielle Kommerzialität mit demonstrativem Easy Listening-Appeal zu torpedieren, liefert keine entgegenkommenden Hits, kein I Love You Honeybear, Teil 2, noch nicht einmal Ausbrüche oder markante Entwicklungen im in sich so geschlossenen Gefüge – sondern äzt kompromisslos auch über sich selbst: „Some 10-verse chorus-less diatribe/ Plays as they all jump ship, ‚I used to like this guy/ This new shit really kinda makes me wanna die„.
Am drastischsten ist diese musikalisch mäandernde Konsequenz tatsächlich im mittig platzierten, vollends entschleunigten Monolog-Monstrum Leaving LA praktiziert. Über kaum entlohnende 13 Minuten Spielzeit schrammt Father John Misty hier mit weinerlichen Streichern nach einem verheerenden Erdbeben an einer öden Melange aus ungriffigen Hooks und einer ziellos visierenden Dystopie, kommt zu keinem Punkt oder Ziel, entnervt mit kompositorisch prätentiös überhöhter Substanzlosigkeit und entlarvt seine Texte als frontal funktionierende Simplizitäten: Da erstickt der Junge Joshua beinahe an Süßigkeiten, während im Hintergrund Fleetwood Mac’s Little Lies läuft. Weil hier jede Schönheit eben auch automatisch Schmerz gebiert.

Vor allem hier wirkt Pure Comedy als wenig schmissige Textplattform zu selbstgefällig und hemmungslos übersättigend. Die allgemeine Länge ist dann nicht mehr nur erschöpfendes Stilmittel, sondern auch ein billiger Weg, um ein Opus Magmum-Gewicht für den Kritiker- und Feuilleton-Liebling zu erzwingen (die üblichen Verdächtigen von SPON bis Needle Drop springen auf diesen Mechanismen erwartbar dankbar an).
Weniger wäre hier wieder einmal deutlich mehr gewesen. So verwässert Pure Comedy seine Anliegen aber hinter der mal elegant minimalistischen, mal opulent die Kopfhörerkundschaft mit Details verzückenden Jonathan Wilson-Produktion leider bisweilen geradezu frustrierend – doch die Schönheiten kristallisieren sich nichtsdestotrotz behäbig aus dem abseits davon unaufdringlich abghängig machenden Gesamtfluss: Das an Badly Drawn Boy gemahnende, ausnahmsweise im Upbeat vernakerte Total Entertainment Foreber („Bedding Taylor Swift/ Every Night Inside The Oculus Rift„) ohnedies, während Things That Would Have Been Helpful To Know Before The Revolution nur leise die Spannungen anzieht und sich Ballad of the Dying Man oder das ätherisch-verschwommene Birdie (samt Exit Music-Chören) in seine weichen Harmonien kuscheln. A Bigger Paper Bag hat eine Walzer-Schlagseite wie schürfende Elliott Smith-Grübeleien und Smootchie eine betörend streifende Ader, Memo dafür eine zaghaft schunkelnde Country-Ader.

So I’m Growing Old On Magic Mountain schwelgt hingegen in Anlehnung an Thomas Manns Zauberberg über knapp 10 Minuten in glückseligen Fantasien und alterslosen Exzessen, doch das Ende der Party ist unausweichlich: „So the longer I stay here/ The longer there’s no future/ So I’m growing old on magic mountain„. Wie war das noch einmal mit „each other’s all we got„?
So hoffnungslos und niedergeschlagen funktioniert diese Pure Comedy eben, die der Father in aller Elaboriertheit seziert, mag der Lacher auch au ihn gehen und Tillman sich immer wieder als Teil der Misere im Zentrum der schleichenden Apokalypse wiederfinden: „Oh great, that’s just what we all need/ Another white guy in 2017/ Who takes himself so goddamn seriously„. Wichtiger als der stets aufkeimende Funke Selbstironie wären da freilich im Gesamten zwar ein wenig mehr musikalische Stringenz, ein schärferer Fokus oder die Bereitschaft gewesen, nicht ausnahmslos in der eigenen Wohlfühlzone zu darben. Dann hätte das Potential verschwendende, beständig wachsende Pure Comedy auch tatsächlich auch das herausragende Album werden können, das es ein will – nicht nur ein an sich selbst scheiterndes Meisterwerk. Damit leben kann man aber nach einiger Zeit erstaunlich gut.

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